Die Clique. Mary McCarthy

Die Clique - Mary  McCarthy


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auf dem Klappsitz herum. Beide Mädchen starrten auf Elinors ovales, unbewegtes Gesicht. Elinors Augen wurden schmal, sie griff an ihren blauschwarzen Nackenknoten und steckte eine Haarnadel fest. »Nein«, sagte sie verächtlich, »das wäre ein Eingeständnis von Schwäche gewesen.«

      Libby traten die Augen aus dem Kopf. »Wie hart du sein kannst«, sagte sie bewundernd. »Und dennoch betet Kay dich an«, sinnierte Dottie. »Früher mochtest du sie am liebsten, Lakey. Im Grunde deines Herzens ist es, glaube ich, wohl noch heute so.« Lakey lächelte über das Klischee. »Mag sein«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. Gegenwärtig mochte sie Mädchen wie Dottie, die eindeutig waren, wie ein Bild, das sich einem bestimmten Stil oder einer Schule zuordnen ließ. Die Mädchen, denen Lakey ihre Gunst schenkte, konnten sich meist nicht erklären, was ihr an ihnen gefiel. Sie empfanden mit einer gewissen Demut, dass sie völlig anders waren als Lakey. Untereinander sprachen sie oft über sie, wie etwa Spielzeuge über ihren Besitzer, und kamen zu dem Schluss, dass sie furchtbar unmenschlich sei. Aber das steigerte ihren Respekt für sie. Außerdem war Lakey sehr unbeständig, weswegen sie eine große Seelentiefe bei ihr vermuteten. Als das Taxi jetzt von der 9th Street in Richtung Fifth Avenue fuhr, fasste Lakey wieder einen ihrer plötzlichen Entschlüsse. »Ich möchte aussteigen«, befahl sie mit ihrer leisen, klaren, wohlklingenden Stimme. Der Fahrer hielt sofort, wandte sich um und sah zu, wie sie ausstieg, trotz ihrer Zerbrechlichkeit recht hoheitsvoll, in einem hochgeschlossenen schwarzen Taftkostüm mit weißem Seidenschal, einem kleinen melonenförmigen Hut und schwarzen Schuhen mit sehr hohen Absätzen. »Nun fahren Sie schon«, rief sie ungeduldig über die Schulter, als das Taxi noch immer hielt.

      Die beiden Mädchen im Wagen sahen sich fragend an. Libby MacAusland streckte ihren Goldkopf, den ein Blumenhut zierte, aus dem Fenster. »Kommst du nicht mit?«, rief sie. Sie bekam keine Antwort. Sie sahen die aufrechte kleine Gestalt durch die Sonne auf den University Place zugehen. »Folgen Sie ihr«, sagte Libby zu dem Fahrer. »Dann muss ich um den Block herumfahren, meine Dame.« Das Taxi bog in die Fifth Avenue ein und fuhr am Brevoort vorbei, wo die übrigen Hochzeitsgäste gerade eintrafen. Es fuhr weiter die 8th Street hinauf und zurück zum University Place. Doch von Lakey war weit und breit nichts mehr zu sehen. Sie war verschwunden.

      »Na so was!«, rief Libby. »Habe ich etwas Dummes gesagt?« – »Fahren Sie noch mal um den Block«, fiel Dottie ruhig ein. Vor dem Brevoort stiegen Kay und Harald gerade aus einem Taxi, die beiden erschrockenen Mädchen bemerkten sie nicht. »Ob sie sich plötzlich entschlossen hat, den Empfang sausen zu lassen?«, fuhr Libby fort, als das Taxi zum zweiten Mal erfolglos um den Block gefahren war. »Ich muss wirklich sagen, sie schien ja von Kay überhaupt nichts mehr wissen zu wollen.« Das Taxi hielt vor dem Hotel. »Was machen wir nun?«, fragte Libby. Dottie öffnete ihre Handtasche und reichte dem Fahrer einen Schein. »Lakey tut, was sie für richtig hält«, sagte sie beim Aussteigen energisch zu Libby. »Wir erzählen einfach, dass ihr in der Kirche schlecht geworden ist.« Libbys hübsches, knochiges Gesicht zeigte Enttäuschung, sie hatte sich schon auf einen Skandal gefreut.

      In einem Extrazimmer des Hotels standen Kay und Harald auf einem verblassten geblümten Teppich und nahmen die Glückwünsche ihrer Freunde entgegen. Man reichte einen Punsch, über den die Gäste in Entzücken ausbrachen: »Was ist es?« – »Einfach köstlich.« – »Wie bist du darauf gekommen?« Und so weiter. Kay gab jedem das Rezept. Die Grundlage bestand aus einem Drittel Jersey-Apfelschnaps, einem Drittel Ahornsirup und einem Drittel Zitronensaft, dem White-Rock-Whiskey beigefügt war. Harald hatte den Apfelschnaps von einem befreundeten Schauspieler bekommen, der ihn seinerseits von einem Bauern bei Flemington bezog. Der Punsch war die Abwandlung eines Cocktails, der Applejack Rabbit hieß. Das Rezept war ein Eisbrecher. Genau das hatte Kay sich von ihm erhofft, wie sie Helena Davison zuflüsterte. Jeder kostete ihn prüfend und stimmte mit den anderen darin überein, dass das Besondere daran der Ahornsirup sei. Ein großer Mann mit strubbeligem Haar, der beim Radio tätig war, machte Witze über Jersey Lightning und erklärte dem gutaussehenden jungen Mann mit der gestrickten grünen Krawatte, das Zeug habe es in sich. Man sprach über Apfelschnaps im Allgemeinen und dass er die Menschen streitsüchtig mache. Die Mädchen lauschten gebannt, bis zum heutigen Tage hatte keine von ihnen je Apfelschnaps getrunken. Harald erzählte von einem Drugstore in der 59th Street, wo man rezeptpflichtigen Whiskey ohne Rezept bekomme. Polly Andrews besorgte sich vom Kellner einen Bleistift, um sich die Adresse aufzuschreiben. Im Sommer wollte sie in Tante Julias Wohnung allein hausen und brauchte deshalb gute Tipps. Dann erzählte Harald von einem Likör, der Anisette hieß. Ein Italiener vom Theaterorchester hatte ihm beigebracht, wie man ihn aus reinem Alkohol, Wasser und Anisöl, das ihm eine milchige Farbe wie Pernod verlieh, herstellte. Dann erzählte er von einem armenischen Restaurant, wo es zum Nachtisch ein Gelee aus Rosenblättern gab, und verbreitete sich über die Unterschiede zwischen türkischer, armenischer und syrischer Küche. »Wo hast du nur diesen Mann aufgetrieben?«, riefen die Mädchen wie aus einem Munde.

