Die Habsburger. Albert Stähli
dass die Laufrichtung der Geschichte vornehmlich von den Handlungen der beteiligten Akteure – Kaiser, Könige, Kanzler, Generäle – bestimmt wird. In der Gegenwart treffen wir die Entscheidungen. In der Regel haben wir eine Auswahl an Optionen und bilden unser Urteil auf der Grundlage von Informationen. Mit diesem Buch möchte ich erneut dazu anregen, auch die Vergangenheit zum Teil des relevanten Sets an Informationen zu machen. Denn, um mit den Worten des Philosophen Odo Marquardt zu argumentieren: „Zukunft braucht Herkunft.“
KAPITEL 1
Der Aufstieg der Habsburger
Von den Anfängen in der Schweiz bis Rudolf I
Am rechten Ufer der March, einem Nebenfluss der Donau in Niederösterreich, entscheidet sich am 26. August 1278 das Schicksal zweier Könige. Der eine wird den Grundstein für eine der mächtigsten Herrscherdynastien Europas legen. Der andere wird diesen Tag nicht überleben.
Doch das wissen weder der römisch-deutsche König Rudolf I aus dem Hause Habsburg noch sein mächtiger Widersacher, Böhmens König Ottokar II Přemysl. Ottokar, der den König trotz päpstlicher Entscheidung nicht anerkennt, ist zugleich Markgraf von Mähren und Herzog von Österreich, der Steiermark, Kärnten und Krain – Gebiete, die schon bald untrennbar mit dem Namen Habsburg verbunden sein werden. Beide Befehlshaber sind mit ihren gepanzerten Reitersoldaten aufmarschiert und lauern auf das Signal zum Angriff.
„Die Kräfteverhältnisse dürften ziemlich ausgeglichen gewesen sein“, interpretiert der Historiker Karl-Friedrich Krieger die spärlich überlieferten Berichte von Augenzeugen des Geschehens. „Ottokar verfügte zwar über eine beträchtliche Übermacht an schweren Panzerreitern, dagegen konnte Rudolf mit den Kumanenverbänden (die Avantgarde, d. Verf.) des ungarischen Heeres stark überlegene leichte Reitertruppen ins Feld führen.“ (2003, S. 148)
Das Areal zwischen den Dörfern Dürnkrut und Jedenspeigen eignet sich ideal für eine Reiterschlacht. Auf der rechten Seite wird es durch den Fluss begrenzt, links bietet ein Wald scheinbar Schutz vor gegnerischen Manövern an der Flanke. Rudolf I ist eigens aus dem von ihm besetzten Wien hierher gezogen, um seinem Rivalen an dieser Stelle entgegenzutreten. Er ist es auch, der die Schlacht eröffnet, in dem er die leichten berittenen Bogenschützen seines ungarischen Verbündeten Ladislaus IV vorschickt, um dem Gegner erste Verluste beizubringen und damit dessen Schlachtordnung durcheinanderzubringen. Nach diesem Ansturm prallen die Ritter der gegnerischen Heere aufeinander. Ottokars Streitmacht ist der seines deutschen Widersachers zahlenmäßig überlegen. Ein blutiger Nahkampf entbrennt, bei dem Rudolf I von seinem Pferd stürzt und dem Tode nahe am Boden bleibt. Nach gut zwei Stunden Kampf scheint die Schlacht entschieden.
In diesem Moment bringt eine List die Entscheidung. Vor Kampfbeginn hat Rudolf einen 60 Mann starken Reitertrupp im Wald versteckt. Überdies hat er seinen besten Männern Zurückhaltung befohlen; er will sie in Reserve halten. Nun, im Augenblick der höchsten Not, greift ein zuvor erteilter Befehl des Königs, den erschöpften Gegner sowohl von der Seite als auch im Zentrum anzugreifen. Die Überraschung ist perfekt. Der verzweifelte Versuch Ottokars, den unerwarteten Flankenangriff abzuwehren, wird von den in der Mitte kämpfenden böhmischen Rittern als Rückzugssignal missverstanden. Sie kehren dem Feind den Rücken und fliehen. Das nun folgende Gemetzel, in dem auch Ottokar den Tod findet, zeichnet den Ausgang der Schlacht vor. „Der 26. August des Jahres 1278 ist einer der wichtigsten Tage in Oesterreichs Geschichte, ein Markstein in selber, der Geburtstag des Habsburgischen Oesterreichs“, wird der Offizier und Historiker Wilhelm Edler von Janko 600 Jahre später über die Bedeutung dieser Schlacht schreiben (1878, S. V).
In der Schweiz fängt alles an
Die meisten Stammbäume der Habsburger beginnen mit Rudolf I. Der römisch-deutsche König ist jedoch nicht der Urvater der berühmten Dynastie. Bereits im Hochmittelalter gehörte seine Familie zu den angesehenen Adelshäusern im Südwesten des Reichs. Von dort stammt auch die Fürstendynastie der Staufer, die seit 1138 den Thron innehat. Mit Friedrich I Barbarossa und Friedrich II hat sie zwei der bedeutendsten Kaiser des Mittelalters hervorgebracht.
