Optimierung des Menschen. Группа авторов
hält sich nicht daran, er wird übermütig, und er wird übermütig aus Lust an dem, was ihm durch Technik möglich geworden war. Man könnte sagen, die große Mahnung, die dieser Mythos einer in die Technik verliebten und ganz auf Technologie setzenden Zivilisation gerichtet hat, die er uns hinterlassen hat, könnte lauten: Technik, ja, aber hüten wir uns vor Menschen, die aus Lust an dieser Technik jedes Maß und jedes Ziel verlieren, denn dann werden wir so wie Ikarus abstürzen. Wenn Sie in den Folgetagen Vorträge hören werden über die technischen Möglichkeiten, wie der Mensch mit sich selbst umgehen wird können, denken Sie auch hin und wieder an diese Daidalos-Mahnung, an Ikaros. Was es bedeuten würde, sich hemmungslos einer durch Technik möglich gemachten Lust – in dem Fall an der Selbstoptimierung oder vermeintlichen Selbstoptimierung des Menschen – hinzugeben und nicht zu bedenken, wo könnten hier die Grenzen liegen, die uns aufzeigen oder jenen Moment aufzeigen, in dem das was technisch möglich ist und was gut ist für den Menschen, als Erleichterung für Menschen, als Verbesserung des Menschen vorstellbar ist, in das Gegenteil umschlägt und in die Selbstdestruktion, vielleicht nicht des Menschen aber zumindest des Menschlichen, wenn ich es als Humanes denke, führen könnte.
Wir hätten jetzt die Möglichkeit, das damit bewenden zu lassen oder noch eine kleine Draufgabe zu geben. Michael, die Kurzversion.
Michael Köhlmeier:
Das ist natürlich bekanntlich eine pur rhetorische Frage. Dieses Publikum möchte ich einmal sehen, die dann sagen: „Lassen wir’s.“
Aber gut, ich will Ihnen eine kurze Geschichte aus dem – ich sag’ jetzt ein Wort, das der Bischof sicher nicht gerne hören wird1 – aus dem Bereich der christlichen Mythologie erzählen. Sie entstammt nämlich aus den Heiligengeschichten, die Geschichte vom heiligen Ägidius.
Der heilige Ägidius war ein sehr verzärteltes Kind, ist in Athen aufgewachsen, war in sehr wohlhabendem Haushalt aufgewachsen, hat eine sehr liebende Mutter gehabt, eine überaus liebende Mutter, die ihre ganze Sorge nur ihrem Kind, dem kleinen Ägidius gewidmet hat. Wenn der nur ein bisschen geweint hat, weil ihn ein Gräslein gestreift hat und wenn ein Häuchlein ihn getroffen hat, dann hat er schon gehustet. Und in der Nacht ist er aufgewacht, wenn nur eine Eule am Horizont vorbeigeflogen ist. Die musste noch gar keinen Laut von sich gegeben haben. Die Mutter saß immer neben ihm und hat gehorcht, hat ihm einen Spiegel auf den Mund gehalten, ob er noch atmet. Sie hat ihm nur lauwarme Speisen zu essen gegeben und wenn ihm eine Geschichte vorgelesen oder erzählt wurde, hat sie darauf geachtet, dass die Geschichte ja nicht zu lang und auf jeden Fall nicht grausam ist. So ist er aufgewachsen, dieser Ägidius, beschützt und ohne an der Welt, wie sie ist, teilhaben zu können.
Und dann war er ein junger Mann und er hatte einen Traum, eines Nachts. Er hatte einen Traum, der heilige Petrus nimmt ihn an der Hand und sagt: „Komm Ägidius, ich zeig’ dir die Hölle!“ Und er hat ihn in die Hölle geführt. An der Hand des Petrus ist er gegangen in diesem Traum und furchtbare Dinge hat er gesehen – wir wissen das alles aus Dantes Göttlicher Komödie. In diesem Inferno hat er gesehen, da wurden Mägen von Gefolterten mit flüssigem Blei aufgefüllt und Fledermäuse haben die Augen ausgesaugt und glühende Nadeln wurden in das Rückenmark gesteckt und unter der Haut sind Käfer gekrabbelt und sie haben gesehen, dass Helden der Antike, wie Odysseus, in Feuerhörnern gebrannt haben und die, die Zeit ihres Lebens viel gelogen haben, die standen bis hierher in Eis und Schlangen haben sich um ihre Körper gewunden. Und da gehen sie und sie schauen das alles an und dann denkt Ägidius: „Es ist so komisch, wenn man da geht. Es ist so ... Der Boden ist irgendwie so weich, so eigenartig. Petrus, sag mal, was ist denn mit diesem Boden hier?“ Und der Petrus sagt: „Ja, am Boden, das sind die Körper der Weichlinge, die liegen hier. Die Wege in der Hölle sind gepflastert mit den Weichlingen.“ Und dann ist der Ägidius aufgewacht und hat sich gedacht: „Ui, zu denen werde ich dann gehören, eines Tages. Ich will aber nicht das Pflaster abgeben in der Hölle.“ Und er hat sich dann gedacht: „So, ich muss dem gegensteuern. Ich muss etwas tun.“