      In der Pause, die nun eintrat, leerte der junge Mann mit der gestrickten Krawatte ein Glas Punsch und trat zu Dottie Renfrew. »Wo ist die dunkle Schönheit?«, erkundigte er sich in vertraulichem Tonfall. Auch Dottie senkte die Stimme und blickte nervös in die andere Ecke des Speisesaals, wo Libby MacAusland mit Zweien aus der Clique tuschelte. »Ihr wurde in der Kirche schlecht«, murmelte sie. »Ich habe es gerade Kay und Harald gesagt. Wir haben sie in ihr Hotel geschickt, damit sie sich hinlegen kann.« Der junge Mann zog eine Augenbraue hoch. »Das ist ja schrecklich«, bemerkte er. Kay drehte sich hastig um, der Spott in der Stimme des jungen Mannes war nicht zu überhören. Dottie errötete. Sie suchte tapfer nach einem neuen Gesprächsthema. »Sind Sie auch beim Theater?« Der junge Mann lehnte sich an die Wand und legte den Kopf in den Nacken. »Nein«, sagte er. »Aber Ihre Frage ist durchaus verständlich. Ich bin bei der Wohlfahrt.« Dottie musterte ihn ernst. Ihr fiel jetzt ein, dass Polly gesagt hatte, er sei Maler, und sie merkte, dass er sie aufzog. Er sah ganz wie ein Künstler aus – schön wie eine römische Statue, nur etwas verbraucht und ramponiert. Die Wangen waren schon ziemlich schlaff und zu beiden Seiten der makellosen, geraden, kräftigen Nase zogen sich düstere Furchen. Sie wartete. »Ich male Plakate für die Internationale Friedensliga der Frauen«, erläuterte er. Dottie lachte und erwiderte: »Das ist doch keine Wohlfahrtsarbeit.« – »Im übertragenen Sinne schon«, sagte er und sah sie prüfend an. »Vincent Club, Junior League, Hilfswerk für ledige Mütter«, zählte er auf. »Ich heiße Brown. Ich stamme aus Marblehead. Ich bin ein indirekter Abkömmling von Nathaniel Hawthorne. Mein Vater hat eine Gemischtwarenhandlung. Ein College habe ich nicht besucht. Ich stamme nicht aus diesen Kreisen, mein Fräulein.« Dottie sah ihn nur schweigend und mitfühlend an. Sie fand ihn jetzt überaus anziehend. »Ich bin ein Ex-Exilierter«, fuhr er fort. »Seit dem Dollarsturz bewohne ich ein möbliertes Zimmer in der Perry Street, neben dem Zimmer des Bräutigams, male Plakate für die Damen und auch ein paar Sachen für die Industrie. »Für Jungens«, wie die Mädchen das nennen, befindet sich am Ende des Ganges, und im begehbaren Schrank steht ein elektrischer Grill. Daher müssen Sie entschuldigen, wenn ich nach Spiegeleiern mit Speck rieche.«

      Dotties biberbraune Augen blinzelten vorwurfsvoll. Seine Redeweise verriet ihr, dass er stolz und verbittert war. Dass er ein Gentleman war, bewiesen seine noblen Gesichtszüge und sein tadellos geschnittener, wenn auch abgetragener Tweedanzug. »Harald will jetzt höher hinaus«, sagte Mr. Brown. »Eine Wohnung auf der eleganten East Side – über einem Schnapsladen und einer billigen Reinigungsanstalt, habe ich gehört. Wir trafen uns wie zwei Fahrstühle, die aneinander vorbeifahren – um einen modernen Vergleich zu wählen: Der eine geht aufwärts, der andere abwärts.« Dann fuhr er stirnrunzelnd fort: »Gestern wurde ich in Foley Square von einem schönen Geschöpf namens Betty aus Morristown, New Jersey, geschieden.« Er beugte sich leicht vor. »Wir verbrachten zur Feier des Tages die vergangene Nacht in meinem Zimmer. Heißt irgendeine von euch etwa Betty?« Dottie überlegte. »Da wäre Libby», sagte sie. »Nein, keine Libby, Beth oder Betsy. Die Namen, die ihr Mädchen von heute habt, gefallen mir nicht. Aber was ist mit der dunklen Schönheit? Wie heißt denn die?«

      In diesem Augenblick tat sich die Tür auf und Elinor Eastlake wurde von einem Kellner hereingeführt, dem sie mit schwarz behandschuhter Hand zwei braun eingewickelte Pakete übergab. Sie schien völlig gelassen. »Sie heißt Elinor«, flüsterte Dottie. »Wir nennen sie Lakey, weil sie mit Nachnamen Eastlake heißt und aus Lake Forest


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