Evolution ohne uns. Jay Tuck
darstellen. Doch sein Status als Soldat, dazu als vereidigter Geheimnisträger der US-Streitkräfte, erschwerte diese Strategie. Anzuwenden waren Militärgesetze. Er stand vor einem Militärgericht und die Richter zeigten wenig Neigung, mildernde Umstände anzuerkennen oder Nachahmer durch eine leichte Strafe zu ermutigen.
Von dem schwersten Vorwurf wurde der junge Soldat freigesprochen. Landesverrat habe er nicht begangen, denn die Geheimunterlagen wurden nicht an Feinde verraten. Empfänger war die Weltöffentlichkeit.
Doch seine Handlung galt durchaus als Verrat von Militärgeheimnissen, keine Kleinigkeit für einen Mann in Uniform. Manning erfüllte damit den Tatbestand der Spionage.
Am 21. August 2013 wurde Bradley Edward Manning zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, schuldig in insgesamt 20 Anklagepunkten. Am Tag nach der Urteilsverkündung trat sein Verteidiger in der beliebten US-Talkshow mit David Letterman auf. Sein Mandant, erklärte er dem TV-Publikum, möchte nun als Frau gesehen werden. Ein halbes Jahr später wurde die Namensänderung anerkannt.
Aber im Knast wird Chelsea nach wie vor als Mann behandelt. Ein Antrag auf Verlegung in ein Frauengefängnis wurde ebenso abgelehnt wie der Wunsch auf eine Hormonbehandlung und eine Geschlechtsoperation. Er darf lediglich Frauenunterwäsche tragen.
Auf der Flucht
Am Ende konnte Julian Assange seinen Informanten nicht schützen. Er hatte keine Erfahrung mit dem Schutz von Quellen. Er selbst war kein Journalist. Außerdem hatte er eigene Probleme.
Er verfolgte das Verfahren und die Verurteilung seines Informanten aus der Botschaft Ecuadors in London. Dort hält er sich seit dem 20. Juni 2012 als Flüchtling auf.
Schweden sucht den WikiLeaks-Gründer mit Haftbefehl wegen sexueller Nötigung. Nur auf dem exterritorialen Boden der Botschaft kann er unbehelligt bleiben. Vor der Tür warten ein britischer Bobby, seine sichere Verhaftung und die Auslieferung nach Schweden. Von dort – so fürchtet Assange – könnte er womöglich in die USA ausgeliefert werden.
Ursprünglich wollte Julian Assange sechs bis zwölf Monate unter dem diplomatischen Schutz Ecuadors ausharren. Daraus sind mehrere Jahre geworden. „Ich sehe weniger Sonnenlicht als Gefängnisinsassen“, klagt er.
Hin und wieder empfängt er Journalisten und spricht Kommentare in die Kameras. Häufig lässt er durchblicken, dass er – nach nunmehr fast drei Jahren auf der Flucht – gern nach Hause reisen würde.
Julian Assange weiß jedoch: So schnell wird das nicht passieren.
Star oder Staatsfeind
Ob als Star gefeiert oder als Staatsfeind verflucht, Bradley Manning ist sein Platz in der Geschichte der Informationsgesellschaft sicher. Durch seine Enthüllungen wurde deutlich, dass im Zeitalter von Big Data auch die Spionagedienste der Supermächte verwundbar sind. Mit relativ schlichten technischen Mitteln können sich Einzelpersonen wie Manning oder Assange Hunderttausende von geheimen Dokumenten unter den Nagel reißen und in die Weltöffentlichkeit zerren.
Sie brauchen dazu nicht – wie früher – die Mitwirkung einer großen Zeitung.
Das geht auch so.
Über das Internet.
Manning hat der Weltöffentlichkeit gezeigt, wie das geht.
Er war aber nicht der Einzige.
Edward
Es geht um die NATIONALE SICHERHEIT!“, empört sich der junge Blogger und hämmert seinen Text mit Versalien und Ausrufungszeichen in die Tastatur.
„So einen Mist schreibt man nicht in der Zeitung!!“
Gemeint waren Enthüllungen der New York Times, dass US-Geheimdienste das Atomprogramm Irans heimlich sabotieren wollten. Die Veröffentlichung war – aus der Sicht des Bloggers – ein Riesenskandal.