Er hat zuerst zu seiner Mutter gesagt: „So, ich verlasse dich.“ Die hat geweint und sich vor ihn hingeworfen, er ist über sie drübergestiegen und hat gesagt: „Zeig mir deine Tränen nicht so, sonst werd’ ich weich.“ Und er ist gegangen. Sein feines Gewand, das nur aus feiner Seide und Samt bestand hat er von sich gerissen, hat sich den rohesten Kartoffelsack ausgesucht, hat drei Löcher hineingerissen, für den Hals und für die beiden Arme – hat sich das härene Gewand angezogen, ohne Schuhe ist er hinausgegangen. Draußen war es glühend heiß. Er hätte im Schatten gehen können – nein, er ist in der Sonne gegangen. Er hätte auf dem weichen Rasen gehen können – nein, er ist auf dem Splittboden gegangen und am Abend waren seine Füße schon wund und blutig, das war ihm egal. Er hätte sich hinlegen können auf das Moos, am Wegesrand – nein, er hat den Kopf auf einen Stein gebettet. So hat er sich abhärten wollen. Im Winter ist er barfuß gegangen, im Gegenteil, er hat sein Gewand ausgezogen, hat den Schnee umarmt und hat gesagt: „Bruder Schnee, ich wärme dich.“ So hat er gelebt. Er hat sich ernährt von dem, was die Würmer übriggelassen haben. Er hat sich ernährt von dem, was die Bäume übriggelassen haben, was abgefallen ist. Er hat Wasser getrunken, fauliges Wasser, das in den Baumstümpfen drin war. So hat er gelebt, ist immer schwächer geworden und wäre auch sehr sehr bald dahingeschieden, in dieser Radikalität, dass er nur ja nicht der Pflasterstein in der Hölle wird, und da ist eines Tages ein Reh, eine Rehkuh erschienen und diese Rehkuh hat mit ihm gesprochen, denn er selbst hat schon ausgesehen wie ein Tier. Die Rehkuh hat zu ihm gesagt: „Bitte trink meine Milch, mein Junges ist getötet worden von einem Wolf, dass mein Euter nicht platzt, trink meine Milch.“ Und er hat die auch verstanden. Er war selber schon ein Tier, und die Rehkuh hat gesagt: „Wir alle sind doch Tiere.“ Und er hat gesagt: „Ich kann deine Milch nicht trinken, das kann ich nicht tun, weil das würd’ mir so wahnsinnig gut schmecken, das will ich nicht und dann werd’ ich wieder ein Weichling. Ich möchte lieber das faulige Wasser trinken.“ Und sie hat gesagt: „Aber schau, ja wenn du trinkst von mir, dann kann es sein, dass du einfach länger lebst.“ „Aber ich will nicht“, sagt er. Dann hat sie ihn überredet: „Wenn du länger lebst, dann kannst du auch länger dulden. Verstehst du?“ Das hat er dann eingesehen, hat er sich gedacht: „Das ist gut, weil wenn ich jetzt nicht trinke, werde ich bald sterben. Mein Dulderleben wird relativ kurz gewesen sein und dann werde ich vielleicht doch noch ein Pflasterstein in der Hölle.“ Und er hat getrunken von der Milch der Rehkuh. Die hat ihm unglaublich gut geschmeckt, er hat sich sofort verboten weiterzutrinken, aber es hat immerhin bewirkt, dass er lebt. Immer wieder hat er von dieser Milch getrunken und so hat er leben können. Er hat immer zu Gott gebetet, er möge ihm doch alle Qualen schicken, die er sich nur einfallen lassen kann. Ein bisschen bibelbelesen war er und hat gesagt: „Bitte mach aus mir doch einen zweiten Hiob und ich werde dafür sorgen, dass ich lange lebe, indem ich immer ein bisschen von der Milch trinke.“ Und so ist es gewesen. Er hat ausgesehen wie ein Tier, hat in einem hohlen Baum gelebt, zusammen mit dieser Rehkuh.
Eines Tages kam König Wamba. König Wamba war ein sehr sehr frommer König, der aber gerne auf die Jagd ging. Und der König Wamba ist hinter der Rehkuh her, die hat ihm gefallen. Er hat gesagt: „Die schieß ich!“ Die Rehkuh läuft dahin, läuft zu diesem hohlen Baum, in dem der Ägidius haust und der Ägidius kommt heraus und stellt sich vor seine Rehkuh hin und schreit den König Wamba an: „Wir alle sind Tiere und wenn du schon schießt, dann schieß auf mich und nicht auf dieses Reh, das ich beschützen möchte, weil es mir mein Leben gerettet hat.“ Der König Wamba hat ihn angeschaut und gesagt: „Ja, der sagt es ja selber – wir alle sind Tiere. Der sieht auch aus wie ein Tier. Das kann zwar reden …“ Aber das war zu einer Zeit, da ist das durchaus vorgekommen, dass Tiere reden konnten und Menschen das verstanden haben und er sagt: „Wenn der das selber schon sagt, ich soll auf ihn schießen, dann tu ich’s doch.“ Und er hat auf den Ägidius geschossen, der König Wamba. Ägidius ist niedergebrochen, lag da, schwer verwundet und hat ihn hier getroffen und der König Wamba hat gesagt: „Schauen wir uns das Tier doch mal näher an.“ Und hat zu seinen Leuten gesagt: „Rasiert den doch mal. Tut mal die Haare weg, dass man sieht wie das aussieht, dieses Tier.“ Er hat gesehen, das ist ein Mensch. Er hat gesehen, das ist ein Einsiedler – und Einsiedler