Die verkannten Grundlagen der Ökonomie. Riane Eisler

Die verkannten Grundlagen der Ökonomie - Riane Eisler


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als weiblich betrachtete Care-Arbeit in Wirtschaftstheorien und -modellen sichtbar zu machen, hat bis heute noch direkten negativen Einfluss auf wirtschaftliche Kennzahlen und Praktiken sowie die Wirtschaftspolitik.

      Manche werden nun sagen, dass Care-Arbeit sehr wohl wertgeschätzt wird und dabei auf die Blumen und Süßigkeiten zu Muttertag und die traditionelle Anerkennung der mütterlichen Arbeit verweisen. Doch in der Realität erfährt Mutterschaft keine Wertschätzung. Wäre es nämlich so, dann läge in den USA die Armutsrate älterer Frauen – von denen die Mehrheit Mütter sind – nicht deutlich höher als die älterer Männer.12 Dasselbe lässt sich für den deutschen Kontext feststellen.13 Und Frauen und Kinder würden dann auch nicht die Mehrheit der Armen in der Welt stellen.

      3.4 Wirtschaftskennzahlen, die Fürsorge und Care-Arbeit berücksichtigen

      Das Problem ist also nicht wissenschaftlicher oder technischer Natur. Es besteht vielmehr in der uns überlieferten, tief verwurzelten Dominanzkultur, die mit zweierlei Maß misst und in der Fürsorge und Care-Arbeit wenig bis gar nichts gelten – unabhängig davon, ob es sich um Fürsorge gegenüber anderen Menschen oder gegenüber unserer Mitwelt handelt.

      Manche Menschen denken, es sei unmöglich, die in Haushalten und anderen Wirtschaftsbereichen unbezahlt geleistete Care-Arbeit bei der wirtschaftlichen Bewertung mit zu berücksichtigen, da sie jenseits des Marktes stattfindet. Aber obwohl sich tatsächlich nicht alle Aspekte der Care-Arbeit in Geldwert erfassen lassen, ist es angesichts der Faktenlage schlichtweg falsch zu sagen, der wirtschaftliche Wert dieser Arbeit könne überhaupt nicht gemessen werden.

      Bereits in den 1930ern zeigte die Wirtschaftswissenschaftlerin Margaret Reid, wie man die unbezahlte Arbeit in den Haushalten statistisch erfassen kann.14 Und wie Marilyn Waring in ihrem grundlegenden Werk If Women Counted darlegt, waren bis zu den 1980ern bereits mehrere Methoden entwickelt worden, um die jenseits des Marktes geleistete Arbeit quantitativ zu erfassen.15

      Anfang der 1990er stellte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) drei Methoden vor, mit denen die außerhalb des Marktes in den Haushalten geleistete Arbeit und Produktion gemessen werden kann.16 Ein Ansatz war die Opportunitätskostenmethode. Diese basierte auf den entgangenen Gehaltsmöglichkeiten einer Frau, die sich – anstatt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen – um ihre Kinder oder Eltern kümmert, Subsistenzwirtschaft betreibt oder andere unbezahlte Arbeit verrichtet. Dem zweiten Ansatz lag ein weltweiter Vergleich zugrunde, der auf dem marktüblichen Gehalt einer angestellten Hauswirtschafterin basierte (was meines Erachtens eine unzulängliche Methode ist, da der Hausarbeit auf dem Markt ein so geringer Wert beigemessen wird). Der dritte Ansatz bediente sich der Ersatzkostenmethode, die den Wert der Haushaltstätigkeiten misst, indem sie eine Kombination der marktüblichen Gehälter in Gastronomie, Pflege, Gartenbau und anderen Berufen zugrunde legt. Diese Methode wurde 2012 für den Australian Report verwendet, der zeigte, dass die (immer noch hauptsächlich von Frauen geleistete) Care-Arbeit in Haushalten gut 50 Prozent des australischen BIP ausmachen würde – wenn sie denn bei dessen Berechnung berücksichtigt würde.17

      Zusätzlich zu diesen inputbasierten Methoden, die den Wert der Hausarbeit am Input wie zum Beispiel den Arbeitsstunden messen, hat das Internationale Forschungs- und Ausbildungsinstitut zur Förderung der Frau (INSTRAW) der Vereinten Nationen auch eine andere, outputbasierte Methode vorgeschlagen. Bei dieser Methode wird die Produktivität der Haushalte anhand des Marktwerts der von diesen zur Verfügung gestellten Produkten und Dienstleistungen gemessen. Als Grundlage dienen zum Beispiel die Preise für Mahlzeiten in einem Restaurant, professionelle Schülerhilfe und so weiter.

      Bereits 1985 wurde auf der Internationalen Weltfrauenkonferenz in Nairobi gefordert, dass die von Frauen unentgeltlich geleistete Arbeit in allen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen berücksichtigt werden müsse. Diese Forderung wurde auf der UN-Frauenkonferenz im Jahr 1995 in Peking wieder aufgegriffen und verstärkt, was auch im UN-Bericht über die menschliche Entwicklung von 1995 seinen Ausdruck fand – dieser beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Frauen und mahnte die Berücksichtigung der von Frauen unentgeltlich geleisteten Arbeit in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen an.

