Optimierung des Menschen. Группа авторов
Utopie ist: Der Google-Konzern, der Ihnen allen bekannt ist, weil Sie sich tagtäglich als Angestellte dieses Google-Konzerns sozusagen betätigen oder erweisen – immer dann, wenn Sie einen Suchbefehl in Google eingeben arbeiten Sie für diesen Konzern. Der Google-Konzern hat in den letzten Jahren sozusagen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Forschungsinstituten und Wissenschaftern eingekauft und aufgekauft, die sich mit dieser Frage „Wie ist die Sterblichkeit des Menschen medizinisch, technisch, genetisch zu bekämpfen und aufzuheben?“ beschäftigen. Wir arbeiten daran, sozusagen nicht nur in einem ersten Schritt die Lebensverlängerung auszudehnen, sondern diese Unsterblichkeit zu gewinnen. Ob uns das je gelingen wird, bleibe mal dahingestellt. Aber Sie merken, welche starke Kraft hinter dieser Vorstellung steht, wir müssen diesen Makel der Sterblichkeit, der uns aus dem Paradies mitgegeben wurde, durch die Vertreibung aus dem Paradies auferlegt wurde, wir müssen diesen Makel irgendwie bekämpfen und wegbringen. Wirkliche Menschenoptimierung heißt auch unsterblich zu werden.
Zweiter Makel durch diese Vertreibung: Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot verdienen. Der Mensch ist dazu verurteilt zu arbeiten. Und das ist nicht angenehm. Das ist furchtbar im Grunde. Das ist schlimm, denn es bedeutet: Nichts ist uns von Natur aus gegeben, alles müssen wir uns erarbeiten. Und dass wir im Schweiße unseres Angesichtes uns etwas erarbeiten müssen deutet an, es ist anstrengend, es tut weh, es verschafft Leid, es ist schmerzhaft. Deshalb könnte man sagen, Optimierung des Menschen bedeutet, immer so an sich zu arbeiten, dass wir nicht mehr arbeiten müssen. Die gesamte Wissenschaft und Technik und zwar nicht erst seit der Neuzeit, sondern seit Menschen begonnen haben der Natur technisch zu begegnen, Natur technisch zu bearbeiten, die Arbeit durch Technik zu erleichtern, seit der Erfindung des Rades, seit der Erfindung des Feuers, seit der Erfindung des Pfluges, seit der Zähmung der ersten Tiere als Arbeitstiere, die uns Arbeit abnehmen – seitdem arbeiten wir daran, uns von der Arbeit zu befreien und uns dadurch selbst zu verbessern, also uns zu optimieren. Man könnte sagen, dass alle großen Erfinder, alle großen Techniker, alle diejenigen Genies, die wir heute bewundern, die Dinge erfunden haben, die uns Arbeit abnehmen, von den ersten Menschen, die das Feuer gezähmt haben bis zu den Erfindern der Dampfmaschine, des Benzinmotors und des Computers, eigentlich nur Wesen gewesen waren, die eigentlich faul sein wollten. Denn wer nicht faul sein will, hätte ja selbst aufs Feld gehen können und aufgraben können und Samen einsetzen können. Wozu ein Pflug? Wozu ein Ochse, der davor gespannt wird? Wer nicht faul ist, kann ja tatsächlich von Wien nach Linz zu Fuß gehen. Warum eine Eisenbahn? Warum ein Automobil? Aus Bequemlichkeit, und Bequemlichkeit ist auch eine andere Form der Selbstoptimierung. Deswegen verspricht uns der moderne Techniker nichts anderes pausenlos als Bequemlichkeit. Nichts sonst. Wir kommunizieren auf keiner höheren Ebene miteinander als früher, als man Rauchzeichen und Brieftauben hatte. Die Botschaften sind dieselben geblieben. Dich liebe ich, dich mag ich nicht, du gehst mir auf die Nerven, du gehst mir nicht aus dem Sinn, komm herein, wie auch immer. Mit dem Smartphone geht’s einfach leichter. Es geht schneller. Es ist nicht so mühsam wie Brieftauben abzurichten, Boten auf den Weg zu schicken oder Rauchzeichen in die Welt zu senden.
