Evolution ohne uns. Jay Tuck
Erzfeind Barack Obama maßlos ärgern.
Eine solche Trophäe wollte Putin nicht unbeachtet in eine Vitrine schließen. Die Welt sollte ihn sehen. Journalisten, Fotografen und Kamerateams aus aller Welt durften ihn in Moskau aufsuchen. Ebenso hatte der deutsche Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele dort seinen fernsehträchtigen Auftritt. Die konspirativen Umstände machten die Berichterstattung nur noch spannender. Damit es sich für sie lohnt, versuchte Snowden seine Enthüllungen zu portionieren. Jeder Reporter sollte seine eigene Exklusivgeschichte mit nach Hause nehmen.
Putin wollte auch persönlich von Snowdens Scheinwerferglanz profitieren. So kam es zu einem seltsamen Auftritt des Amerikaners bei der jährlichen Pressekonferenz des russischen Staatschefs. Snowden, der von einem geheimen Ort zugeschaltet war, war als „Special Guest“ eingeladen. Es störte Putin wohl wenig, dass er kein Journalist war.8
Die beiden Männer hatten eine andere Ebene.
Von Geheimdienstler zu Geheimdienstler.
SNOWDEN: Glauben Sie, dass es angemessen ist, statt nur Einzelpersonen eine ganze Gesellschaft unter Beobachtung zu stellen?
PUTIN: Mr. Snowden, Sie sind ehemaliger Agent und Spion. Ich habe früher auch für einen Geheimdienst gearbeitet. Wir sprechen dieselbe Sprache. Zunächst unterliegen nachrichtendienstliche Methoden in Russland einer strengen gesetzlichen Regelung. Unsere Dienste dürfen Überwachungstechniken für Telefon oder Online-Aktivitäten nur anwenden, wenn eine richterliche Anordnung vorliegt. Ein Programm zur Massenüberwachung haben wir nicht.9
Unter wachsamen Augen
Die Enthüllungen, die die Welt schockierten, wurden alle aus seinem Moskauer Versteck gesteuert, einem konspirativem Safe House, das von Geheimdienst-Gorillas des FSB überwacht wird. Auswärtige Besuche fanden immer unter ihren wachsamen Augen statt. Koordiniert wurden sie von einem Mann, den Snowden „mein Anwalt“ nennt.
Die Rede ist von Anatoli Kutscherena, profilierter Putin-Freund und Mitglied im Aufsichtsorgan des russischen Geheimdienstes FSB. Ohne seinen Segen, so berichten Besucher, läuft mit Snowden nichts.
In seiner Flüchtlingszeit bewies Snowden immer wieder einen ausgeprägten Sinn für Dramatik. Wenn er am Laptop tippte, zog er eine rote Kapuze über den Kopf, damit Überwachungskameras seine Passwörter nicht erfassen, wie er erklärte. Unter die Tür schob er ein Kissen, um Abhörmaßnahmen zu blockieren. Die Mobiltelefone von Besuchern packte er in den Kühlschrank, damit sie keine Signale abstrahlten.
Sicherheitsmaßnahmen waren auf jeden Fall erforderlich.
Der flüchtige amerikanische Spion war in akuter Gefahr.
Die Jagd nach Edward
Die US-Regierung wollte ihn haben.
Daran besteht kein Zweifel.
„Snowden hat mehr Schaden angerichtet als jeder andere Spion in der Geschichte unseres Landes“, so die Einschätzung des damaligen NSA-Chefs Keith Alexander. „Das wird unsere Arbeit die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre beeinträchtigen.“10/11
Ein solcher Täter darf nicht unbehelligt davonkommen. Nicht aus Sicht der US-Dienste, die ihn im Verborgenen verfolgen. Und bereit sind, erhebliche Risiken einzugehen. Deutlich wurde das am 2. Juli 2013, als eine gewagte CIA-Operation fehlschlug.
An diesem Tag war Boliviens Präsident Evo Morales zu einem Staatsbesuch in Moskau. Es gab einen Geheimtipp: Snowden sollte an Bord des Präsidialjets heimlich aus dem Land geschmuggelt werden. So die Informationen. Daraufhin verweigerten mehrere EU-Länder den Überflug. Das Flugzeug des Präsidenten wurde zur unplanmäßigen Landung in Wien gezwungen.
