Die Clique. Mary McCarthy

Die Clique - Mary  McCarthy


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zu machen.

      Harald hatte Lakeys Hand ergriffen und hin und her geschwenkt, während er einen Schritt zurücktrat, um ihr Kleid, ein Patou-Modell, zu bewundern. Seine raschen, geschmeidigen Bewegungen standen in eigentümlichem Gegensatz zu seinem länglichen Kopf und seiner feierlichen Miene. Es war, als gehöre dieser Denkapparat gar nicht zu ihm, sondern sei ihm bei einer Maskerade aufgesetzt worden. Harald war, wie die Mädchen aus seinen Briefen wussten, ein unerhört egozentrischer Mensch, und wenn er von seiner Karriere sprach, wie eben jetzt zu Lakey, so tat er das mit einem sachlichen, unpersönlichen Eifer, als handele es sich um die Abrüstung oder das Haushaltsdefizit. Dennoch wirkte er auf Frauen, wie die Mädchen ebenfalls aus seinen Briefen wussten, sehr anziehend. Auch die Clique bescheinigte ihm einen gewissen Sex-Appeal, wie ihn manchmal auch einfache Lehrer oder Geistliche haben. Dazu kam noch etwas Undefinierbares, ein dynamischer Schwung, sodass Dottie sich sogar jetzt noch fragte, wie Kay ihn zu einem Antrag gebracht hatte. Die Möglichkeit, dass Kay vielleicht enceinte sei, hatte sie im Stillen öfters erwogen, obwohl Kay behauptete, genau zu wissen, wie man sich vorsah, und bei Harald auf der Toilette eine Scheidendusche, einen Irrigator, deponiert hatte.

      »Kennen Sie Kay schon lange?«, fragte Dottie neugierig. Sie musste unwillkürlich an die Toilette am Ende des Ganges denken. »Lange genug«, erwiderte Mr. Brown. Das war so grausam direkt, dass Dottie zusammenzuckte, als würde es über sie auf ihrem eigenen Hochzeitsempfang gesagt. »Ich mag Mädchen mit dicken Beinen nicht«, erläuterte er und lächelte beruhigend. Dotties Beine und die schmalen, elegant beschuhten Füße waren das Hübscheste an ihr. Dottie war illoyal genug, gemeinsam mit ihm Kays Beine zu mustern, die tatsächlich recht stämmig waren. »Ein Zeichen bäuerlicher Vorfahren«, sagte er und hob den Finger. »Der Schwerpunkt liegt zu tief – das bedeutet Eigensinn und Dickfelligkeit.« Er studierte Kays Figur, die sich unter dem dünnen Kleid abzeichnete. Wie gewöhnlich trug sie keinen Hüfthalter. »Ein Anflug von Steatopygie.« – »Wie bitte?«, flüsterte Dottie. »Übermäßige Fettansammlung am Gesäß. Ich hole Ihnen etwas zu trinken.« Dottie war entzückt und entsetzt, sie hatte noch nie eine so gewagte Unterhaltung geführt.

      »Sie und Ihre mondänen Freundinnen«, fuhr er fort, »sind für ihre Funktionen besser ausgerüstet. Volle, tief angesetzte Brüste« – er sah sich nach allen Seiten um –, »wie geschaffen zum Tragen von Perlen und Bouclé-Pullovern, von gerüschten und gefältelten Crêpe-de-Chine-Blusen. Schmale Taillen. Schlanke Beine. Als ein Mann des vorigen Jahrzehnts bevorzugte ich die knabenhafte Figur, Erinnerungen an den Sommer in Marblehead: ein Mädchen in einer Badekappe, zum Kopfsprung vom Zweimeterbrett bereit. Magere Frauen sind sinnlicher, eine wissenschaftliche Tatsache – die Nervenenden sitzen dichter an der Oberfläche.« Seine grauen Augen verengten sich unter den schweren Lidern, als würde er einschlafen. »Aber die Dicke gefällt mir trotzdem«, sagte er unvermittelt, mit einem Blick auf Pokey Prothero. »Ein feuchtes Weib, Perlmutthaut, mit Austern gepäppelt. Mann oh Mann! Geld, Geld und nochmals Geld! Meine sexuellen Probleme sind in erster Linie wirtschaftlicher Natur. Ich hasse mittellose Frauen, bin aber selbst ein Bohemien. Unmögliche Kombination.«

      Zu Dotties Erleichterung erschienen jetzt die Kellner mit dem Frühstück – Landeier. Kay scheuchte alle zu Tisch. Sie setzte den Brautführer an ihre rechte Seite, einen sehr schweigsamen Menschen, der beim Wall Street Journal arbeitete (Anzeigenabteilung), und Helena Davison an Haralds rechte Seite, aber dann gab es nur noch Konfusion. Dottie stand verlassen am Ende der Tafel, zwischen Libby, die sie nicht ausstehen konnte, und der Frau des Radioreporters, die Kleider für Russeks entwarf (und natürlich links von Harald hätte sitzen müssen). Die Anwesenheit so vieler Mädchen machte die Tischordnung schwierig, aber mit etwas Sorgfalt hätte die Gastgeberin es immerhin so einrichten können, dass nicht alle Langweiler zusammensaßen. Doch die Frau des Radiomenschen, eine lebhafte Bohnenstange, ausstaffiert mit Federschmuck und Accessoires aus Jettsteinen wie ein Filmvamp, schien mit ihren Tischnachbarn völlig zufrieden zu sein: Als ehemalige Angehörige der Universität Idaho, Abschlussjahrgang 1928, liebe sie solche Veranstaltungen. Sie kenne Harald schon seit Kindesbeinen, verkündete sie, und seine Eltern ebenfalls, obschon sie diese lange nicht mehr gesehen habe. Haralds Vater sei damals Direktor des Gymnasiums in Boise gewesen, das sie und Harald vor unzähligen Jahren besucht hätten. »Ist Kay nicht ein Schatz?«, fragte sie Dottie sofort. »Furchtbar nett«, antwortete Dottie mit Wärme. Ihre Nachbarin war das, was man früher »peppig« nannte. Dottie musste in Gedanken wieder einmal ihrer Englischlehrerin recht geben, die immer behauptet hatte, es sei klüger, nicht im Jargon zu sprechen, denn das verrate das Alter.

