Seewölfe - Piraten der Weltmeere 676. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 676 - Jan J. Moreno


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dagegen tun. Die Lords spielten mit ihm, weil er nicht in der Lage war, sich gegen sie durchzusetzen.

      Sir Thomas blieb den Oberdecks auch dann noch fern, als knapp eine Stunde später die beiden voll ausgerüsteten Jollen abgefiert wurden.

      Achtzehn Seesoldaten standen bereit, in die Boote abzuentern. In ihren roten Waffenröcken mit den über der Brust gekreuzten weißen Schulterriemen, den Kniehosen und schwarzen Schaftstiefeln, die Musketen vor sich aufgepflanzt, boten sie einen imposanten Eindruck.

      Lord Hyram Scaleby stand vor dem Großmast und musterte jeden einzelnen mit durchdringendem Blick.

      „Wir werden den Piraten stellen“, sagte er scharf. „Und dann kämpft, als hättet ihr den Teufel vor euch. Ihr tut es für England und für euren Ruhm. Sergeant Beeler: Befehlen Sie die Männer in die Boote!“

      „Aye, aye, Sir.“

      Beide Jollen waren nicht voll bemannt. Zugunsten ausreichender Munitionsvorräte für Drehbassen und Musketen verzichtete Scaleby auf eine vollzählige Crew.

      In der größeren Jolle, unter dem Kommando des Lords, drängten sich elf Seesoldaten und sechs Mannschaftsmitglieder auf den Duchten. Die kleinere war mit sieben Soldaten und vier Seeleuten besetzt. Der Sergeant übernahm selbst die Aufgabe des Bootssteurers.

      Die Jollen lagen tief im Wasser. Aber unter Segeln und mit zusätzlicher Riemenkraft würden sie dennoch gute Fahrt laufen.

      Lord Hyram Scaleby ging als letzter von Bord. Er warf nicht einen Blick zurück.

      „Auf Riemen!“

      Die Bootsgasten stießen von der „Respectable“ ab. Kurs Ostsüdost lag an, als wenig später die Segel gesetzt wurden.

      Das Gebiet des Korallenriffs bedeutete keine Gefahr. Jetzt, da die See ruhig lag, ragten viele Felsen knapp über die Wasseroberfläche.

      Eine mäßige Brise blähte die Segel. Scaleby ließ zusätzlich pullen.

      Kaum jemand sprach. Das Wispern und Raunen des Windes, das Knarren der Takelage und das gelegentliche Flappen der Segel, vermischt mit dem Knarren der Riemen in den Rundsein, blieben die einzigen Geräusche.

      Flirrender Sonnenglast ließ die Kimm unruhig erscheinen. Mal schien der Horizont zum Greifen nahe, dann rückte er wieder in schier unerreichbare Ferne. Die Masten der „Respectable“ verschwanden bald im Dunst der Mittagshitze.

      Unbarmherzig heiß brannte die Sonne vom Zenit. Nur wenige im Westen aufziehende weiße Wolken versprachen Linderung für den späten Nachmittag.

      Hyram Scaleby wand sich unbehaglich auf seiner Ducht. Das Tüchlein, das er zum Abtupfen des Schweißes benutzte, war längst klatschnaß. Die Augen zusammengekniffen, daß sie an Schweinsäuglein erinnerten, starrte er über die See.

      Er fühlte sich angegafft. Dem Pack, mit dem er sich in der Jolle abgeben mußte, bereitete es Vergnügen, ihn leiden zu sehen.

      „Er da!“ herrschte er einen ihm gegenübersitzenden jungen Soldaten an. „Wie heißt er?“

      „Jones, Durchlaucht.“

      „Warum starrt er mich an?“

      Der junge Mann war sichtlich erschrocken. „Ich blicke aufs Meer, Durchlaucht“, erwiderte er.

      „Und was sieht er?“

      „Kein Segel, Durchlaucht.“

      „Hat er erwartet, die Schebecke zu entdecken?“

      „Nein, natürlich nicht. Der Korsar hat …“

      „Der Pirat!“ rief Scaleby schrill. „Killigrew ist nichts weiter als ein lausiger Pirat, der es geschickt verstanden hat, sich das Vertrauen Ihrer Majestät zu erschleichen. Was wollte er noch sagen?“

      „Der Pirat hat genügend Vorsprung. Er wird inzwischen die Koromandelküste erreicht haben.“

      Scaleby wußte, daß es schwer sein würde, den Seewolf aufzuspüren. Seine Hoffnung war jedoch, daß Killigrew länger in Madras, seinem Ziel, bleiben mußte – zumindest bis die Fracht der Schebecke gelöscht war. Nur vordergründig galt sein Interesse dem Gold. In Wirklichkeit lag ihm daran, zu beweisen, daß er dem Piraten überlegen war.

