Rost. Jakub Małecki
mit einem Kreuzchen. Szymek setzte sich an den Schreibtisch, knipste die Lampe mit dem roten Metallschirm an und malte die Flecken sorgfältig mit seinem Filzstift aus. Wenn er sich vertat, musste er das ganze Blatt mit der Kuh noch einmal machen. Entschlossen bewegte er den Stift über das Fell der Tiere und belebte eins nach dem anderen. Fast nie fuhr er über die Linien hinaus: Er war sieben Jahre alt und hatte in seinem Leben schon Hunderte von Kühen ausgemalt.
Bugs Bunny lief um 18.00 Uhr, es wäre also am besten, die Kühe schon vorher zu erledigen. Dann könnte er Mama in der Küche von den schönsten Stellen des Zeichentrickfilms erzählen. Sie wäre bei den Töpfen, an der Spüle oder mit der Backhaube beschäftigt, er würde an dem quadratischen Tisch neben dem Zeitungsstapel auf der kleinen Eckbank sitzen, den Kopf an die Holzverkleidung gelehnt, und minutiös die Abenteuer von Bugs Bunny und den anderen Helden wiedergeben. Mama lachte immer, auch wenn die Geschichten gar nicht so lustig waren.
Doch es könnte sich herausstellen, dass die Kühe zu viele wären und er sie vor dem Film nicht alle schaffen würde. Dann müsste er ein paar für später übriglassen, was bedeutete, dass nach dem Baden weniger Zeit für Asterix wäre, und Asterix muss man auf einmal lesen, das weiß ja jeder. Alles hing davon ab, wie viele Kühe Papa bringen würde. Mittwochs waren es in der Regel die meisten, denn da hatte er das größte Gebiet, aber es kam auch vor, dass er an einem Freitag mit einem großen Stapel ankam. Und die jetzigen wären ja vom Freitag: Die Eltern waren gleich nach der Arbeit nach Warschau zu einem Konzert gefahren. Szymek beschloss, wenn es sehr viele Kühe wären, würde er es riskieren, Asterix im Bett, unter der Decke zu Ende zu lesen – er hatte ein Lämpchen in Form eines Kugelschreibers, von Onkel Roch; die Eltern erlaubten zwar nicht, es nachts zum Lesen zu benutzen, aber Asterix war eben Asterix, mit dem würde er ja nicht bis zum Morgen warten.
Sie kamen am Teich vorbei, am verrosteten Anhänger des Doktors, am Bildstock und am Lebensmittelladen von Frau Duszna. Wie immer bellte hinter dem Metallgitter der kleine Hund der Nagórnys.
Die Sonne brannte. Vor ihnen, in der Ferne, verschwamm über dem Asphalt die Welt. Budzik redete. Lange und laut, wie es seine Art war. Später versuchte Szymek jahrelang, sich zu erinnern, worum es dabei gegangen war und ob sie vielleicht etwas falsch gemacht hatten. Er wusste nur noch, dass er doch ein bisschen sauer gewesen war wegen der verlorenen Münzen. Er hätte länger suchen sollen. Vielleicht lagen sie ja noch dort, gar nicht weit von den Gleisen, und es hätte genügt, sich etwas mehr Mühe zu geben?
Er erinnerte sich, dass sie sich mit einem normalen Kopfnicken verabschiedet hatten. Dass er noch Budziks Vater gewinkt hatte, der eine dicke Katze mit riesigem, aufgeblähtem Bauch vom Hof vertrieb. Einen Augenblick später war er dann schon vor Großmutters Haus. An der Straße standen drei Autos. Eines gehörte dem Onkel – das glänzende blaue, in dem es immer nach Vanille roch. Die anderen kannte Szymek nicht. Er öffnete das Gartentor und legte die Drahtschleife wieder über den Pfosten.
Langsam scharrte er mit den Schuhen über den Pfad mit den Gehwegplatten. Er wischte die rechte Hand ab, die immer noch mit rotbraunen Streifen bedeckt war. Er griff nach der Klinke. Und so ging alles zu Ende, die ganzen sieben Jahre, von denen er außer den Gleisen und den Kühen später nicht viel erinnerte. An jenem Tag setzte er sich nicht an den Tisch in der Küche und fütterte nicht die Fische. Er las keine einzige Seite des neuen Asterix. Nur den Zeichentrickfilm sah er, aber nicht zu Hause, nicht an seinem Lieblingsplatz auf der Couch, an einen Berg aus größeren und kleineren Kissen gelehnt. Er sah ihn bei Großmutter und erzählte danach niemandem von den schönsten Stellen, und niemand lachte über sie, obwohl sie gar nicht so lustig waren.
Er griff nach der Klinke und ging langsam hinein. Im Haus waren viele Leute. In der Ecke des Zimmers erkannte er Herrn Nagórny, der mit jemandem telefonierte. Er bemerkte, dass Herr Nagórny seine Schuhe anhatte, obwohl Großmutter sonst jeden bat, sie auszuziehen.