      »Wo sind eigentlich die Eltern der Braut abgeblieben?«, fragte die Frau jetzt mit gedämpfter Stimme. »Abgeblieben?«, wiederholte Dottie verständnislos. Was meinte diese Person nur? »Warum kreuzen die nicht zur Hochzeit auf?« – »Oh«, sagte Dottie hüstelnd. »Ich glaube, sie haben Kay und Harald einen Scheck geschickt«, murmelte sie. »Statt das Geld für die Reise auszugeben, verstehen Sie?« Die Frau nickte. »Das meinte auch Dave – mein Mann. ›Sie haben sicherlich einen Scheck geschickt‹, sagte er.« – »Ist ja auch viel praktischer«, meinte Dottie. »Finden Sie nicht auch?« – »Bestimmt«, sagte die Frau. »Aber ich bin ja fürs Gemütvolle – ich hab’ in Weiß geheiratet … Übrigens hatte ich Harald angeboten, die Hochzeit bei uns zu feiern. Wir hätten einen Pfarrer aufgetrieben und Dave hätte ein paar Bilder machen können für die Alten daheim. Aber bis ich mit meinem Vorschlag kam, hatte Kay bereits alles arrangiert.« Sie hielt fragend inne und sah Dottie forschend an, die um eine Antwort einigermaßen verlegen war und taktvoll mit einem Scherz auswich: Kays Pläne seien unabänderlich wie die Gesetze der Meder und Perser. »Wer war das noch«, fuhr sie zwinkernd fort, »der gesagt hat, dass seine Frau von eiserner Willkür sei? Mein Vater zitiert das immer, wenn er Mama nachgeben muss.« – »Zum Schießen«, sagte die Nachbarin. »Harald ist ein prima Kerl«, fügte sie dann in ernstem und nachdenklichem Ton hinzu, »aber auch leicht verletzbar, was man vielleicht gar nicht denkt.« Sie sah Dottie durchdringend an und ihre Pfauenfedern nickten kampflustig, als sie nun ein Glas Punsch hinunterkippte.

      Auf der anderen Seite des Tisches, links von Kay, fing der Abkömmling von Hawthorne, der sich gerade mit Priss Hartshorn unterhielt, Dotties bekümmerten Blick auf und zwinkerte ihr zu. Dottie, die nicht wusste, was sie sonst tun sollte, zwinkerte forsch zurück. Sie hätte nie geglaubt, dass sie der Typ sei, den Männern zuzuzwinkern. Infolge ihrer schwachen Gesundheit, die ihr als Kind nicht erlaubte, die Schule zu besuchen, war sie die Älteste der Clique, fast dreiundzwanzig, und sie wusste, dass sie ein bisschen altjüngferlich wirkte. Die Clique neckte sie wegen ihrer Förmlichkeit, ihrer festgefahrenen Gewohnheiten, ihrer wollenen Schals und ihrer Arzneien und wegen des langen Nerzmantels, den sie gegen die Kälte auf dem Schulgelände trug. Aber Dottie hatte viel Humor und machte sich mit den anderen über sich selbst lustig. Ihre Verehrer behandelten sie immer mit großem Respekt, sie gehörte zu den Mädchen, die von anderer Leute Brüdern ausgeführt werden, und sie hatte an jedem Finger einen der blassen Jünglinge, die an der Harvard Graduate School Archäologie, Musikgeschichte oder Architektur studierten. Sie las der Clique Auszüge aus deren Briefen vor – Beschreibungen von Konzerten oder von möblierten Wohnungen im Südwesten – und bekannte im Wahrheitsspiel, dass sie zwei Heiratsanträge bekommen hatte. Sie habe schöne Augen, sagten ihr alle, und blitzweiße Zähne, auch hübsches, allerdings dünnes Haar. Ihre Nase war ziemlich lang und spitz, eine typische neuenglische Nase, und ihre Augenbrauen waren schwarz und etwas stark. Sie ähnelte dem Porträt Copleys von einer ihrer Vorfahrinnen, das zu Hause in der Halle hing. Sie hatte etwas übrig für gesellige Vergnügungen und war, so argwöhnte sie, ziemlich sinnlich. Sie liebte Tanz und Gesang und summte ständig Schlagerfetzen vor sich hin. Doch nie hatte einer auch nur den Versuch gemacht, ihr zu nahe zu treten. Manche der Mädchen konnten das kaum glauben, aber es stimmte. Seltsamerweise hätte es sie nicht einmal schockiert. So komisch die anderen es auch fanden – D. H. Lawrence gehörte zu ihren Lieblingsschriftstellern: Er besaß ein so tiefes Verständnis für Tiere und für die natürliche Seite des Lebens.

      Sie und ihre Mutter hatten sich nach einem langen Gespräch darauf geeinigt, dass man, wenn man in einen netten jungen Mann verliebt oder mit ihm verlobt war, vorsorglich einmal mit ihm schlafen solle, um sich zu vergewissern, dass man auch wirklich harmoniere. Ihre Mutter, die sehr jugendlich und sehr modern war, wusste von einigen traurigen Fällen in ihrem Freundeskreis, in


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