Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M.... Antonino M.

Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M... - Antonino M.


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machte ihn zum Päderasten, er knüpfte mit einem Kameraden ein Verhältnis an. Er schrieb einen anonymen Brief gegen seinen Sergeanten und verwundete seinen Kameraden im Gesicht, und wurde zu einem weiteren Jahre verurteilt. Im Kerker versuchte er mit einer halben Scheere, aus der er sich einen Dolch gemacht hatte, einen Kameraden umzubringen, um sich wegen einer alten Kränkung zu rächen, obschon der Gegenstand seines Hasses schon an sich in einem Zustand war, der Mitleid hätte einflößen können. Von da kam er zur zweiten und dann zur ersten Strafkompagnie in Venedig, wo er sich durch sein tückisches und unverbesserliches Benehmen auszeichnete. Strenger Arrest, langes Fasten nützten nichts; für ihn waren die Strafen immer ungerecht; jeder mißhandelte, mißachtete ihn.

      Schon um diese Zeit (1879) brach sein heftiger und wilder Haß gegen seinen Bruder Michele los, der, wie er meinte, ihn vernachlässigte und seinen Tod wünschte, um sich die väterliche Erbschaft anzueignen, die schon zum größten Teil sich angeeignet zu haben er ihn beschuldigte. Die ersten Zeichen dieses Hasses traten hervor, als er im Lazarett zu Cava dei Tirreni war, wo er einen Brief seines Bruders, der Nachricht von ihm verlangte, mit häßlichen Worten und Hohngelächter empfing. Der einzige Grund für diese Zwietracht konnte in dem Temperament des M… gefunden werden.

      Bei der Strafkompagnie versuchte er eines Tages einen Lieutenant zu ermorden, weil dieser ihn bestraft hatte. Er wartete, bis der unglückliche Lieutenant Nachts die Ronde machte, und mit dem Dolch in der Hand, den er sowohl als Gefangener wie als Soldat immer bei sich zu tragen oder im Strohsack oder im Futter der Kleidung zu verbergen pflegte, lauerte er Stunden lang; und nur dem Umstand, daß der Lieutenant von einem Kameraden gewarnt wurde, ist es zu danken, daß der Anschlag mißglückte.

      Der Mangel an moralischem Gefühl zeigt sich auch darin, daß er eines Tages einen Kameraden, einen Schreiber im Militärbureau, dazu verführte, ihm eine Änderung in dem Register zu gestatten, indem er das Datum seiner Aushebung um ein Jahr zurückschrieb, um auf diese Weise ein Jahr früher vom Militär loszukommen.

      Durch diese Fälschung gelang es ihm, ein Jahr früher verabschiedet zu werden; auf der Heimreise bekam er Händel mit den Eisenbahnbeamten und um ein Haar wäre es zur Schlägerei gekommen.

      Die Fälschung wurde entdeckt, und er wurde von der Militärverwaltung reklamiert, darüber entrüstete er sich heftig, bewaffnete sich wie ein richtiger Brigant und begab sich in die Wälder. Aber er sah ein, daß er auf diese Weise doch nicht durchkommen würde und stellte sich der Militärbehörde in Catanzaro, die ihn wieder nach Venedig zur Strafkompagnie schickte. Durch eine günstige Beurteilung des Thatbestandes wurde er von der Anklage der Desertion freigesprochen.

      Kaum wieder bei der Kompagnie, wurde er zu zwei Monaten Wasser und Brot und zur Kettenstrafe verurteilt. Er hatte den Skorbut; nachdem er geheilt war, kam er wieder in strengen Arrest bei Wasser und Brot und so verbrachte er das ganze Jahr fast immer in Arrest und in Ketten.

       Inhaltsverzeichnis

      Im September 1882 kehrte er zu seiner Familie zurück, nachdem er vierzehn Jahre lang im Gefängnisse und in der Strafkompagnie gewesen war.

      Zuerst empfindet M… selbst, daß ihm Bruder und Schwägerin freundlich entgegenkamen. Und in der That nahmen sie ihn liebevoll auf, ließen ihn an ihrem Tische essen und gewährten ihm, was ihre finanzielle Lage gestattete. Nichts in der Selbstbiographie deutet an, woraus der Haß gegen den Bruder entsprungen sein kann, er häuft nur Schmähungen und wüste Schimpfreden gegen ihn. Aber wenn man die Antecedentien und den Charakter des Antonino M… in Erwägung zieht, so begreift man, daß zwischen den Brüdern keine Eintracht herrschen konnte. Antonino lebte im Hause seines Bruders in unhaltbarem Zustande, er konnte nicht zeitlebens wie ein Sohn von seiner Schwägerin zwei Soldi täglich für Tabak entgegen nehmen. Da er von sich eine übertriebene Meinung hatte und den Bruder mißachtete und ihn als Haupt der Familie haßte, so mußte Antonino notwendiger Weise eines Tages das Bedürfnis fühlen, fortzuziehen und für sich allein zu leben und mit der Familie des Bruders vollständig zu brechen. Er that es, und um die Position zu befestigen, nahm er sich eine Frau in der Person eines Mädchens aus Tropea, eines sanften, zärtlichen Wesens, einer kleinen Madonna, die sich ihm zum Weibe gab, besiegt von seiner Ueberredungskunst und von Mitleid mit seinem Unglück.

