Rost. Jakub Małecki

Rost - Jakub Małecki


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Jakub Małecki ROST

      Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Rdza.

      © 2017 Wydawnictwo SQN, Krakau 2017

      Copyright © Jakub Małecki

      Erste Auflage

      © 2021 by Secession Verlag für Literatur, Zürich

      Alle Rechte vorbehalten

      Übersetzung: Renate Schmidgall

      Lektorat: Christian Ruzicska

      Korrektorat: Peter Natter

       www.secession-verlag.com

      Typografische Gestaltung: Julie Heumüller, Berlin

      Satz: Marco Stölk, Berlin

      Herstellung: Daniel Klotz, Berlin

      ISBN 978-3-905951-98-1

      eISBN 978-3-905951-99-8

       Für Stach, den Unsichtbaren

       Inhalt

       1.2002

       2.63 Jahre früher

       3.2002

       4.62 Jahre früher

       5.2002

       6.61 Jahre früher

       7.2002–2014

       8.57 Jahre früher

       9.2014–2016

       10.41 Jahre früher

       11.2016

       12.39 Jahre früher

       13.2016

       14.38 Jahre früher

       15.2016

       16.21 Jahre früher

       17.2002

       18.2016

1

      An jenem Tag, als alles zu Ende ging, beugte er sich über die Gleise. Seine Finger waren staubig. Die Münzen legte er in eine Reihe, so dass sie sich überschnitten. Nur ein bisschen. Er rückte die zwei mittleren zurecht, machte einen Schritt nach hinten, dann wieder nach vorn, korrigierte noch einmal. Dann hob er den Kopf und schirmte die Augen ab. Der Zug kam von der Stadt her. Ein Güterzug, sehr gut.

      »Komm jetzt«, sagte Budzik von hinten.

      Er trat zurück und klopfte die Hände ab. Unkraut reichte ihm bis zu den Knien, das Gras wogte sanft. Er ging wieder auf den Trampelpfad und verschränkte die Arme hinterm Kopf. Sein Nacken war heiß von der Sonne.

      »Vielleicht springen sie gar nicht so weit.«

      Budzik nickte. Sie standen schweigend da und schauten. Die alte Lokomotive zog lauter gleiche braune Waggons hinter sich her. Es war schwül. Heiß. Wurde immer lauter.

      Schließlich verkündete Budzik, im Unkraut werde er nicht suchen. In letzter Zeit bekam er Blasen von den Brennnesseln und überhaupt. Szymek hockte sich neben ihn, die Hände auf den Knien. Nur das Summen einer Hummel im Gras und das Rattern der schweren Räder waren zu hören.

      Wenn er in Chojny war, kamen sie fast immer hierher. Sie brachten Metallgegenstände mit, die sie gefunden oder gestohlen hatten. Nägel, Schrauben, Münzen. Manche konnten sie danach nicht wiederfinden – unter dem Gewicht des Zuges schossen sie weit ins Gras oder Gebüsch. Doch die meisten fanden sie. Szymek hatte zwei Scharniere, die wie Schmetterlinge aussahen, viele zusammengeklebte Münzen in verschiedenen Formen, zerquetschte Schrauben und Nägel, einen gleichmäßig durchtrennten Hammerkopf, Kleckse aus zusammengeklebtem Draht und eine originell zerrissene Klinge. Am meisten liebte er ein auf dem Parkplatz vor dem Wohnblock gefundenes Kettchen, das die Lokomotive zu einer kriechenden Schlange mit rauer Haut geschmolzen hatte. Manchmal stellte er sich vor, er hätte eine Freundin und würde ihr dieses ausgefallene Teil schenken, und sie würde sich aus Dankbarkeit unsterblich in ihn verlieben. Die Sachen versteckte er in einem Baumloch in Großmutter Tosias Obstgarten. Großmutter wusste das nicht oder wollte es nicht wissen. Sicher hatte sie ab und zu bemerkt, wie er in dem alten Apfelbaum wühlte, den Arm bis zum Ellbogen im dicken Stamm.

      Diesmal hatte Budzik Glück. Seine Nägel hatten sich unter der Last der Lokomotive in ein längliches, dickes Spinnennetz verwandelt. Ein Teil war gleich abgebrochen, geblieben war ein Netz, nicht größer als eine Hand. Budzik hielt die Beute unter die Sonne und schaute mit seinem Zahnlückengrinsen durch die schmalen Spalten. Von den Münzen keine Spur, sie waren weit Richtung Wald geflogen. Szymek hatte zu suchen begonnen, aber schnell aufgegeben. Ein Klebteil war nur ein Klebteil, das nächste Mal würde es klappen. Von einem fehlenden Klebteil ging die Welt nicht unter, vor allem nicht an einem Tag, wo Mama versprochen hatte, aus Warschau den neuen Asterix mitzubringen. Wer wollte an so einem Tag im Gras und in den Disteln stöbern. Alte Münzen hatte er noch ein halbes Glas. Er zuckte mit den Achseln und folgte Budzik.

      Langsam gingen sie zurück und reichten sich abwechselnd den flachen Gegenstand mit den ausgefransten Rändern. Budzik sagte, eines Tages werde er alle seine Klebteile aus dem Versteck im Hühnerstall holen und auf das Regal im Zimmer legen. Was sein Vater sagen würde, sei ihm piepegal. Eines Tages werde er das tun.

      Sie kamen an der Ausfahrt zur Landstraße vorbei, und Szymek hielt Ausschau nach dem blauen Uno. Er blieb stehen und wartete eine Weile in der Hoffnung, gleich würden seine Eltern hier abbiegen. Doch sie bogen nicht ab. Nur Hołowczyc flitzte in die andere Richtung, wie immer nahe an der Böschung, groß und unheimlich. Mit seinen dicken Armen schob er die Räder an und brummte etwas in seinen dichten Bart.

      Szymek hoffte, die Eltern würden bald nach Hause kommen, wie versprochen, aber er kannte es bereits – bei den Eltern wusste man nie. Er war gerne bei Großmutter Tosia, doch an diesem Abend würde Bugs Bunny im Fernsehen laufen, und er hatte noch viel zu tun. Daheim erwartete ihn das langweilige Prozedere mit den Fischen: Lebendfutter aus der Tiefkühltruhe, ein bisschen trockenes aus der Tüte, Heizstab und Filter abwischen, Wasser nachgießen. Aber das Wichtigste: das Ausmalen der Kühe.

      Die Kühe brachte Papa von der Arbeit mit. Sie standen auf riesigen Papierbögen, in einem kleinen Rahmen in der linken oberen Ecke. Eine Seite, die andere Seite und der dreieckige Kopf von vorne. Geister von Kühen, dünne


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