Wir reden, noch. Norbert Philipp

Wir reden, noch - Norbert Philipp


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reden, Face-to-Face, bedeutet immer noch so viel wie „Jetzt aber wirklich“. Und das impliziert dadurch beinahe, dass alles andere, was man digital miteinander austauscht, gar nicht so wirklich gewesen ist, wie man gerne gehabt hätte. Zwei Gesichter im kommunikativen Austausch, das ist ein Livespektakel. Und danach fühlt sich retrospektiv mancher Chat zuvor fast an wie Tiefkühlkommunikation: Das ursprüngliche Verlangen wurde gestillt. Aber irgendwie unbefriedigt zurückgelassen wird man trotzdem.

      Ob die Face-to-Face-Kommunikation weniger wird, ist schwer zu messen. Man müsste allen Menschen der Welt das umhängen, was Forscher in Versuchsreihen schon ihren Teilnehmern umgehängt haben: einen „EAR“, einen „Electronically Activated Recorder“2, der aufzeichnet, was man mit wem einen Tag lang so redet. Was hingegen definitiv mehr wird, sind die Eindrücke, dass die Gespräche tatsächlich weniger werden. Ansonsten würde man heute nicht als explizite Wertschätzung verstehen, was früher selbstverständlich war: eben den persönlichen Kontakt. Für den man Zeit aufwendet und Energie. Als wären alle digitalen Alternativen vor allem dazu da, die menschliche Beziehung zu verwalten und abzuhandeln. Das persönliche Gespräch hingegen dazu, auch in die persönlichen Beziehungen zu investieren, an ihnen zu arbeiten und zu feilen. Wie guten Wein und Delikatessen hebt man sich Gespräche für besondere Augenblicke auf, manchmal sucht man sich dafür sogar eigens Orte, an denen die Worte und Emotionen noch stärken wirken können.

      Gespräche erleichtern oft. Aber sie strengen auch an. Sie verbrennen Energie. Doch Face-to-Face-Kontakt lädt ebenso auf, ganze Gemeinschaften mit Vertrauen sogar. Und Beziehungen mit Verbindlichkeit. Auch nicht ganz unwichtig in einer digitalen Ära der Kommunikation, in der wissenschaftliche Beobachter schon so etwas wie „distanzierte Verbundenheit“ in unseren sozialen Bindungsverhalten konstatieren.3 In die zwischenmenschliche Kommunikation, ganz ohne digitalen Dämmstoff, schlägt die Realität am eindringlichsten ein. Man muss schon dabei gewesen sein, um zu wissen, wie das wirklich war, wie sich das wirklich anfühlte. Als man das Kompliment bekam, das man sich insgeheim schon so lange gewünscht hatte, das Lob, das längst überfällig war, die schmerzliche Absage und das unerwartete Geständnis. Was hart ist, schlägt noch härter auf, was schmeichelt, schmeichelt von Angesicht zu Angesicht umso mehr. Denn außer ein paar Zentimetern Luftraum bleibt Face-to-Face kein Puffer mehr. Doch das ist Platz genug, damit es knistert, funkt, zündet und Brücken geschlagen werden, die man erst sehen kann, wenn man auf die Bilder eines Gehirnscanners schaut. Oder Menschen dabei beobachtet, wie sich sich beim Reden auch körperlich einschwingen.

      Manche Gespräche vergisst man nie. Weil sie einen beseelt, erleichtert, berührt haben. Oder die entscheidenden Weichen gestellt. Wirkungen, an denen Chatverläufe auf Smartphones noch feilen müssen. In manche Gespräche schlittert man rein, in andere wird man von unsichtbarer Kraft tief hineingezogen und erst Stunden später wieder entlassen, nach zwei Flaschen Rotwein, wenn Sperrstunde ist. Für manche Gespräche zieht man extra die Jogginghose aus, für manche hat man fünfzig Mal vorher angerufen und ebenso viele E-Mails geschrieben. Viele stehen im Terminkalender, andere kommen immer ungelegen, egal wann. Manche scheinen bis zum Schluss kein Thema zu haben außer „Ich und du“. Anderen merkt man schon beim ersten Wort an, wie sie enden werden. Und bei einigen weiß man bis zuletzt nicht, worauf das alles hinausläuft. Zwischen Kuss und Faustschlag scheint theoretisch alles möglich. Die meisten Interaktionen im Alltag enden allerdings dann doch recht unaufgeregt mit „Schönen Tag noch“. Doch selbst das scheint die Menschen zufrieden zu machen, haben Psychologen festgestellt.

      Jedenfalls passieren die wunderlichsten Dinge zwischen Gesprächsanfang und -ende. Da läuft eine Choreografie ab, die im Moment von den Gesprächspartnern selbst mitgeschrieben wird. Denn, egal worüber man auch spricht, eines steht stets stumm auf der Agenda: Anpassung und Übereinkunft. Dafür lässt man sich aufeinander ein, schwingt mit dem anderen mit, synchronisiert viel mehr als nur Bewegungen und weiß danach manchmal gar nicht so recht, was da genau los war, wenn das Gespräch mit gutem Gefühl zu Ende geht. Nur dass man am liebsten einen Neurowissenschaftler anrufen würde, der es einem erklärt. Denn die Worte sind nur die offensichtlichsten Brücken. So viel mehr Zeichen takten den Fluss des Gesprächs, diktieren den Rhythmus, bauen mit an der Verbindung zweier Menschen, die unsichtbar scheint, aber deutlich sichtbar wird, wenn man sie beim Reden beobachtet. Und während man seine sozialen und inhaltlichen Botschaften abliefert, merkt man oft gar nicht, wie man schon miteinander tanzt. Gestisch nämlich. Dafür muss man sich nicht einmal auf dem Parkett gegenüberstehen. Es funktioniert auch im Sitzen, sofern es die Möbel und das Designkonzept dahinter, oder auch die Architektur des Raumes, zulassen.

