Lebendig!. Michael Herbst

Lebendig! - Michael Herbst


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weil er ja mit mir an meiner Stelle ist?

      Jeder Mensch ist irgendjemandes Jünger. Irgendjemandem folgen wir immer. Es ist nur die Frage, wem wir folgen, nicht ob wir überhaupt jemandem folgen. Und dann ist letztendlich die Frage, ob der, dem wir folgen, guttut, aufbaut, entfaltet, mündig macht, zum Blühen bringt, durch Täler führt, in der Tiefe trägt, im Versagen aufrichtet, durch den Tod hindurchrettet. Das ist die Frage. Bei Jesus ist sie beantwortet. Darum gibt es nichts Größeres, als sich in der Schule von Jesus einzuschreiben, als die Lehre des Lebens bei ihm zu beginnen und sein Jünger zu werden. Das »Warum« gesunder Gemeinden ist es, diese Möglichkeit möglichst niemandem vorzuenthalten. Wir können bei denen beginnen, die uns nah sind oder die wir lieben. Alles, was wir als Gemeinde veranstalten, ist immer Mittel zum Zweck und niemals der Zweck selbst.

      Jünger lernen bei Jesus, wie das Leben funktioniert. Wir wollen unser Herz daran gewöhnen, ihn mehr zu lieben als alles andere. Wir sind von ihm in der Gemeinde zusammengebracht worden. Aber dann lernen wir einander kennen: Unvollkommen, störrisch, eigensinnig, manchmal sprunghaft, immer mal für eine böse Überraschung gut, keineswegs vollkommen. Doch Jesus lässt nicht los. Und dann lassen wir auch nicht los. Nicht voneinander. Nicht von unserem Warum. Dann beten wir um die Wette, bis wir wieder froh und leidenschaftlich sind und die nächsten Schritte sehen und gehen.

      Fragen zum Nachdenken

      Haben Sie diesen Schritt schon einmal getan, ein Jünger oder eine Jüngerin von Jesus zu werden? Oder haben Sie diesen Schritt zwar schon einmal getan, sind aber irgendwie ein bisschen aus der Bahn geraten? Dann ist es an der Zeit, sich bei Jesus anzumelden oder zurückzumelden, sich sozusagen neu bei ihm zu immatrikulieren, nein, mehr noch, das eigene Leben in seine Hand zu legen. Jesus, lieber Herr und Meister, hör auf unser Sehnen, unseren Wunsch, bei dir das Leben zu lernen, unseren Willen, uns dir anzuvertrauen, und bestätige in uns, dass genau das dein Wunsch und Wille ist.

      Die zweite Frage gilt der Gemeinde: Nach allen guten Erlebnissen, trotz aller Niederlagen und Schmerzen, in allen unsicheren Fragen sendet uns Jesus aufs Neue in unsere Lebenswelt. Vor ihm denken wir an Menschen in unserem Umfeld, an Freunde, Nachbarn, Kollegen, Verwandte. Er erinnert an das »Warum«: Macht Menschen zu meinen Jüngerinnen und Jüngern. Und er fragt: Willst du dich senden lassen? Wollt ihr euch wieder auf den Weg machen? Unsere Antwort könnte sein: »Hier bin ich, sende mich« (Jesaja 6, 8).

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      2. Liebe – Der tiefste Grund für lebendiges, mündiges Christsein

      Gott ist nicht der liebe Gott, aber er ist Liebe! Ohne Umschweife redet der Apostel Johannes vom Kern des Glaubens: »Gott ist Liebe« (1. Johannes 4,16). Gott und Liebe gehören so sehr zusammen, dass ich nicht angemessen von Gott reden kann, ohne zu bekennen: Er ist Liebe.

      Nun können wir uns so an die größten und gewaltigsten Sätze gewöhnen, dass sie uns nicht vom Hocker reißen. Deutschland wird Weltmeister, der Chef gibt eine Gehaltszulage, der Urlaub steht vor der Tür, die Regierung senkt alle Steuern, das begeistert uns, aber »Gott ist Liebe«? – Hast du noch etwas Neues, Spannenderes zu sagen? Nein, habe ich nicht! Weiter komme ich nicht, sagt Johannes: »Gott ist Liebe.« Wir müssen uns Gottes Innen- und Gottes Außenpolitik anschauen, um ein bisschen besser zu begreifen, worum es hier geht.

      Gottes Außen- und Innenpolitik

      »Gott ist Liebe«, das ist eine Aussage über Gottes Innenpolitik. Christen glauben an einen Gott, von dem wir als dem einen Gott immer nur so reden können, dass drei Personen ins Spiel kommen: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Der Grund dafür ist einfach: Gott ist seinem Wesen nach Liebe. Er ist nicht einsam, sondern dreisam. Er ist von Ewigkeit her ein Liebesbund, nicht erst dadurch, dass er uns Menschen ins Leben ruft. Von aller Ewigkeit her ist er der Vater, der den Sohn liebt, der Sohn, der den Vater ehrt, und der Geist, der Vater und Sohn als Band der Liebe verbindet. »Gott ist Liebe.« Nicht nur in seiner Außenpolitik, sondern auch in seiner Innenpolitik. Seit dem hohen Mittelalter stellen Künstler dieses Geheimnis mit dem Bild des »Gnadenstuhls« dar.13 Der Vater thront als der König in der Mitte. Er hält den Sohn auf seinem Schoß, und zwar als den Gekreuzigten. Über beiden schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Von Ewigkeit her ist Gott Liebe, ein ungetrübtes Miteinander, ein Verhältnis voller Hingabe, ein Bund unermesslicher Freude aneinander, Vater und Sohn und Heiliger Geist.

