Der Mensch und seine Grammatik. Simon Kasper

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des modernen Standarddeutschen ist!

      Für die älteren Sprachstufen des Deutschen und Englischen gehe ich davon aus, dass ihre Syntaktifizierung noch nicht so weit fortgeschritten war, weil sich für die geschriebene Sprache noch keine breitenwirksamen, überregionalen und rückwirkenden, dezidiert schriftsprachlichen KonventionenKonvention dafür entwickelt hatten, wie mit freier handhabbaren Phänomenen wie Pronomen und Nullstellen umzugehen wäre. Wenn es Regelungen gegeben hat, so waren sie auf den geringsten Teil der Sprachbenutzerinnen begrenzt. Wir haben es in diesen Sprachstufen eher mit Geschriebenem zu tun, das durch die Merkmale gesprochener Sprache gekennzeichnet ist, als mit Schriftlichkeit, die auch eine spezifische (monologische, distanzierte und so weiter) Konzeption von Sprache erfordert, wie es in den modernen geschriebenen Standardsprachen der Fall ist.19

      Das Ganze hat eine intellektuell herausfordernde Konsequenz: Ich werde nachher aus der morphologischen und syntaktischen Klassifikation der deutschen und englischen Bibelübertragungen ableiten, welche Äußerungen in ihnen morphologisch und syntaktisch mehrdeutig sind, um mich schließlich der Frage zuwenden zu können, wie Interpretinnen die mehrdeutigen Äußerungen verstehen können. Bei der Klassifikation von Ein- beziehungsweise Mehrdeutigkeit ist nach den obigen Ausführungen beispielsweise damit zu rechnen, dass eine neuhochdeutsche Äußerung syntaktisch eindeutigeindeutigsyntaktisch ist, während ihr althochdeutsches Pendant, das morphologisch gleich aussieht, syntaktisch mehrdeutigmehrdeutigsyntaktisch ist. Wiese die neuhochdeutsche Übertragung also beispielsweise das Pendant zu dem althochdeutschen Satz in (18) auf, also Da gingen seine Jünger und [Ø] bereiteten die Ostern (‚das Osterlamm‘),20 müsste ich sagen, die Interpretation der Nullstelle als imaginäres Subjekt wäre im neuhochdeutschenNeuhochdeutsch Standard eigenstrukturell geregelt, während dies im AlthochdeutschenAlthochdeutsch nicht der Fall wäre.

      2.3.4 Zu den morphologischenMorphologie Eigenstrukturen in den Sprach(stuf)eSprach(stuf)en

      Die ausgewählten morphologischen Paradigmen im Anhang dieser Arbeit vermitteln einen Eindruck davon, mit wie viel morphologischer Mehrdeutigkeit wir es in den englischen und deutschen Sprachstufen zu tun haben. Die Paradigmen annähernd aller WortkategorienWortart oder -klassen darzustellen, überlasse ich den einschlägigen Grammatiken.1 Die Auswahl ist auf die Paradigmen derjenigen Wortklassen beschränkt, die mir die wichtigsten zu sein scheinen, also die, aus denen Äußerungen am ehesten zusammengesetzt sind. Sie sind auf der Basis der Texte erstellt, die ich untersuchen werde. Formen, die in diesen Texten nicht vorkommen, habe ich anhand der Grammatiken ergänzt beziehungsweise analogisch konstruiert.

      Gehen wir nun zu Illustrationszwecken davon aus, dass Äußerungen, die mehrdeutig zwischen Subjekt und Objekt sind, dadurch entstehen, dass die beiden fraglichen Satzglieder morphologisch mit dem finiten Verb kongruierenKongruenz und beide sowohl den Nominativ als auch den erforderlichen ObjektkasusKasus repräsentieren können. Ich kann eine solche Äußerung aus dem Paradigmabaukasten konstruieren, zum Beispiel dem altenglischenAltenglisch Baukasten, auch wenn das Resultat etwas seltsam anmuten mag: þa cempan hæfdon dagas ‚Die Soldaten hatten (die) Tage‘. Um diese oder eine beliebige andere Äußerung zu konstruieren, muss ich mich natürlich der Formen in den Zellen bedienen und diese können morphologisch mehrdeutigmehrdeutigmorphologisch oder eindeutigeindeutigmorphologisch sein. Dann kann ich etwas vereinfachend prognostizieren, dass in denjenigen Sprach(stuf)en mehr morphologisch mehrdeutige Äußerungen erwartbar sind, in denen auch mehr morphologisch mehrdeutige Formen vorkommen. (Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die betreffenden Äußerungen auch syntaktisch mehrdeutig wären.)

      Wenn man die einzelnen Paradigmen in den einzelnen Sprach(stuf)en inspiziert, stellt man fest, dass die älteren Sprachstufen weniger morphologisch mehrdeutige Formen aufweisen als die jüngeren Sprachstufen derselben Sprache. Insgesamt sehen wir ziemlich viele schattierte Formen, selbst wenn wir von den möglichen Mehrdeutigkeiten zwischen Objekten absehen. Aber wir müssen dabei beachten, dass eine morphologisch mehrdeutige Äußerung auch nur dann resultiert, wenn tatsächlich alle Formen, mit denen die relevanten Satzglieder der Äußerung gebildet werden, morphologisch mehrdeutig sind.

      Wenn wir auch noch einen prognostischen Blick auf die Objektkasus in den einzelnen Sprach(stuf)en werfen, sehen wir, dass insbesondere das MittelenglischeMittelenglisch und das NordniederdeutscheNordniederdeutsch in fast allen beziehungsweise allen Paradigmen ununterscheidbare Formen aufweisen. Wenn in diesen Sprach(stuf)en Äußerungen mit mehr als einem Objekt auftreten, dann können wir also entweder mit Äußerungen rechnen, die hinsichtlich ihrer Objekte grammatisch mehrdeutig sind, oder damit, dass eines der Objekte als Präpositionalobjekt auftritt, oder damit, dass ihrer ReihenfolgeReihenfolge instruktiverinstruktive Leistungen Wert zukommt.

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