      „Land voraus!“

      Der Ruf schreckte ihn aus seinen Überlegungen auf. Vorlich an Steuerbord zeichnete sich ein dunkler Strich ab, der über dem Wasser zu schweben schien. Erst ein Blick durchs Spektiv verriet, daß Dunst vor der Insel aufzog. Sie maß kaum mehr als einige Meilen, war hügelig und von dichtem Wald bewachsen.

      Wenig später zeichnete sich auch an Backbord ein ähnliches Eiland ab. Vorgelagerte Korallenbänke ließen es höchst uninteressant erscheinen. Kein größeres Schiff konnte da hindurch. Soweit das Auge reichte, brachen sich die Wellen in schäumender Gischt.

      „Kurs halten!“ befahl Scaleby.

      Mit zwei Fingern der rechten Hand lockerte er seinen Kragen. Längst war seine Kleidung durchgeschwitzt. Auch die roten Waffenröcke der Soldaten wiesen häßliche Schweißflecken auf. Doch der Lord dachte nicht daran, ihnen die Erlaubnis zum Ablegen der Uniform zu erteilen. Eher würde er das Trinkwasser rationieren, wenn die Kerle zu oft zu den Fässern griffen.

      Die zweite Jolle segelte etwa dreißig Yards achterlich an Backbord.

      Plötzlich drang Geschrei herüber. Das Pack hatte die Riemen fahren lassen. Auf einer der achteren Ruderbänke entstand Wuhling.

      „Frag er, was los ist!“ herrschte der Erste Offizier Jones an.

      „Ein Mann ist zusammengebrochen, Durchlaucht.“

      „Das sehe ich selbst. Ist denn keiner von euch Burschen fähig, einen Befehl wortgetreu auszuführen?“

      Der junge Soldat zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er fürchtete den Ersten, das war ihm in dem Moment deutlich anzusehen. Ohne länger zu zögern, legte er die Hände vor den Mund und brüllte die Frage zu der zweiten Jolle hinüber.

      „Ein Rudergast ist krank“, antwortete Beeler. „Sieht nicht gut aus.“

      Scaleby schnaubte verächtlich. Ausgerechnet er, dick und verweichlicht, behauptete, daß die Seeleute der „Respectable“ keinen Mumm in den Knochen hätten. Der beste Beweis dafür wäre, daß keiner der Offiziere während der Überfahrt nach Indien an Scharbock erkrankt war, wohl aber gut jeder zweite des gemeinen Schiffsvolks.

      „Hängen Sie den Kerl kopfüber außenbords, Sergeant! Einige Schluck Salzwasser haben noch keinem geschadet. Anschließend soll er wieder pullen, bis er abgelöst wird.“

      Beeler erwiderte nichts. Aber er gab seinen Männern Anweisungen. Gleich darauf tauchten sie den „Drückeberger“ kräftig unter. Lord Hyram Scaleby zählte grinsend mit. Das gemeine Pack hatte es nicht besser verdient.

      Als er das vierte Mal übers Dollbord gehängt wurde, begann der Decksmann endlich um sich zu schlagen. Die Soldaten zerrten ihn binnenbords und stießen ihn auf seinen Platz zurück.

      „Na also“, murmelte Scaleby, als der Kerl wieder kräftig zu pullen begann. Zufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust und genoß das Gefühl der Macht, das er endlich mit niemandem teilen mußte. Bald würden auch auf der „Respectable“ andere Verhältnisse herrschen. Carnavon hatte sich als unfähig erwiesen.

      Fünf Schläge später sackte der Rudergast erneut in sich zusammen. Er ließ den Riemen fahren, krümmte sich vornüber und kippte von der Ducht.

      Auspeitschen! wollte Scaleby befehlen, besann sich aber rechtzeitig, daß das in den Jollen schlecht möglich war.

      „Beeler“, rief er statt dessen, „der Mann wird auf halbe Ration gesetzt!“

      Langsam richtete sich der Sergeant auf. Es sah so aus, als schüttele er den Kopf.

      „Durchlaucht!“ rief er zurück. „Jamison braucht nichts mehr. Er ist tot.“


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