Die Clique. Mary McCarthy
Als Absolventinnen des Vassar Colleges sind die Mitglieder der Clique nämlich davon überzeugt, dass sie die Welt verändern werden. Doch dann müssen sie nicht nur erkennen, dass sie die Welt nicht verändern können, sondern dass ihr Überleben vielmehr nach wie vor von der eigenen Akzeptanz abhängt, dem »anderen Geschlecht« anzugehören.
Als Feministin und hochpolitischer Mensch war McCarthy davon überzeugt, dass ein Roman keineswegs nur der bloßen Unterhaltung dienen sollte. In einem Beitrag, der 1981 in der New York Times erschien, schrieb McCarthy, dass sich der klassische Roman »infolge von Ideen und öffentlichen Debatten über gesellschaftspolitische Themen, Politik und Religion, über den Freihandel oder die Frauenfrage, die amerikanische Weltmachtstellung, politische und gesellschaftliche Reformen etc. entwickelt und an Bedeutung gewonnen hat. Ein seriöser Roman muss sich zwingend mit solchen aktuellen Fragen und ihrer Bedeutung in Hinblick auf Macht, Geld, Sex und Gesellschaft auseinandersetzen.«
McCarthys Entschlossenheit, das Leben so zu akzeptieren, wie es war, entgegen der Wunschvorstellung davon, wie es hätte sein sollen, ist zweifellos auf ihre eigene schwierige Kindheit und Jugend zurückzuführen. Nachdem beide Eltern 1918 einer verheerenden Grippeepidemie zum Opfer gefallen waren, blieb die erst Sechsjährige als Vollwaise zurück und wuchs bei streng katholischen Verwandten auf, wo sie mit harter Hand erzogen und missbraucht wurde. Ihre Unschuld verlor sie mit vierzehn und fortan stand fest, dass sie Ehe und Sex niemals als angenehm oder gar lustvoll empfinden würde. In ihrem Buch Intellectual Memoirs (USA 1992; dt.: Memoiren einer Intellektuellen, 1997) beschreibt sie ihren zweiten Ehemann, den Kritiker Edmund Wilson, als »keuchenden, fetten, alten Mann mit Mundgeruch.« Sie behauptet, ihn nie geliebt und in die Ehe nur eingewilligt zu haben »zur Strafe dafür, mit ihm ins Bett gegangen zu sein.«
Auch wenn sich der Groll aus diesen Zeilen nur unschwer herauslesen lässt, zeigen sie zugleich doch McCarthys Scharfsinn, Sarkasmus und tiefschwarzen Humor, welche sie glänzend einzusetzen verstand, um tiefe Verbitterung in Satire zu verwandeln. In Die Clique wird ein Mann beschrieben, der »durch und durch nichts taugte, aber das waren natürlich gerade die Männer, die anständigen Frauen das Herz brachen.« Später erkennt Priss, eine der Heldinnen, dass in ihrem Mann »etwas steckte, dem sie misstraute, und das sie sich nicht anders erklären konnte als damit, dass er Republikaner war.« Indessen befällt Polly, eine weitere Heldin, mit sechsundzwanzig die Angst vor dem Alter, denn »schon jetzt behandelten einige ihrer Freundinnen sie wie eine Trouvaille aus einem Trödelladen – wie ein leicht beschädigtes Stück antiken Porzellans.«
McCarthy übt sich also nicht gerade in Zurückhaltung in Bezug auf ihren Plot und ihre Protagonisten. Leser, die vor allem Wert auf »sympathische Charaktere« legen, werden vermutlich eine gewisse Irritation empfinden angesichts der Tatsache, dass die Heldinnen der Clique ausnahmslos alle mit Fehlern behaftet sind: Sie sind je nachdem vom Ehrgeiz zerfressen, verwirrt, teilnahmslos, leiden unter Angststörungen, sind arrogant oder zickig; McCarthy entwirft die Persönlichkeit ihrer Protagonisten nicht, damit sie dem Leser gefallen, noch lässt sie sich dazu herab, sie von ihrem Schicksal zu erlösen. Vielmehr entwickelt sich das Leben ihrer Charaktere mit logischer und absolut realistischer Konsequenz.
Seit mir vor rund 15 Jahren Die Clique wieder in die Hände gefallen ist, habe ich das Buch wohl an die zehn Mal gelesen. Es ist ein grandioses Buch, nicht nur wegen des hinreißend spöttischen Stils, sondern auch wegen der großartigen Erzähltechnik, der glänzenden Monologe und scharfsinnigen Schilderungen. Jedes Mal, wenn ich das Buch lese, werde ich von Ehrfurcht ergriffen angesichts McCarthys schriftstellerischer Qualitäten. Ich bin ziemlich sicher, dass ich nie ein Buch wie Die Clique zustande bringen werde, aber Mary McCarthy wird mich immer inspirieren.