      Neues Unheil hatte diese Verbindung im Gefolge.

      Das knappe ererbte Vermögen konnte nicht ausreichen, außerdem hatte er keinen Hang zur Arbeit, war liederlich, rauchte, trank und gefiel sich darin, sich vor den andern beim Kaufen hervorzuthun. Sein Bruder stand ihm immer als derjenige vor Augen, der den größeren Teil des väterlichen Vermögens geerbt hatte, daher sein Haß, sein unbändiger Neid, seine Rachgier gegen ihn. Er erzählt selbst einen weiteren Grund und dieser bestand darin, daß seine beiden Tanten zu Gunsten des Sohnes des Michele testiert und so Antonino des zu erwartenden Erbteiles beraubt hatten.

      So waren genug psychologische und thatsächliche Motive vorhanden, um zu begreifen, in welcher Gemütsverfassung Antonino gegen seinen Bruder war, und früher oder später mußte der angesammelte Haß zum Ausbruch kommen. Es war eine Lawine, die sich losgelöst hatte, und immer wachsend, dem Abgrund zurollte, die Hindernisse, die sich ihr in den Weg stellten, zerstörend. Antonino, der sich mehr und mehr in seinen Zorn verbiß, machte kein Hehl aus seinem Haß, er sprach öffentlich davon und von seinen Rachegedanken, und schürte dadurch noch mehr den Brand in seinem Innern; vielleicht dienten auch die Ermahnungen der Vorsichtigen und die Vorhaltungen der Ruhigen dazu, seine Lust am Schrecklichen und seine Neigung zur Rache noch zu verstärken.

      Sein argwöhnisches Temperament war eine natürliche Folge seiner Eitelkeit. Der übermäßigen Anmaßung entsprach immer der Argwohn, daß ihm von seiten der andern nicht mit der nötigen Achtung begegnet werde und daher die fortwährende Tendenz, sich verfolgt zu glauben. Daher auch die übertriebene falsche Auslegung der Worte, der Absichten, der Thaten anderer, besonders der Personen, denen er stärkere Aufmerksamkeit schenkte und von denen er für seinen Haß und seine Drohungen Kränkungen, Beleidigungen, Verachtung und Unbill zu empfangen glaubte. Zuerst mußte die Schwägerin den Ausbruch des Sturmes spüren. Eines Tages begab er sich in das Haus seines Bruders, und man weiß nicht aus welchem Grunde, genug, er bedrohte sie mit einem Revolver, der Bruder kam dazu, und es gelang ihm das Blutvergießen zu verhindern, aber Antonino brachte ihm eine Bißwunde in die Hand bei, mit welcher er ihm den Revolver entriß. Es erfolgte die Klage und trotz der heuchlerischen Verteidigung, der demütigen Erklärungen und der wortreichen Beredsamkeit wurde Antonino zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Es würde dieses Vorkommnisses nicht bedurft haben, um Antonino zu allen Frevelthaten gegen seinen Bruder fähig zu machen, aber es diente ihm in der Öffentlichkeit als Rechtfertigung für seine schon offen ausgesprochenen Blut- und Rachegedanken.

      Von diesem Augenblick ab war das Leben des armen Michele eine fortwährende Angst und Aufregung; er traute sich nicht die Nase aus dem Fenster zu stecken oder die Füße vor die Thür zu setzen, ohne die Überzeugung zu haben, daß er von seinem Bruder getötet würde, der ihm coram publico unaufhörlich nachstellte und den Augenblick nicht erwarten konnte, wo er seinem Bruder den Rest geben würde.

      Antonino erklärte öffentlich: Was mache ich mir aus dem Gefängnis!? Ein halber Tag oder zwanzig Jahre sind mir einerlei; ich werde Mann und Frau umbringen und dann bin ich zufrieden.

      Er wußte, daß die Freunde seines Bruders ihn durch einen Pfiff herauszurufen pflegten, und so versuchte er eines Abends, ihn auf dieselbe Weise an das Fenster zu locken. Aber der Bruder merkte, woher der Pfiff kam, und antwortete nicht. Ein anderes Mal lauerte er ihm auf und trat endlich mit einer Flinte bewaffnet in das Haus seines Bruders.

      Öfter sah man ihn mit der Flinte am Fenster der Küche stehen und warten, daß der Bruder sich am Fenster seiner gegenüber liegenden Küche zeige. So fest stand bei ihm der Plan, daß er Frau und Kinder fortschickte und allein blieb, um sich ganz der Überwachung seines Bruders und der Ausführung des Mordes zu widmen. Und so trat denn endlich am 29. September 1889 das ein, was notwendig eintreten mußte.

      Es war ein Sonntag,


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