Er schloss die Tür, und alle hörten auf zu reden. Ein Mann in weißem Hemd lächelte ihn an und sagte nichts. Aus der Küche kam mit schnellem Schritt Großmutter Tosia auf ihn zu. Ihr Gesicht sah aus wie damals, als er mit Budzik Ninja Turtles gespielt und aus Versehen drei Eierkartons von ihr kaputt gemacht hatte. Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm ihre langen Finger auf die Arme.
»Hör zu, Szymek.«
Von der Beerdigung wusste er fast nichts mehr.
Nur einmal fragte er, wo die Eltern seien, er wolle zu den Eltern, wo Mama sei, nur einmal, mit einem schnellen, ununterbrochenen Wortschwall: Wo ist Mama die Eltern ich will zu den Eltern wo sind die Eltern. Dann weinte er nur noch, schrie, stieß Großmutter weg, trat um sich, riss aus, schrie noch lauter, Hals und Kopf taten ihm weh, jemand hielt ihn fest an den Händen, Onkel, Tanten, Nachbarn, alle beugten sich über ihn, legten ihm die Hände auf den Kopf, drückten, küssten ihn, Szymek, Szymek, lieber Szymek.
Antworten wollte ihm keiner. Erst als er sich etwas beruhigt hatte, legte Tante Ala aus der Nummer drei, die ihm einmal ein leckeres Omelett mit Honig gemacht hatte, ihre Stirn an seine und sagte leise, mit geschlossenen Augen:
»Der Allmächtige hat sie zu sich genommen, Schatz. Sie sind jetzt beim Allmächtigen.«
Dann heulte er wieder. Großmutter Tosia sammelte ihn am Bildstock und beim Friedhof auf. Sie sagte nichts, wie es ihre Art war, nahm ihn nur fest an der Hand und guckte vor sich hin. Dann stiegen sie ins Auto, fuhren zur Eisdiele, und sie fragte, ob er Vanille oder Kakao wolle.
Sie saßen auf einer Bank vor dem Rathaus und aßen ihr Eis, sie ein kleines, er ein mittleres, gemischtes, denn bei den mittleren und großen war der Eismann einverstanden, verschiedene Geschmäcker zu mischen. Zum ersten Mal im Leben aß Szymek ein mittleres Eis.
Sie kehrten in Großmutters Haus zurück, und am Abend brachte ihm jemand seine Spielsachen und die Hefte mit Asterix, Lucky Luke und Titus. Keinen Augenblick ließen sie ihn allein; wenn Großmutter nicht da war, dann Tante Ala, wenn nicht Tanta Ala, dann Onkel Michał oder einer der Nachbarn, alle schwirrten sie um ihn herum, fragten, drückten ihn manchmal, sogar Budziks Vater kam; der schwirrte als einziger nicht um ihn herum, fragte nicht, drückte nicht, wie Budziks Vater eben war.
Als sie ihn endlich alleinließen, weil sie dachten, er schlafe, nahm er die wichtigsten Spielsachen und trug sie ins Bad. Großmutter fragte durch die Tür, ob es ihm gut gehe und alles in Ordnung sei, er sagte, es gehe ihm gut; denn in Ordnung war ja nichts mehr. Er öffnete die Waschmaschine und versteckte alle Spielsachen darin. Mit einem Handtuch deckte er sie zu, schloss die runde Tür und ging in sein Zimmer zurück, wo sie schon warteten: Großmutter, Onkel, Großmutters Nachbarin. Dann schlief er wirklich ein, und danach gab es nur noch dieses andere Leben, ohne die Stadt, ohne die Kissenstapel auf der zerknautschten Couch, ohne Fische, ohne Comics, ohne Eltern.
Am nächsten Morgen bat Großmutter ihn, er solle mit ihr zu den Kaninchen und den Wachteln gehen. Es wäre gut, wenn er das alles lernen würde, sagte sie. Sie könne Hilfe gebrauchen. Er wolle doch gern helfen, oder?
Er wollte nicht, doch er nickte. Wachteln mochte er nicht, Kaninchen konnte er nicht ausstehen. Sie waren riesig, tückisch, einmal hatte ihn eines gebissen. Sie liefen in ihren Holzkäfigen umher, manchmal trampelten sie seltsam, manchmal rissen sie aus. Er verstand nicht, wozu Großmutter sie hielt, wozu sie sie fütterte und überhaupt, wozu das alles gut sein sollte: Wasser auswechseln, Köttel beseitigen, Körner streuen – alles sinnlos. Aber er ging mit, stand neben ihr, sah zu, wie sie es machte, hörte zu, wie sie mit ihnen sprach – wenn auch eher mit sich selbst.
Plötzlich heulte er los und setzte sich auf den Boden. Großmutter hob ihn auf und brachte ihn ins Haus, die Kaninchen waren plötzlich unwichtig. Sie machte Kakao für ihn, für sich auch, und sie setzten sich aufs Sofa und schalteten den Fernseher ein.
»Du musst jetzt ganz tapfer sein«, sagte sie nur, und dann schauten sie die Quizsendung an. Szymek trank langsam seinen Kakao, guckte abwechselnd auf den Bildschirm und auf Großmutter und wartete, dass etwas passieren würde, schließlich musste