Die Habsburger sind Parteigänger der Staufer und können in der Schweiz bis ins späte zehnte Jahrhundert zurückverfolgt werden. Ein gewisser Guntram, genannt „der Reiche“, ist der älteste nachweisbare Vorfahre. Vermutlich aus dem Elsass stammend, womöglich ein Nachkomme merowingischer Herzöge, erstrecken sich seine Besitzungen vom Oberrhein bis hinunter ins Aargau. (Stoldt, H.-U., 2010, S. 52) Sein Sohn Radbot stiftet um 1027 gemeinsam mit seinem Bruder, dem Bischof Werner von Straßburg, das Kloster Muri im Aargau. Die dort verfasste Chronik ist für Historiker eine der wichtigsten Quellen der Geschichte der frühen Habsburger.
Doch erst Werner, ein Enkel von Radbot, nennt sich ab dem Jahr 1108 „Graf von Havichsberg“ – ein Hinweis auf die Stammburg des Hauses. „Seit dieser Generation nennt sich das Adelsgeschlecht nach der Burg, die in den darauffolgenden Jahrhunderten zum Inbegriff für ein weltumspannendes Reich wird.“ (Meier, B., 2010, S. 11) Die sogenannte Habichtsburg, deren Bau und Ruine noch heute zu sehen sind, wurde wenige Jahre nach dem Kloster errichtet. Sie liegen etwa 30 Kilometer nördlich von Muri auf dem Wülpelsberg im Juragebirge, zu ihren Füßen der Unterlauf der Aare und der Ort Brugg.
Eine Burg – zwei Geschichten
Gemessen an ihrer prunkvollen Geschichte ist die Stammburg der Habsburger ein überraschend kahles Gemäuer. Die Habichtsburg strahlt weder Glanz aus, noch bietet sie großen Komfort. Um ihre Gründung rankt sich eine Legende (vgl. Meier, B., a. a. O., S. 11 f.): Der Ritter Radbot soll bei der Beizjagd einen abgerichteten Habicht verloren haben. Nach langer Suche findet er ihn auf dem Felsen des Wülpelsbergs. Sofort erkennt Radbot dessen strategisch günstige Lage und beschließt, dort eine Burg zu errichten: die Habichtsburg. Sie wird erstmals im Jahre 1108 als „Havichsberch“ erwähnt. Das lässt jedoch auch eine andere Interpretation des Namens zu, denn das mittelhochdeutsche Wort „hab“ oder „hav“ bedeutet so viel wie „Flussübergang“ oder „Furt“, was sich wiederum auf die Aare beziehen könnte.
Abbildung 1: Burg Habsburg
Der tatsächliche Grund für die Errichtung der Burg am Flussübergang bei Brugg dürfte eine Familienfehde zwischen Radbot und seinem nächstjüngeren Bruder Rudolf gewesen sein. Beide streiten sich um den Besitz im weiter südlichen Muri. Dabei kommt es zur Zerstörung des dortigen Herrenhofes. Wohl auch deshalb gründen Radbot und seine Frau, Ita von Lothringen, das Kloster Muri im Jahr 1027, berichtet Peter Frey über den Stand der Erforschung des Burggeländes. (1986, S. 107)
Und noch eine Geschichte kursiert durch die Zeit (vgl. Meier, B., a. a. O., S. 14): Um die Burg errichten zu können, musste Radbot seinen Bruder oder Schwager, besagten Bischof Werner von Straßburg, um Geld bitten. Dieser gibt es ihm auch und kommt in der Folgezeit in den Aargau, um die Burg in Augenschein zu nehmen. Er findet jedoch nur einen schlichten Turm vor, weshalb er seinen Bruder tadelt. Der kontert den Vorwurf mit der Ankündigung, binnen einer Nacht werde die Burg eine starke Mauer haben. Am nächsten Tag lagern zahlreiche Ritter mit ihren Knechten um den Turm. Radbot zeigt auf die Ritter und belehrt seinen Bruder, dass starke Burgmauern allein keinen Nutzen hätten. Nur eine treue und gut bezahlte Gefolgschaft böte eine wirksame Verteidigung. In einem deutschen Lesebuch des 19. Jahrhunderts war diese Sage in den folgenden Vers gekleidet:
„Da sprach der Bischof: ‚Sicherlich
An solchen Mauern halte Dich:
Nichts ist so fest
Als Treue, die nicht von Dir läßt.
So schütze Habsburg fort und fort
Lebend’ger Mauern starker Hort,
Und herrlich schau’n
Wird’s über alle deutschen Gau’n.“
(Wandruszka,