Dritter Makel: Unter Schmerzen wirst du deine Kinder gebären. Jetzt sind wir natürlich bei der Reproduktionsmedizin. Die wird Sie an diesen Tagen noch sehr beschäftigen. Diese Schmerzen des Gebärens, diese Frage der Zufälligkeit: Was ist das für ein Kind, das jetzt auf die Welt kommt? Diese Ausgeliefertheit einem Schicksal, das ich nicht beeinflussen kann. Wie wird das Kind werden? Wird es gesund sein? Wird es nicht gesund sein? Wird es ein Knabe sein? Wird es ein Mädchen sein? Wird es groß sein? Wird es klein sein? Wird es intelligent sein? Wird es weniger intelligent sein? Alles das ist unter diesem „unter Schmerzen wirst du gebären“ versammelt, und optimieren und sich selbst optimieren heißt genau diesem dritten biblischen Fluch entgehen zu wollen, etwas entgegenzusetzen und das heißt zu erst mal dafür zu sorgen, dass dieses Gebären nicht mehr so schmerzhaft ist. Wir haben schon eine ganze Reihe medizinischer Strategien entwickelt, um diesen Schmerzen zu entgehen. Das zweite, was damit verbunden ist, Kontrolle zu gewinnen über diesen gesamten Prozess der Reproduktion von der Empfängnis bis zur Geburt. Extrauterine Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik, schauen, ob das Wesen, das hier auf die Welt kommt, genetisch tatsächlich optimal ist. Der nächste Schritt wird sein, einige Eigenschaften bestimmen zu können. Es ist heute überhaupt kein Thema mehr, dass man festlegen kann, soll’s ein Bub oder ein Mädchen werden. Es wird bald kein Thema mehr sein, dass man die Körpergröße festlegen kann, die körperliche Konstitution festlegen kann, es wird in naher Zukunft kein Thema mehr sein, dass man Intelligenz und bestimmte Krankheitsresistenz des Kindes, des zukünftigen Kindes, festlegen kann. Und die letzte Konsequenz wird natürlich sein, sich selbst reproduzieren zu können, das heißt Menschen schaffen zu können, ohne überhaupt den Umweg über diesen schmerzhaften Prozess von Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt gehen zu müssen, das heißt, das Wesen, das im Labor gezeugt wird, in einer künstlichen Gebärmutter hochgezogen wird und dann genetisch optimiert in eine neue paradiesische Welt entlassen wird. Ob das tatsächlich, ob diese Technologie der Selbstoptimierung und der Optimierung tatsächlich bedeutet, den Weg ins Paradies gefunden zu haben, darüber könnte man sehr, sehr lange diskutieren. Aber diese Vorstellung, dass Technik, Automatisierung, Maschinisierung, Mechanisierung, eine Möglichkeit ist, ins Paradies zurückzukommen, diese Vorstellung ist schon älter als unsere aktuellen Optimierungskonzepte. Einige von Ihnen kennen vielleicht diese wunderbare Novelle von Heinrich von Kleist über das Marionettentheater, wo’s genau um diese Frage geht, letztendlich. Gibt’s einen Weg zurück ins Paradies? Ich referiere jetzt nicht diese Geschichte. Ich kann nicht so gut Geschichten erzählen wie Michael Köhlmeier, aber ich referiere nur das Ergebnis dieser Novelle. Es lautet: Ja, es gäbe einen Weg zurück ins Paradies. Es gäbe vielleicht sogar zwei Wege zurück ins Paradies. Diese zwei Wege lauten: Entweder wir müssen wieder zu Tieren werden. Der Austritt aus dem Paradies, die Gewinnung von Selbstbewusstsein ist immer interpretiert worden als Heraustreten aus einer tierischen Existenzweise. Wenn wir wieder Tiere wären, nur noch unmittelbar leben, bewusstlos leben, dann ist das eine Art paradiesischer Zustand. Eine andere Möglichkeit beschreibt Kleist am Beginn des 19. Jahrhunderts. Diese andere Möglichkeit ist: Wir müssten zu Maschinen werden. Und Sie wissen, dass wir im Begriffe sind, die zweite Variante zu gehen. Ob das tatsächlich ein Paradies sein wird, das werden wahrscheinlich schon Ihre Kinder, aber ganz sicher Ihre Enkelkinder erleben.
Michael Köhlmeier:
Die nächste Geschichte, die ich erzählen möchte, ist aus dem Umfeld der antiken, aus der griechischen Mythologie, und zwar ist es die Geschichte von Daidalos. Daidalos ist, wie Sie wissen, der größte Erfinder des Altertums gewesen und dennoch war er ursprünglich kein Erfinder, sondern er war ein Künstler. Er war ein Bildhauer. Seine Ambition war eine ganz naturalistische. Er wollte Figurenmenschen erschaffen, die möglichst naturalistisch aussehen – wie wirkliche Menschen. Und er hat es gemacht und er konnte das vorzüglich. Er war von seiner ganzen Technik her der beste Bildhauer seiner Zeit. Er hat die Figuren in Athen auf den Marktplatz gestellt und die Leute sind gekommen und waren voll Bewunderung, haben diese Figuren angeschaut und haben gesagt: „Das ist unglaublich. Die sehen wirklich fast aus wie Menschen.“ Und dieses „fast“ das hat den Daidalos innerlich gequält in seiner Künstlerseele. Er hat gesagt: „Was muss ich machen, damit ich dieses „fast“ eliminiere? Damit sie sagen, die sehen aus wie Menschen?“ Er hat gearbeitet und hat drüber nachgedacht und hat festgestellt, woran es liegt. Sie müssen sich bewegen. Er hat – und damit knüpfe ich an das letzte an, was Konrad Paul Liessmann gesagt hat – er hat praktisch Maschinen gebaut. Er hat seine Figuren so gebaut, damit sie sich bewegen können auf dem Marktplatz. Und was geschah? Es geschah gar nichts. Die haben nicht ausgesehen wie Menschen oder die Athener haben nicht gesagt: „Die sehen aus wie Menschen.“ Sondern sie haben einfach akzeptiert, es sind welche. Und da waren halt welche da und es ist kein Kommentar drüber abgegeben worden. Die sind nicht mehr als Kunstwerke, nicht mehr als Artefakte festgestellt worden, sondern die haben sich gedacht: „Da sind halt irgendwelche Leute da.“ Das hat ihn zutiefst frustriert, den Daidalos. Weil er hat die höchste Kunst geschaffen und sie ist in keiner Weise mehr anerkannt worden. Dann hat er gedacht: „Nein, mit der Kunst lass ich’s.“ Pallas Athene, die Göttin, die über solche Männer die Hand gehalten hat, über die Klugen, die hat ihm geraten: „Lass es sein. Lass die Kunst sein. Konzentrier’ dich ganz auf die Erfindungen.“ Und er hat