       Kommunikation im Breitformat

      Gespräche sind oft nicht für alle. Nur die Wichtigsten, die einem am nächsten stehen, die man am dringlichsten braucht, bekommen eines. Unter vier Augen, da funktioniert auch keine „Message Control“ mehr, da kann einem die Botschaft auch mal entgleiten. Manchmal schade, dass man Gesagtes nicht mehr löschen kann, genauso wenig nachträglich in den Spamordner verschieben oder noch schnell mal redigieren, bevor es unwiderruflich in das Ohr des Hörers schlüpft. Wer unter vier Augen nichts redet, hat auch schon viel gesagt, schon ein paar Sekunden zu langes Schweigen spricht Bände. In einem Gespräch steckt man drin, von Anfang bis Ende, in einem zeitlichen Rahmen, aber auch in einem räumlichen, der zwischen Sender und Empfänger stets ein ganz besonderer ist, ein Verhandlungsraum. Ohne Türen. Man betritt ihn mit dem ersten Wort, das man sagt. Und verhandelt wird das wichtigste Thema überhaupt: wie man zueinander steht. Da werden Nähe und Distanz ausbalanciert, neu eingerichtet, mit der Wasserwaage der Worte und dem Lot aller verfügbaren nonverbalen Signale.

      Das Zwiegespräch ist nun mal das kommunikative Großformat. Informationsübertragung in Cinemascope. Das kommunikative Weitwinkelobjektiv, das sich auf den anderen richtet, um ja auch keinen Zwischenton zu verpassen. Es ist der Modus für Inhalte, die eben die ganze Bandbreite brauchen. Wie Überraschungen und Offenbarungen. „Ich bin krank.“ „Ich liebe dich.“ „Lass uns abhauen.“ Das Gespräch ist die Manufaktur der Kommunikation zwischen all der seriell erzeugten digitalen Masseninformationsware. Es ist das Livekommunikationsereignis, das die beteiligten Augen, Gesichter und Gehirne noch enger miteinander verknotet. Es wirkt als Schmierstoff, wenn es reibt, als Kitt, wenn es mal brüchig wird. Die Face-to-Face-Kommunikation ist wie Priority-Boarding und VIP-Lounge, die erste Reihe im Theater, von der man noch tiefer ins Geschehen eintaucht. Und wäre sie ein Joghurt, sie hätte eine goldene Krone auf dem Etikett, als Premiummarke. Viele halten sie für unersetzbar. Doch trotzdem fürchten einige, dass sie uns allmählich abhandenkommt. Weil schon das Gegenüber des Gesichts, das wir dafür brauchen, sich allmählich aus so manchen alltäglichen Interaktionen zurückzieht. Und mit dem „Face“ geht schon einmal der sozialste aller möglichen Übertragungskanäle in der Kommunikation verloren.

       Sender trifft Empfänger – Mit ein bisschen Luft dazwischen

      Der Mensch redet, auch dann, wenn er gerade ziemlich mundfaul ist. Dann übernimmt einfach der Körper das Sprechen. Das hat insbesondere soziale Gründe. Und so viel Einfluss, wie er vielleicht gerne hätte, hat der Mensch auch nicht darauf, was er und wie er es sagt. Denn nur einen kleinen Teil von dem, was er sendet, darf er auch selbst formulieren. Der deutlich größere Bedeutungsträger als sein Ego und sein freier Wille ist sein Körper. Gut, die Bibelverse und was man sich sonst noch so aus den Katalogen in den Tattoostudios ziehen kann, darf man schon selber wählen. Doch auch wenn man ihn nicht selbst beschriftet, spricht der Körper für sich selbst. Und tatsächlich scheint es so, als hätte er ständig etwas zu vermelden. Allein aus der internen Kommunikationsabteilung. Hunger, Durst, Aua. Zu viel getrunken. Zeit fürs Bett. Noch mehr Signale richtet der Körper aber sogar nach außen, an andere. Dafür hat er ein eigenes Vokabular ausgeklügelt, ein Gefühlsesperanto. Entschlüsseln kann es jeder, dem Gefühle von sich selber bekannt vorkommen. Was Soziologen heute als Dauerzustand von Jugendlichen inmitten digitaler Medien vermuten, ist im Grunde die Ausgangslage für jeden Menschen – nämlich seit der Geburt: „Always on“.4 Ständig empfangsbereit. Ständig in Erwartung von Response und Feedback. Ein Zustand, den Smartphones nicht erfunden haben, dafür aber deutlich intensiviert. Der Mensch ist „on“, ganz ohne Sendepause,


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