Die Clique. Mary McCarthy
oder weniger aus eigener Kraft emporgearbeitet hatte. Immerhin, heutzutage, bei dieser Wirtschaftskrise, konnte sich keiner leisten, auf andere herabzusehen. Connie Storeys Verlobter, der Journalist werden wollte, arbeitete jetzt als Laufbursche bei Fortune, und Connies Eltern nahmen es, statt laut zu protestieren, sehr gelassen hin und schickten ihre Tochter nun in einen Kochkurs. Viele akademisch gebildete Architekten waren in Fabriken gegangen, um sich mit den Problemen der Formgestaltung vertraut zu machen, statt Häuser für reiche Leute zu bauen. Man denke an Russel Wright, den heute alle Welt bewunderte; er verwendete Industriestoffe wie das fabelhafte Aluminium für Gebrauchsgegenstände, z. B. Käseplatten und Wasserkaraffen. Kays erstes Hochzeitsgeschenk, das sie sich selbst ausgesucht hatte, war ein Russel-Wright-Cocktailshaker aus Eichensperrholz und Aluminium in Form eines Wolkenkratzers – er war federleicht und lief natürlich nicht an – mit einem dazu passenden Tablett und zwölf runden Becherchen. Hauptsache war schließlich, dass Harald ein geborener Gentleman war – obgleich er in seinen Briefen gern angab, aber wohl nur, um Kay zu imponieren, die selbst gern mit Namen um sich warf, mit den Butlern ihrer Freundinnen angab und den armen Harald als Yale-Studenten vorstellte, obgleich er doch nur die Yale Drama School in New Haven besucht hatte … Das war ein Zug an Kay, den die Clique nach Möglichkeit übersah, der Lakey jedoch rasend machte: ein Mangel an Differenzierungsvermögen und Rücksicht auf andere. Für die feineren gesellschaftlichen Unterschiede fehlte Kay einfach das Organ. Andauernd rannte sie in fremde Zimmer, wühlte dort zwischen den Sachen auf dem Schreibtisch herum und hielt den Bewohnern, wenn diese dagegen protestierten, vor, sie litten unter Hemmungen. Sie hatte auch auf dem Wahrheitsspiel bestanden, bei dem jede eine Liste anfertigen musste, auf der sie die anderen in der Reihenfolge ihrer Sympathie aufführte. Die Listen wurden dann untereinander verglichen. Sie hatte jedoch nicht bedacht, dass auf jeder Liste eine die Letzte sein musste, und wenn es dann Tränen gab, war Kay ehrlich erstaunt. Sie fände nichts dabei, die Wahrheit über sich zu erfahren. Allerdings hörte sie diese nie, weil die anderen viel zu taktvoll waren, Kay als Letzte auf ihre Liste zu setzen, so gern sie es manchmal getan hätten. Denn Kay war mehr oder weniger eine Außenseiterin, und das wollte niemand sie fühlen lassen. Man setzte lieber Libby MacAusland oder Polly Andrews an die letzte Stelle, jedenfalls ein Mädchen, das man zeitlebens kannte oder mit dem man zur Schule gegangen war. Freilich versetzte es Kay einen ziemlichen Schock, als sie sich nicht an erster Stelle auf Lakeys Liste fand. Sie war in Lakey vernarrt und nannte sie immer ihre beste Freundin. Doch sie ahnte nicht, dass die Clique wegen der Osterferien mit Lakey einen Kampf ausgefochten hatte. Man hatte Strohhalme gezogen, um auszulosen, wer Kay für die Ferien einladen sollte, und als das Los auf Lakey fiel, wollte sie kneifen. Sie waren über sie hergefallen und hatten ihr mangelnden Sportsgeist vorgeworfen, was ja auch stimmte. Schließlich und endlich hatte sie ja Kay zu der ursprünglichen Sechser-Clique gebracht, als ihnen noch zwei Mitglieder fehlten, um den Südturm für sich zu bekommen. Es war Lakeys Idee gewesen, Kay und Helena Davison aufzufordern, sich mit ihnen zusammenzutun und die beiden kleinen Einzelzimmer zu beziehen.
Wenn man jemand ausnutzen will, muss man ihn hinnehmen, wie er ist. Aber »ausnutzen« war sowieso nicht das richtige Wort. Sie alle mochten Kay und Helena, auch Lakey, die Kay in ihrem zweiten Jahr kennengelernt hatte, als beide wegen ihrer Schönheit, Popularität und guten Noten in die erlauchte Gesellschaft der Daisy Chain gewählt wurden. Sie hatte immer zu Kay gehalten, weil Kay, wie sie sagte, sich formen ließ und bildungsfähig war. Jetzt wollte sie herausgefunden haben, dass Kay auf tönernen Füßen stand, was eigentlich unlogisch war, denn ließ Ton sich etwa nicht formen? Aber Lakey war unlogisch, darin bestand ihr Charme. Sie konnte ein fürchterlicher Snob sein und dann wieder das genaue Gegenteil. Heute Morgen zum Beispiel machte sie ein finsteres Gesicht, weil Kay sich ihrer Meinung nach in aller Stille auf dem Standesamt hätte trauen lassen sollen, statt von Harald, dem das nicht in die Wiege gelegt worden war, zu verlangen, dass er eine Hochzeit in J. P. Morgans Kirche durchsteht. Zu Kay hatte sie selbstverständlich kein Wort davon gesagt, weil sie erwartete, Kay werde das selber merken. Doch gerade dazu war die sture, ungehobelte, leichtfertige Kay, die sie alle trotz ihrer Fehler liebten, außerstande. Lakey hatte oft die merkwürdigsten Vorstellungen von anderen Menschen. Seit vorigem Herbst war sie von der fixen Idee besessen, dass Kay sich aus Gründen des Prestiges der Clique aufgedrängt habe. Das war nun keineswegs der Fall und passte ja wohl auch kaum zu einem derart unkonventionellen Mädchen, das nicht einmal die eigenen Eltern zu ihrer Hochzeit einlud, obwohl ihr Vater in Salt Lake City ein angesehener Mann war.