„Oder soll die New York Times in Zukunft unsere Außenpolitik bestimmen“, resümierte der Blogger, der im Chat unter dem Namen TheTrueHoohah auftrat.
„Ich hoffe, sie gehen bald pleite.“3
Das war im Januar 2009.
Wenige Jahre später würde der junge Mann, der sich so empörte, selber US-Geheimdokumente an die New York Times leiten – und zwar tausendfach. Ein Regierungssprecher würde seine Person später als „Desaster für die nationale Sicherheit“ beschimpfen, die National Security Agency NSA seine Taten als „zweites Pearl Harbor“ werten.
Genauso wie bei Bradley „Chelsea“ Manning würde er mit den Mitteln von Big Data gegen die Mächtigen im Staat vorgehen. Und die Weltöffentlichkeit erschrecken. Bei ihm war der Schock erheblich größer. Seine Taten machten klar, dass Big Data zu einer Bedrohung für die freie Gesellschaft geworden war.
Sein Name war Edward Snowden.
Kind der Küstenwache
Geboren wurde Snowden am 21. Juni 1983 in einer Kleinstadt an der Küste von North Carolina. Sein Vater war Marineoffizier bei der Küstenwache, seine Mutter Gerichtsdienerin. Seine Eltern ließen sich scheiden, als Edward noch ein Kind war. In der Schule hatte er Probleme. Unter anderem fehlte er häufig wegen Krankheit. Den regulären High-School-Abschluss schaffte er nicht.
Mit achtzehn verließ er die Schule – ohne Abitur, ohne Studienplatz, ohne Job. Der schlaksige Teenager mit dem aschblonden Haar hatte aber ehrgeizige Pläne. Er wollte etwas Besonderes werden. In Fernkursen schaffte er einen Ersatzabschluss, der ihn für Seminare an der Universität von Liverpool qualifizierte. Die Kurse, die er belegte, beendete er jedoch nicht.
Genauso verlief sein Militärdienst.
Der Schulabbrecher träumte von einer Karriere bei der US-Elitetruppe Special Forces. Er lernte Kung-Fu, meldete sich 2004 bei der Army und hoffte, bald das prestigeträchtige Green Beret zu tragen.
Doch kaum hatte er die Grundausbildung angefangen, musste er sie abbrechen. Er selbst erklärt seinen frühzeitigen Ausstieg mit einem „Trainingsunfall“, bei dem er sich beide Beine brach. Journalistische Recherchen konnten den Vorfall nie bestätigen. Die Pressestelle des Pentagon beschränkt sich auf die Aussage, dass Snowden beim Militär keine Ausbildung abgeschlossen und keine Auszeichnungen erhalten habe.
Auch wenn aus seinen Plänen, als Elitekämpfer für die Streitkräfte zu wirken, nichts wurde, bewahrte sich Snowden seinen Sinn für Dramatik. Gern ließ er sich von seiner damaligen Freundin, einer Erotik-Tänzerin namens Lindsay Mills, als „Man of Mystery“ betiteln. Er hegte immer noch den Wunsch, eines Tages zur Elite zu gehören.
Nach einer Zwischenstation als Wachmann an der University of Maryland begann Edward Snowden im Jahr 2009 eine Ausbildung bei der CIA. Er wurde als IT-Techniker der US-Mission in Genf zugeteilt. Er hatte einen Job mit verschiedenen Aufgaben: Einerseits war er für die Computersicherheit zuständig, andererseits aber auch für die Wartung der Klimaanlage.
Frust in Fernost
In dieser Zeit war er fleißig.
Er war verlässlich.
Er war ein Patriot.
Er war allerdings nicht beliebt. Edward Snowden hatte häufiger mit Vorgesetzten Ärger. Er entdeckte vermeintliche Sicherheitslücken im IT-System, niemand teilte jedoch seine Bedenken. Er beantragte eine Gehaltserhöhung, die aber abgelehnt wurde. Er beschwerte sich über Arbeitskollegen, was zur Folge hatte, dass ein unvorteilhafter Vermerk in seiner eigenen Personalakte notiert wurde.
Snowden ärgerte sich. Er sah sich in einem Umfeld wachsender Ablehnung. In Genf blieb er weniger als ein Jahr. Schon im Februar schied er aus der CIA aus.
Er bewarb sich bei Dell Inc. Das US-Computerunternehmen