Der Mensch und seine Grammatik. Simon Kasper
betrifft die imaginäre syntaktische Funktion der Nullstelle. In and hyne gebletsode in der Äußerung in (10) und in den späteren Teilsätzen in den Äußerungen (11) und (12) können wir sagen, dass die Eigenstruktur der Sprache erzwingt, dass die Nullstellen als Subjekte interpretiert werden: Die Vorstellung der Eventualität erfordert eine Gegenstandsvorstellung und das finite Verb bestimmt für den imaginären Gegenstandsausdruck Subjektspezifikationen.
Es gibt aber auch den viel selteneren Fall, dass eine Nullstelle nicht als Subjekt interpretiert werden kann, sondern als Objekt interpretiert werden muss, wie in der folgenden Äußerung.
Viel seltener ist dieser Fall deshalb, weil es – zumindest im Deutschen und Englischen – viel seltener vorkommt, dass das Subjekt ausgedrückt ist und das Objekt nicht, zumal in einem Imperativsatz. Hier unterscheiden sich die Eigenstrukturen der einzelnen Sprach(stuf)en aber erneut, nämlich darin, unter welchen Umständen ein Objekt in koordinierten Sätzen unausgedrückt bleiben kann. In der neuhochdeutschenNeuhochdeutsch Standardsprache und in den modernenHochalemannisch DialektenNordniederdeutsch wäre eine Äußerung, die analog zu der in (13) gebaut ist, kaum zu erwarten. Die entsprechenden Übertragungen ins Neuhochdeutsche und Hochalemannische enthalten denn auch ein Objekt.6
Dagegen hatte der mittelenglischeMittelenglisch Schreiber offenbar die Wahl, das Objekt entweder auszudrücken oder nicht. In den jüngeren Sprach(stuf)en geht das nur, wenn das Subjekt ebenfalls nicht ausgedrückt wird, oder wenn das Objekt im ersten Konjunkt fehlt, aber im zweiten steht – Der Eine mag (Ø) und der Andere hasst Fischsuppe –, oder wenn der Vorstellungsinhalt des Objektes das besonders hervorgehobene Thema in allen Konjunkten ist. Dieser letztere Fall wäre daran erkennbar, dass es am linken Satzrand stünde: Fischsuppe mag der Eine und (Ø) hasst der Andere. Eine Interpretin kann Der Eine und der Andere hier als Subjekte und die Nullstelle entsprechend als imaginäres Objekt interpretieren. Dagegen wirkt Der Eine mag Fischsuppe und der Andere hasst (Ø). unvollständig. Im zweiten Konjunkt fehlt ein Ausdruck für die Fischsuppe. Was hier also im Standarddeutschen nur unter spezifischen Bedingungen möglich ist, die positionell charakterisiert werden müssen, ist in den älteren Sprach(stuf)eSprach(stuf)en nicht eigenstrukturell geregelt.
In den bisher betrachteten Fällen konnte eine Interpretin eine Nullstelle entweder imaginär mit der syntaktischen Funktion ihres Partnerausdrucks oder, wo das durch die Eigenstruktur ausgeschlossen war, mit der imaginären Subjektfunktion füllen. Diese Strategie wird ihr bei dem folgenden Beispiel womöglich Probleme bereiten.
Das Problem besteht für die Interpretin darin, dass bereits im ersten Teilsatz – Do reck een … de Hand ut – die KasusKasus- und KongruenzformenKongruenz nicht zuverlässigHinweiszuverlässig instruieren. Es ist aufgrund der sprachlichen Eigenstruktur nicht klar, ob een … oder de Hand das Subjekt ist. Im zweiten Teilsatz – un trock sin Swert – ist sin Swert ebenfalls morphologisch mehrdeutig. Für mich besteht das Problem darin, dass ich beurteilen muss, ob die Entscheidung der Interpretin, wie sie im ersten Teilsatz die syntaktischen Funktionen identifiziert, Einfluss darauf hat, wie sie sie im zweiten identifizieren kann.
Wenn wir annehmen, een … sei das Subjekt und der Partnerausdruck der Nullstelle, kann oder muss dann die Nullstelle auch als imaginäres Subjekt identifiziert werden? Oder kann die Nullstelle auch als imaginäres Objekt identifiziert werden: ‚Da streckte einer die Hand aus und (ihn) zog sein Schwert‘? Im NeuhochdeutschenNeuhochdeutsch, in dem Einer nicht offen für beide syntaktische Funktionen ist, erscheint die Objektlesart für die Nullstelle unmöglich. Sie erschiene auch dann noch unmöglich, wenn es Einen hieße und dieser Ausdruck das Objekt wäre. Wenn es überhaupt gehen soll, so scheint es, wäre eine Mindestanforderung, dass der Partnerausdruck der Nullstelle morphologisch mehrdeutig zwischen Subjekt- und Objektkasus ist. Es gibt historische Belege, in denen Schreiber den Interpretinnen einen solchen Wechsel der syntaktischen Funktion tatsächlich abfordern.