Gewiss, Kay hatte versucht, das Stadthaus der Protheros für den Empfang zu bekommen, sich aber ohne Groll damit abgefunden, als Pokey laut jammernd erklärte, das Haus sei im Sommer geschlossen und ihr Vater werde die paar Male, die er in der Stadt übernachte, vom Hausmeisterehepaar versorgt. Arme Kay! Einige der Mädchen fanden, Pokey hätte sich ein bisschen großzügiger zeigen und ihr eine Gästekarte für den Colony Club anbieten können. Ja, in dieser Hinsicht hatten alle ein etwas schlechtes Gewissen. Jede von ihnen verfügte, wie die anderen wohl wussten, über ein Haus, eine große Wohnung, einen Club (und sei es nur der Cosmopolitan) oder notfalls über das Junggesellenheim eines Cousins oder Bruders, das man Kay hätte anbieten können. Aber das hätte Punsch, Champagner, eine Torte von Sherry’s oder Henri’s und Servicepersonal bedeutet – und ehe man sich’s versah, war man es selber, der die Hochzeit ausrichtete und einen Vater oder Bruder als Brautführer lieferte. In heutiger Zeit musste man, wie Mama erschöpft zu sagen pflegte, aus reinem Selbstschutz vorsichtig sein; es traten so viele Anforderungen an einen heran. Zum Glück hatte Kay beschlossen, mit Harald zusammen das Hochzeitsfrühstück selbst zu geben, und zwar in dem alten Brevoort-Hotel in der 8th Street, was so viel netter und passender war.
Dottie Renfrew und Elinor Eastlake verließen gemeinsam die Kirche und traten hinaus in die Sonne. Der Ring war nicht gesegnet worden. Dottie runzelte die Stirn und räusperte sich: »Glaubst du«, wagte sie sich mit ihrer Bassstimme vor, »dass sie nicht doch irgendjemand als Brautführer hätte finden können? War da nicht ein Vetter in Montclair?« Elinor zuckte die Achseln. »Das hat nicht geklappt«, erwiderte sie.
Libby MacAusland, Studentin der Anglistik aus Pittsfield, trat jetzt hinzu. »Was gibt’s, was ist los? Auseinander, ihr Mädels!« Sie war eine große, hübsche Blondine, die ihre braunen Augen fortwährend aufriss, ihren Schwanenhals neugierig reckte und von einer etwas aufdringlichen Freundlichkeit war. In ihrem ersten Semester war sie Klassensprecherin gewesen, und um ein Haar wäre sie Präsidentin der Studentenschaft geworden. Dottie legte eine warnende Hand auf Lakeys seidenen Ellenbogen; Libby war bekanntlich eine hemmungslose Klatschbase und Schwätzerin. Lakey schüttelte Dotties Hand mit einer leichten Bewegung ab, sie hasste jede körperliche Berührung. »Dottie fragte gerade«, sagte sie mit Nachdruck, »ob es da nicht einen Cousin in Montclair gab?« Ein kaum merkliches Lächeln lag auf dem Grund ihrer grünen Augen, deren Iris ein eigentümlicher dunkelblauer Ring umrandete, ein Merkmal ihres Indianerbluts. Sie hielt nach einem Taxi Ausschau. Libby spielte übertrieben die Nachdenkliche und tippte mit einem Finger an die Mitte ihrer Stirn. »Ich glaube, es gibt tatsächlich einen«, stellte sie fest und nickte dreimal hintereinander. Lakey hob die Hand, um ein Taxi heranzuwinken. »Kay hat ihren Cousin verschwiegen, weil sie hoffte, eine von uns würde ihr etwas Besseres liefern.« – »Aber Lakey!«, hauchte Dottie und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Wirklich, Lakey«, kicherte Libby, »nur du kannst auf so was kommen.« Sie zögerte. »Wenn Kay tatsächlich einen Brautführer haben wollte, so hätte sie schließlich nur ein Wort zu sagen brauchen. Mein Vater oder mein Bruder hätten gern, jeder von uns hätte gern …« Ihre Stimme brach ab. Ihr schmaler Körper schwang sich in das Taxi, wo sie sich auf den Klappsitz setzte und mit grüblerischem Blick, das Kinn in die Hand gestützt, ihre Freundinnen betrachtete. Ihre Bewegungen waren rasch und unruhig – sie selbst sah sich als ein hochgezüchtetes, stürmisches Wesen, wie ein Araberhengst auf einem naiven englischen Jagdstich. »Glaubst du wirklich?«, wiederholte sie eindringlich und biss sich auf die Oberlippe. Aber Lakey sagte kein Wort mehr. Sie begnügte sich meist mit Andeutungen, weswegen man sie auch die Mona Lisa des Raucherzimmers genannt hatte.
Dottie Renfrew war bekümmert. Ihre behandschuhten Finger zerrten unentwegt an der Perlenkette, die sie zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag bekommen hatte. Ihr Gewissen bedrängte sie, was sich bei ihr gewohnheitsmäßig in einem leisen Hüsteln äußerte, das wiederum ihre Eltern so besorgt stimmte, dass sie Dottie zweimal im Jahr, zu Weihnachten und zu Ostern, nach Florida