      In dem UN-Bericht wird der Wert dieser von Frauen unentgeltlich geleisteten Arbeit auf atemberaubende 11 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass »die Politik den ›unsichtbaren‹ Beitrag von Frauen nicht mehr wird ignorieren können, wenn die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen diesen vollständig wiedergeben«. Weiter steht in dem Bericht, dass »Frauen mehr Stunden als Männer arbeiten und sich in den meisten Gesellschaften wahrscheinlich als die Hauptversorgenden oder zumindest als ebenbürtige Versorgenden herausstellen würden, wenn ihre unbezahlte Arbeit angemessen bewertet würde.«18

      Auf Druck von Frauenorganisationen und der UN-Weltfrauenkonferenz empfahlen die Vereinten Nationen 1993 deutliche Änderungen bei der Erstellung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung: In einem neuen Berechnungssystem sollte die in Haushalten geleistete Arbeit in einem »Satellitenkonto« miteinbezogen werden. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer realistischeren internationalen Wirtschaftsbewertung, denn daran zeigt sich, dass es im Grunde genommen eine politische Frage und keine Frage statistischer Möglichkeiten ist, ob unbezahlte Care-Arbeit in Haushalten in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbezogen wird oder nicht.

      In Kapitel 9 werde ich neue Kennzahlen vorstellen, die vom Center for Partnership Studies entwickelt wurden. Es handelt sich dabei um wirtschaftliche Kennzahlen, die den sozialen Wohlstand messen und den wirtschaftlichen Wert von Care-Arbeit sowohl in der Marktwirtschaft als auch in den anderen Wirtschaftssektoren sichtbar machen. Die von dem Zentrum bereits 1996 durchgeführte Studie Women, Men, and the Global Quality of Life verglich anhand von Statistiken aus 89 Ländern Kennzahlen zum Status von Frauen mit Kennzahlen zur Lebensqualität und zeigte, dass der Status von Frauen aussagekräftige Rückschlüsse auf die allgemeine Lebensqualität eines Landes erlaubt.19

      Der Zusammenhang zwischen dem Status von Frauen und der allgemeinen Lebensqualität in einer Gesellschaft wurde auch durch andere Studien bestätigt, unter anderem durch die World Values Survey, die umfangreichste internationale Umfrage zum Thema Wertvorstellungen und deren Wechselspiel mit Wirtschaftsentwicklung und politscher Struktur.20 Auch Ronald Inglehart, Pippa Norris und Christian Wetzel beziehen sich in »Gender Equality and Democracy« auf die Ergebnisse des World Survey 2000 und stellen fest, dass (zusammen mit anderen gesellschaftlichen Veränderungen, die mit einem höheren Status von Frauen einhergehen) eine »Feminisierung des Führungsstils« in engem Zusammenhang mit der Verbreitung demokratischer Institutionen sowie mit einem Wandel der traditionellen autoritären Kindererziehung steht, was wiederum mit zunehmendem gegenseitigem Vertrauen, weniger Abhängigkeit von äußeren Autoritäten und einem wachsenden subjektiven Wohlbefinden sowie einem höheren Lebensstandard verbunden ist.21

      Werden in einer Gesellschaft Fürsorge und Care-Arbeit jedoch abgewertet, weil sie mit der »untergeordneten« weiblichen Hälfte unserer Spezies assoziiert werden, dann zeigt sich dort ein allgemein geringeres Maß an Fürsorge in Politik und Praxis. Dabei erfährt nicht nur »Frauenarbeit« wie die Pflege von Kindern, Alten und Kranken weniger Unterstützung, sondern Politik und Praxis weisen auch Defizite in den Bereichen Umweltschutz, Demokratie und Gerechtigkeit auf.

      Dieser Mangel an Fürsorge kommt uns wirtschaftlich teuer zu stehen: Hohe Kosten für das Strafvollzugssystem und die Polizeikräfte sowie enorme Unternehmenseinbußen durch Produktivitätsverluste sind lediglich der am deutlichsten erkennbare Preis, den wir gesellschaftlich, wirtschaftlich und menschlich für den Mangel an Fürsorge zahlen. Und dennoch versagen die aktuellen wirtschaftlichen Kennzahlen nicht nur, wenn es darum geht, diese Verluste zu berücksichtigen, sondern sie unterschlagen auch die enormen Gewinne, die eine Gesellschaft durch die von Männern und Frauen geleistete Fürsorge und Care-Arbeit erhält. Und solange Politiker dies nicht begreifen, werden sie eine verzerrte Wahrnehmung dessen haben, was wirtschaftlich produktiv ist.

      Eigentlich bräuchten wir keine Statistiken, um zu zeigen, dass Care-Arbeit die wertvollste, elementarste und menschlichste Tätigkeit ist. Ohne Fürsorge sterben wir, mit Fürsorge überleben


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