Der Tipp entpuppte sich als Ente, die Aktion als Flop. Snowden war nicht an Bord. Diplomatisch war es ein Desaster. Aus ganz Europa folgte Kritik. Der österreichische Außenminister sah sich gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen.12
Für die ganze Welt wurde sichtbar, wie weit die Amerikaner gehen würden, um den abtrünnigen NSA-Spion zu schnappen.
Snowdens Schockwellen
Die Enthüllungen von Edward Snowden machten Schlagzeilen.
Rund um die Welt.
Monatelang.
Mit dramatischen Folgen.
Bürger waren schockiert, Politiker empört, Nachrichtendienste verunsichert. Die Washingtoner Regierung wollte Snowden schnellstmöglich ins Gefängnis befördern. Deutsche Datenschützer feierten ihn als Helden. Einige wollten ihm Asyl gewähren, andere sogar für den Friedensnobelpreis nominieren.
Wie auch immer man die Taten von Edward Snowden wertet, eines steht fest: Seine Veröffentlichungen haben für große Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt. Der Umfang der gespeicherten Informationen, das merkten alle, hat unsere Gesellschaft unwiderruflich verändert.
Die Debatte um Big Data hat begonnen.
Und da Big Data nur von Künstlicher Intelligenz gesteuert werden kann, wird die Debatte um Künstliche Intelligenz sehr bald folgen.
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*Als Director of National Intelligence beaufsichtigt James Clapper u. a. Central Intelligence Agency (CIA), Defense Intelligence Agency (DIA), Federal Bureau of Investigation (FBI), National Geospacial-Intelligence Agency (NGA), National Reconnaissance Office (NRO), National Security Agency (NSA), Drug Enforcement Agency (DEA), Department of Energy (DOE) und das Department of Homeland Security (DHS).
Big Data, Big Danger
Big Data haben wir nicht kommen sehen. Mit einem Schlag war sie da, eine fast grenzenlose Speicherkapazität, fast grenzenlose Datenbestände, fast grenzenloses Überwachungspotenzial. Big Data ist das Ergebnis eines exponentiellen Wachstums in der Hardware-Industrie.
Wir sind heute erst dabei, die Konsequenzen zu verstehen.
Und das Wachstum setzt sich unaufhörlich fort.
Exponentiell.
Nach den Veröffentlichungen von Bradley „Chelsea“ Manning bei WikiLeaks und Edward Snowden in der Weltpresse wurde klar, dass die Menschheit am Ufer eines gigantischen Datenmeers steht. Wir schauen in die Ferne, können aber weder Weite noch Tiefe begreifen. Wir haben keine Übersicht, geschweige denn Kontrolle.
Der Speicherplatz, der hier entsteht, ist das Gedächtnis eines neuen Wesens, das der Menschheit bei Weitem überlegen sein wird. Das Gehirn kommt noch.
Solche Datenmassen sind nur durch Maschinen beherrschbar. Eine Erfassung, Verwaltung oder Auswertung durch Menschen ist undenkbar. Auch die Software, die Menschen schreiben, kann es nicht schaffen. Supercomputer mit Supersoftware sind die einzige Lösung. Big Data wird eines Tages das Gedächtnis einer neuen weltumspannenden Künstlichen Intelligenz (KI) werden.
Big Data hat das Potenzial, das Wissen der gesamten Menschheit zu erfassen, Informationsmassen, die unsere Vorstellungskraft sprengen. Es könnte Bücher, Brockhaus-Enzyklopädien und sogar sämtliche Bibliotheken der Welt zur Makulatur machen.
In den ersten vierzehn Jahren seiner Existenz ist der Datenumfang von Wikipedia allein in englischer Sprache auf über fünf Millionen Beiträge gewachsen. Weltweit enthält das Werk heute 28 Milliarden Wörter in 52 Millionen Artikeln in 309 Sprachen. Zwischen dem Schreiben dieses Manuskripts und der Veröffentlichung als Buch ist davon auszugehen, dass Wikipedia sich schon wieder verdoppeln wird.
Manning und Snowden haben geholfen, die Folgen von Big Data für die Weltöffentlichkeit anschaulich zu machen. Schockierende Schlagzeilen, düstere Leitartikel und polemisierende Politiker taten den Rest.
Die öffentliche Beunruhigung richtet sich fast ausschließlich auf staatliche Daten, insbesondere auf