      Davon wissen wir, weil wir Gottes Außenpolitik kennengelernt haben. Der Apostel Johannes macht das glasklar: Gottes Liebe zeigt sich daran, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben sollen (1. Johannes 4,9). Was das bedeutet, wird am Bild vom Gnadenstuhl mehr als deutlich: Der Sohn im Schoß des Vaters ist der Gekreuzigte. Wenn der Vater den Sohn zu uns sendet, wissen Vater, Sohn und Heiliger Geist, was das bedeutet: nämlich Hingabe, Leid, Schmerz, Tod, Opfer! Für alles Weitere ist das entscheidend: Liebe ist bei Gott Opfer und Hingabe. Liebe ist kein billiges Gefühl. Liebe ist keine unverbindliche Sympathie. Liebe sieht den armen Menschen und kann nicht anders, als sich für ihn zu opfern. Liebe verlässt die Komfortzone und begibt sich mitten ins Getümmel. Liebe wendet sich dem widerspenstigen Geliebten zu, ohne ihn zähmen zu können. Liebe zahlt den höchsten Preis, wenn es darauf ankommt. Liebe gibt lieber sich selbst in den Tod, als den Geliebten preiszugeben. Das ist Gottes Liebe.

      Das Kreuz ist der Ausweis der Liebe

      Das Kreuz ist der eine entscheidende Ausweis der Liebe: »für dich« heißt es hier stets. Das heißt auch: »an deiner Stelle«. Eigentlich hätten wir nichts anderes verdient, als dort zu hängen. Das Kreuz sagt weiter: »zu deinen Gunsten«. Hier geschieht der große Austausch: Christus hat sich alles auf seine Schultern laden lassen, was uns beschwerte und von Gott trennte. Und er reicht uns vom Gnadenstuhl entgegen, was sonst nie und nimmer unseres hätte werden können: Leben, Vergebung, Erneuerung, Gemeinschaft mit Gott. Anders war uns nicht zu helfen. So ist uns für immer und ewig geholfen: Liebe ist Hingabe an uns, Liebe ist Opfer, Liebe ist im Kreuz Christi: für uns, an unserer Stelle, zu unseren Gunsten.

      Gottes Wesen ist opferbereite Liebe. Diese Liebe ist nicht etwas, was zu Gott hinzuaddiert würde, nichts, was er sich gelegentlich zulegt und was er darum auch wieder ablegen könnte. Die Liebe ist keine Tugend, keine antrainierte Fähigkeit. Jedes bisschen an Gott ist vielmehr durchtränkt, geformt, bewegt, bestimmt und durchwebt von der Liebe, und zwar von der Liebe zu uns. Von nichts anderem könnte man das in gleicher Weise behaupten, nicht von Gottes Gerechtigkeit, nicht von Gottes Kraft, auch nicht von Gottes Wissen. Mit nichts anderem sollen wir Gott so identifizieren wie mit Liebe.

      Gottes Wesen ist Liebe, und diese Liebe gilt uns. Wir sind von Gott geliebt, egal ob wir es wissen oder nicht, ob wir es fühlen oder nicht, ob wir meinen, es zu verdienen, oder nicht, ob wir gerade gut drauf sind oder völlig neben der Spur. Wir sind in seinem Herzen. Wir stehen vor seinen Augen. Wir bewegen sein Empfinden. Wir rühren ihn zu Tränen. Wir bringen ihn zum Lachen. Wir sind von ihm umsorgt und umgeben, getragen und erhalten, begabt und gesendet, und das aus einem Grund: weil er uns so liebt. Johannes sagt an anderer Stelle: »Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Er hat seinen Sohn gesandt, der für unsere Schuld sein Leben gegeben hat. So hat er uns mit Gott versöhnt« (1. Johannes 4,10). Bei Plato heißt es, dass sich die Liebe immer auf etwas richtet, was durch seine Liebenswürdigkeit anziehend ist. Etwas ist irgendwie attraktiv und liebenswert, und dann lieben wir es. Bei Gottes Liebe ist das anders, und anscheinend haben wir ein Leben lang damit zu tun, das nachzubuchstabieren: Gottes Liebe findet das Liebenswürdige nicht vor, sondern schafft es erst, so hat es Martin Luther 1518 formuliert. Noch spitzer schreibt er: »Die Sünder sind darum schön, weil sie geliebt werden; nicht darum werden sie geliebt, weil sie schön sind.«14 Liebe macht schön! Darum ist die Gemeinde eine schöne Versammlung oder eine Versammlung der Schönen.

      Die schenkende und die empfangende Liebe

      Wie sähe dann die Liebe auf unserer


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