Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M.... Antonino M.

Der Roman eines geborenen Verbrechers Selbstbiographie des Strafgefangenen Antonino M... - Antonino M.


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blieb er in Parghelia; er wollte ein Ende machen. Er nahm eine Doppelflinte, lud sie mit Schrot und mit einer Kugel und stellte sich auf die Lauer. Aber der Bruder kam nicht, er war drüben in der Küche mit seiner Frau und einer Tante und zerkleinerte Holz. Antonino lief hinzu, um in die Küche zu eilen, aber das Fenster war sehr hoch. Er nahm eine Leiter, stellte sie ans Fenster, stieg hinauf, sah den Bruder bei der Arbeit, nahm die Flinte und schoß zweimal auf seinen Bruder, den er am Kopfe verwundete.

      Kaum war das Verbrechen verübt, so lud er von neuem und entfloh. Um freien Durchgang zu haben, rief er: »Platz da, Platz da!« Niemand hielt ihn an, denn alle kannten seinen blutdürstigen Charakter sowie seine Geneigtheit zu Gewaltthätigkeiten, und wer ihn sah, floh entsetzt beiseite.

      Einen Monat lang hielt er sich verborgen, endlich am 27. Oktober 1889 wurde er in Monteleone auf offener Straße verhaftet, nicht ohne daß er vorher einen Verteidigungsversuch gemacht hatte, indem er an den Staatsanwalt ein Schreiben gerichtet hatte, in welchem er die That als das Werk eines Zufalls darstellte, in der Hoffnung, daß diese plumpe Verdrehung der Thatsache ihm irgendwie dienlich sein könnte.

      Nachdem er dem Gefängnis zu Monteleone übergeben war, zweifelte man, ob M… im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sei, und er wurde daher der Irrenanstalt zu Girifalco zur Beobachtung überwiesen. Bei dieser Gelegenheit hatte Venturi ihn zu studieren, und das Resultat dieser seiner Studien wird weiter unten abgedruckt.

       Vor dem Gerichtshof zu Monteleone im April 1891 definierte Venturi ihn als einen geborenen Verbrecher, einen Menschen, der sich der Strafbarkeit seiner Handlungen nicht so voll bewußt ist, wie es das Gesetz erfordert, um eine Verurteilung aussprechen zu können. Er schloß sein Gutachten folgendermaßen:

      »M… würde also nach dem geschriebenen Gesetz für das begangene Verbrechen nicht verantwortlich oder nur halbverantwortlich sein, da er es nicht bei vollem Bewußtsein und in voller Freiheit seines Willens ausgeführt hat.

      »Quid faciendum!

      »Wenn er als unverantwortlich erkannt wird, wird man ihn dann in Freiheit lassen?

      »Er würde versuchen, seinen Bruder wiederum zu ermorden, und ohne Zweifel mit größerer Ruhe, da er seine Straflosigkeit kennt und sich daher für berechtigt hält, mit der ganzen menschlichen Gesellschaft aufzuräumen. Soll man ihn in die Irrenstrafanstalt bringen, wie es das Gesetz für diejenigen vorschreibt, welche in einem krankhaften Hang zum Verbrechen leben, und denen die Gelegenheit genommen werden soll, ein Verbrechen zu wiederholen? Er würde zeitlebens darin verbleiben müssen, denn es ist nicht vorauszusehen, daß M… mit der Zeit seine Natur ändert, noch giebt es Heilmittel, die das bewirken können. Wie soll das Ziel erreicht werden, welches das Gesetz im Auge hat, um einen sicheren Schutz gegen das Verbrechen zu schaffen, ohne daß deshalb die Gesellschaft sich zu dem erlittenen Schaden noch mit der Sorge für den lebenslänglichen Unterhalt des Verbrechers belasten müßte?

      »Die Antwort liegt mir auf den Lippen, aber ich will sie nicht aussprechen, weil unsere Mondscheinromantik vorschreibt, auch die zu lieben, die uns Böses thun, also gerade das Gegenteil von dem, was die Natur thut, welche durch ihre ewigen Kämpfe eine reinigende Zuchtwahl vornimmt.