It ‚es‘ muss hier als Subjekt des ersten Teilsatzes und als imaginäres Objekt des zweiten Teilsatzes identifiziert werden. Die Bedingung dafür scheint zu sein, dass die Form it morphologisch mehrdeutig und damit offen für eine Subjekt- und eine Objektauffassung ist.
Sollen wir daraus schließen, dass die sprachliche Eigenstruktur in den deutschen und englischen Sprach(stuf)eSprach(stuf)en unter diesen Bedingungen nicht regelt, was als Subjekt oder Objekt zu identifizieren ist, und dass die entsprechenden Äußerungen syntaktisch mehrdeutig sind? Meines Erachtens spricht der verschiedenartige Umgang der Sprach(stuf)en mit imaginären Nullobjekten dagegen, hier alle Sprach(stuf)en gleich zu behandeln. Die Möglichkeit imaginärer Nullobjekte ist aber neben der relativ freien Reihenfolge zwischen Subjekten und Objekten (und Verben) eine Voraussetzung dafür, dass auch Äußerungen wie die in (17) möglich sind. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Interpretinnen in der neuhochdeutschen Standardsprache und den modernenHochalemannisch DialektenNordniederdeutsch die Nullstelle in (16) als imaginäres Subjekt interpretieren müssen, und zwar unabhängig davon, wie sie die syntaktischen Funktionen im ersten Konjunkt identifizieren. Um die Nullstelle als imaginäres Objekt identifizieren zu können, steht der Partnerausdruck een …, der ebenfalls Objekt sein muss, nicht weit genug am linken Satzrand. Hieße es Een … (OBJ) reck de Hand (S) und trock sin Swert (S), wäre es ihnen vielleicht möglich. Anders in den älteren Sprach(stuf)en. Dort könnte eine Nullstelle wie in der Äußerung in (16) wahrscheinlicher als imaginäres Objekt fungieren, wieder unabhängig davon, wie die syntaktischen Funktionen im morphologisch mehrdeutigen ersten Konjunkt identifiziert werden.7
Nun ist entscheidbar, wie ich im Rahmen der DeutungsarbeitArbeit an den neutestamentlichen Texten mit diesen beweglichen Grenzen der Eigenstruktur umgehen werde. Die Vorstellungsinhalte, die für die Interpretation von Pronomen gesucht werden müssen, sind nur bezüglich der textlichen Domäne eigenstrukturell geregelt, in der die Interpretinnen sie suchen können. Innerhalb dieser Domänen ist nicht mehr hinreichend eigenstrukturell geregelt, welchen Vorstellungsinhalt sie heranziehen müssen, um zu der richtigen Interpretation zu gelangen. Wenn die pronomenhaltigen (Teil-)Sätze morphologisch oder syntaktisch eindeutigeindeutiggrammatisch sind, spielt der konkrete herangeholte Vorstellunginhalt ohnehin keine Rolle für die Identifikation der syntaktischen Funktionen und semantischen Rollen.
Bei den Nullstellen in koordinierten Äußerungen gehe ich davon aus, dass die Interpretation der Nullstelle als imaginäres Subjekt des Teilsatzes in allen Sprach(stuf)eSprach(stuf)en verpflichtend ist, wenn in diesem Teilsatz ein Subjekt nicht bereits ausgedrückt ist, aber vom Verb eines erfordert wird und kein anderes Satzglied als Subjekt in Frage kommt. Diese Bedingungen sind in den Beispielen (10) – im Teilsatz mit gebletsode – und in (11), (12), (14) und (15) erfüllt. Ebenfalls für alle Sprach(stuf)en gilt, dass die Nullstelle als imaginäres Objekt interpretiert werden muss, wenn eines erfordert wird und wenn bereits ein Subjekt vorhanden ist, wie in den Beispielen in (13) und (17), wo ȝe beziehungsweise regintheoƀos schon die Subjekte sein müssen. In den jüngeren Sprach(stuf)en kann eine Nullstelle in einem koordinierten Teilsatz aber nur dann als imaginäres Objekt interpretiert werden, wenn sein ausgedrücktes Pendant im anderen Konjunkt hervorgehoben am linken Satzrand steht oder wenn das Subjekt auch fehlt. Die Konjunkte müssen also hinsichtlich der relativen Positionen der Elemente und hinsichtlich der KasusKasus und der syntaktischen Funktionen parallel strukturiert sein. Damit können Äußerungen, die wie (16) organisiert sind, nur in älteren Sprach(stuf)en mit einem imaginären Nullobjekt interpretiert werden!8 Die Bedingungen, unter denen ein Objekt unausgedrückt bleiben kann, können für die älteren Sprach(stuf)eSprach(stuf)en also nicht ausschließlich mittels eigenstruktureller Kategorien formuliert werden. Zudem fehlt