Aus dem Amerikanischen von Sophia Sonntag
ERSTES KAPITEL
Im Juni 1933, eine Woche nach dem College-Abschluss, wurde Kay Leiland Strong, Vassar Jahrgang 1933, mit Harald Petersen, Reed Jahrgang 1927, in der Kapelle der episkopalischen St.-George-Kirche, die Pfarrer Karl F. Reiland unterstand, getraut. Sie war die Erste aus ihrem Jahrgang, die heiratete. Die Bäume draußen auf dem Stuyvesant Square waren dicht belaubt und die Hochzeitsgäste, die zu zweien und dreien in Taxis vorfuhren, konnten den Lärm der Kinder hören, die in den Anlagen am Stuyvesant-Denkmal spielten. Während sie den Fahrer bezahlten und sich die Handschuhe glatt strichen, sahen sich die jungen Frauen, Kays Studienkolleginnen, neugierig um, als seien sie in einer völlig fremden Stadt. Sie waren erst jetzt dabei, New York zu entdecken, obwohl manche von ihnen seit ihrer Geburt hier lebten, in langweiligen, klassizistischen Häusern mit viel zu viel Platz in einer der Achtziger Straßen oder in einer der eleganten Etagenwohnungen an der Park Avenue. Darum faszinierten sie solche abgelegenen Winkel wie dieser hier mit seinen Grünflächen und dem Quäker-Gemeindehaus aus rotem Backstein, das mit blanken Messingbeschlägen und weißem Stuck direkt neben die weinrote Kirche gebaut war. Sonntags bummelten sie mit ihren Verehrern über die Brooklyn-Bridge und erforschten die verschlafenen Brooklyn Heights. Sie durchstreiften die vornehme Wohngegend von Murray Hill und die malerischen Viertel MacDougal Alley, Patchin Place und Washington Mews mit den vielen Künstler-Ateliers. Sie entzückten sich am Plaza Hotel und seinem Springbrunnen, an den grünen Markisen des Savoy Plaza, an den Pferdedroschken und bejahrten Kutschern, die dort wie auf einer französischen Place darauf warteten, sie zu einer Fahrt durch den abendlichen Central Park zu animieren.
An jenem Morgen war ihnen recht abenteuerlich zumute, als sie behutsam in der stillen, fast leeren Kirche Platz nahmen. Eine Hochzeit, zu der die Braut persönlich und mündlich einlud, ohne dass ein Verwandter oder eine ältere, mit der Familie befreundete Person sich einschaltete, hatten sie noch nicht erlebt. Auch die Flitterwochen sollten, wie man hörte, ausfallen, weil Harald (er gebrauchte diese alte skandinavische Schreibweise) als Inspizient bei einer Theaterinszenierung tätig war und, wie gewöhnlich, auch heute Abend zur Stelle sein musste, um die Schauspieler abzurufen. Das fanden die Mädchen schrecklich aufregend, und das rechtfertigte natürlich auch die eigentümlichen Begleitumstände der Hochzeit: Kay und Harald waren eben viel zu beschäftigt und zu dynamisch, als dass sie sich durch Konventionen hätten behindern lassen. Im September wollte Kay bei Macy’s, dem großen Warenhaus, anfangen, um sich gemeinsam mit anderen ausgesuchten Studentinnen mit den verschiedenen Verkaufstechniken vertraut zu machen. Weil sie aber den Sommer über nicht herumsitzen und auf ihren Einstellungstermin warten wollte, hatte sie sich bereits für einen Schreibmaschinenkurs in einer Handelsschule gemeldet, der ihr nach Haralds Meinung einen Vorsprung gegenüber den anderen Lehrlingen geben würde. Und laut Helena Davison, Kays Zimmergenossin aus ihrem Juniorenjahr, war das Brautpaar, das noch kein einziges Stück Wäsche oder Silber besaß, für den Sommer in eine möblierte Wohnung in einem hübschen Block in den östlichen Fünfziger Straßen gezogen. Ja, die beiden hatten (wie Helena soeben mit eigenen Augen festgestellt hatte) die vergangene Woche, seit dem Examen, auf den in der Untermiete enthaltenen Bettlaken der eigentlichen Wohnungsinhaber geschlafen!
Das war echt Kay, meinten die Mädchen gerührt, als die Geschichte in den Kirchenbänken die Runde machte. Sie fanden, Kay habe sich durch einen Kurs in Verhaltenslehre bei der alten Miss Washborn (die ihr Gehirn testamentarisch einem Forschungsinstitut vermacht hatte) sowie durch die Regiearbeit unter Hallie Flanagan erstaunlich verändert: Aus einem scheuen, hübschen, etwas fülligen Mädchen aus dem Westen mit glänzender schwarzer Lockenpracht und dem Teint einer Wildrose, einer eifrigen Hockeyspielerin und Chorsängerin, die stramm sitzende Büstenhalter trug und zu starken Menstruationen neigte, war eine magere, zielstrebige, bestimmt auftretende junge Frau geworden, die in blauen Arbeiterhosen, baumwollenen Sporthemden und Tennisschuhen herumlief, Farbspritzer im ungewaschenen Haar, Nikotinflecken an den Fingern, die nonchalant von Maltechniken, von Triebleben und Nymphomanie sprach, die ihre Vorgesetzten beim Vornamen und ihre Freundinnen mit schmetternder Stimme beim Nachnamen nannte – »Eastlake«, »Renfrew«, »MacAusland« – und voreheliche Erfahrung und Partnerwahl nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten empfahl. Liebe, erklärte sie, sei eine Illusion.
Die Mitglieder ihrer Clique, die jetzt alle sieben in der Kirche zugegen waren, hatten Kays Entwicklung beunruhigend gefunden, nannten sie jedoch nachsichtig eine »Phase«. Gewiss, Hunde, die bellen, beißen nicht, vergewisserten