      »Meine Herren Geschworenen, die Strafirrenanstalt in Italien ist ein Unding. Thatsache ist, daß die gefährlichen Narren, die nicht für strafbar erkannt werden, wieder frei herumlaufen, oder wenn sie ins Irrenhaus gebracht werden, mit Hilfe ihrer Advokaten bald wieder herauskommen. Und das Gesetz begünstigt ihre Entlassung. Wenn M… zu zehn Jahren verurteilt wird, so ist es so gut wie sicher, daß er während dieser Zeit die Gesellschaft nicht belästigen kann.

      »Bedenken Sie: der Bruder hofft, daß er weder begnadigt wird, noch vor der Zeit wegen guter Führung entlassen wird. Alles kann daraus folgen!«

      Ehe die Verhandlung geschlossen wurde, hielt M… eine Verteidigungsrede, die zwei Stunden dauerte. Er sprach mit unerhörter Emphase, er ließ sich in seinem Gedankengang und in der Erregung so sehr hinreißen, daß er in einen förmlichen Zustand der Raserei geriet, so daß man ihn beruhigen und die Sitzung unterbrechen mußte. Das Publikum war der Ueberzeugung, daß er für unzurechnungsfähig erklärt werden würde; der Bruder, der ihn von draußen hörte, flehte Gott, die Sachverständigen, die Geschworenen an, daß er verurteilt werden möchte. Wehe ihm, wenn er freigesprochen wurde. Er traute dem Panacee der Strafirrenanstalt nicht.

      Während der ganzen Verhandlung gegen M… war seine Familie, ein Engel von Weib, und seine hübschen Kinder zugegen, und erschütterten durch ihr unaufhörliches Weinen das Publikum. Er wurde unter der üblichen Annahme mildernder Umstände zu sechzehneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

       Inhaltsverzeichnis

      Das ist der Mann, dessen Biographie ich veröffentliche; das ist sein Leben inmitten der Hilfsmittelchen, mit denen die Gesellschaft sich einbildet, sich selbst verteidigen und verbrecherische Neigungen unterdrücken und sogar bessern zu können.

      Aber anstatt Betrachtungen anzustellen, will ich eine andere Seite seiner Individualität aufschlagen, ich meine die physische und psychische Darstellung seiner Person. Und dazu gebe ich einem Manne das Wort, der dazu besser berufen ist als ich, dem Professor Silvio Venturi, welcher mit wissenschaftlicher Genauigkeit die besonderen Charakteristika des M… darlegen wird.

      Physische Untersuchung.

      Wenige Tage nach der Einlieferung des M… in die Irrenanstalt zu Girifalco schritt ich zu einer eingehenden Untersuchung, die folgendes Resultat ergab.

       Allgemeiner Befund: Kräftiger Knochenbau, starkes Fettpolster, Dolicocephale, Haar etwas spärlich, dunkelbraun, ab und zu mit weißen Fäden durchzogen; ziemlich hohe Stirn mit Längs- und Querfurchen. Die Ohren gut gewachsen, aber leicht henkelförmig, Gegenleisten kaum vorhanden, mit Spuren des Darwin'schen Höckers. Die Augen in gleicher Höhe, im linken Auge eine Nickhaut, Conjunktiva normal. Augenbrauen normal, rechts stärker geschwungen als links. Das Wangenjochbein tritt wenig hervor, weil mit Fettpolster bedeckt, der Gesichtsausdruck ist schlaff und welk. Die Zähne sind unterbrochen. Am Daumen der linken Hand eine Narbe, die von einem schneidenden Werkzeug herrührt, ebenso eine in der Leistendrüsengegend. Mehrfache Tätowierungen, auf dem rechten Arm: ors fuduli, auf der Brust: a morte l'infame (Tod der Schmach), auf dem linken Arm V und K, auf dem Rücken der rechten Hand O und F.

Craniometrie:
Diameter ant. post. maximus mm 191
Diameter transversalis " 153
Kopfindex " 80
Horizontaler Umfang " 550
Vorderer (halber) Umfang " 275
Hinterer (halber) Umfang " 275
Curva longitudinalis " 300
Curva transversalis " 220
Diameter bifrontalis minimus " 95
Stirnhöhe " 60

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