Lebendig!. Michael Herbst
macht (Johannes 14). Die Ausgangssituation ist klar und einfach: Jesus nimmt von seinen Jüngern Abschied. Wir könnten sagen, dass seine Zeit abgelaufen ist. Er sagt es allerdings anders: »Die Stunde ist gekommen!« (Johannes 12,23). Seine Stunde ist gekommen. Er wird heimkehren zum Vater in die unsichtbare Welt Gottes. Da bekommen die Jünger Angst. Sie fürchten sich davor, allein zurückzubleiben. Sie haben Sorge, als Waisenkinder herumzulaufen, hilflos, dem Hass der Gegner von Jesus ausgesetzt.
Ist das nicht auch unsere Angst: dass wir letztlich doch allein sind, mutterseelenallein und ohne Gott in der Welt? Sollte das etwa lebendiges, mündiges Christsein sein? Das ist ja auf den ersten Blick die Ausgangslage des Glaubens. Jesus ist nicht mehr so bei uns, wie er bei den Jüngern war. Heutige Christen erleben, was auch Atheisten erleben: Abwesenheit Gottes, nichts hören, nichts fühlen, nichts erleben. Jünger von Jesus und Atheisten unterscheiden sich zuweilen nur durch eines: Atheisten sind Menschen, die in der Abwesenheit Gottes die Geduld verlieren22, so der Untergrundpriester Tomáš Halík. Jünger von Jesus und Atheisten teilen die dunkle Erfahrung: die Nacht, in der Gott nicht erscheint. Doch Jesus begegnet der Angst seiner Jünger. Er sagt: »Ich gehe fort, aber ich komme zu euch zurück« (Johannes 14,28). »Und wir werden zu [euch] kommen und immer in [euch] gegenwärtig sein« (Johannes 14,23). »Dann werde ich den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit« (Johannes 14,16). »Der Vater wird euch den Beistand schicken, der an meine Stelle tritt: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe« (Johannes 14,26). Jesus kehrt zum Vater in die unsichtbare Welt Gottes heim, aber zugleich kommt er zu jedem seiner Jünger zurück. Das ist der Heilige Geist. Gott bei uns, Jesus nach Himmelfahrt, Geist Gottes in uns bis zum Ende der Zeiten.
Jetzt aber schauen wir noch einmal auf das besondere Bild, das Jesus uns hier schenkt: Er sagt: Wir (das heißt: Vater, Sohn und Geist) werden kommen und bei euch einziehen, wir beziehen unsere Wohnung auf Erden – bei euch. Wir haben eine Wohnung in der unsichtbaren Welt, aber wir nehmen uns einen zweiten Wohnsitz bei euch. Das gilt für jeden, der Jesus liebt und sein Wort hält. Das ist das Geheimnis jedes Christen: In jedem noch so armseligen Christenleben wohnt Gott durch den Heiligen Geist. Das ist die Würde und Ehre und das Geheimnis noch des ärmsten und äußerlich missratensten Christenlebens. Und wäre da noch so vieles psychisch verbogen, geistlich armselig, lebensgeschichtlich missglückt, äußerlich unattraktiv, noch gar nicht mündig, voller ungelöster Rätsel: Wir sind eine Wohnstätte des Heiligen Geistes. So gesehen ist der letzte Bettler, der an Jesus glaubt, ein König, weil der König der Welt in ihm wohnt. Und ebenso ist jeder König ein Bettler, wenn der König der Welt bei ihm nicht wohnen darf. Jeder, der Jesus glaubt und liebt, indem er sein Wort hört, es festhält und danach lebt, ist eine Wohnstätte des dreieinigen Gottes in dieser Welt.
Pfingsten leitet uns an, Gottes Gnade zu bestaunen, dass er, der dreieinige Gott, in armseligen Menschenherzen Wohnung nimmt. Es geht eben nicht nach jenem berühmten Tischgebet: »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast«. Er kommt nicht als Gast. Er kommt als der, der in uns einzieht, in uns wohnt und in uns bleibt. Er hat keine Kündigungsklausel im Mietvertrag. Sie wohnen dann nicht mehr allein in Ihrem Lebenshaus. Er ist jetzt immer da, wo Sie auch gerade sind.
Und dann geht Gott am liebsten von Raum zu Raum. Dabei macht er Vorschläge, wie man dieses oder jenes anders einrichten könnte. Er wohnt ja jetzt mit in der Speisekammer, im Schlafzimmer, im Büro, in der Kinderstube, sogar im Keller beim Trödel und den Habseligkeiten. Er dekoriert und schmückt die Räume unseres Lebens. Vielleicht möchte er auch dieses oder jenes für den nächsten Sperrmüll rausstellen, aber anschließend werden Sie sagen: Wie viel schöner ist es jetzt doch bei mir. Da Gott bleibt, nimmt er sich auch Zeit; er macht das alles behutsam, in einem Tempo, mit dem wir klarkommen. Manchmal ist es ganz still, wir bemerken ihn gar nicht, aber er ist da. Manchmal ist alles in uns in Aufruhr, aber er ist da.
Eines ist nun sehr wichtig: Das alles ist nicht eine Frage der erhebenden und tiefen Gefühle. Es ist schön, wenn jemand auch fühlt, dass der Geist Gottes in ihm wohnt. Aber sicher ist unser Gefühl in keiner Weise. Das sage ich denen, die meinen, der Geist habe es vor allem mit Gefühlen zu tun. Sei es, dass sie leiden und auf schöne Gefühle warten oder dass sie bei schönen Gefühlen immer meinen, das sei nun der Geist. Nein, aufs Wort sollen wir merken, und das Wort versichert uns mit seiner eigenen Klarheit, dass das wahr ist in unserem Leben: Ich bin eine Wohnstätte des Geistes, auch wenn ich nichts oder gar das Gegenteil fühle. Unsere Gefühle sind viel mehr eine Frage unserer Persönlichkeitsstruktur als der tatsächlichen Nähe zu Gott. Da fühlt der eine mehr als der andere. Da hat es einer leicht mit seinen stabilen Gefühlen, da hat eine andere zu leiden unter Gefühlen, die sie immerzu herunterziehen. Über den Geist sagt das noch nichts aus; da sagt allein das Wort das Nötige. Auch gegenüber den schwankenden Gefühlen: Doch, sagt es, du bist eine Wohnung des Heiligen Geistes. Und der Geist tut sein Werk in uns, er ist das Geheimnis unseres Lebens. Er tut ganz still das Nötige in unserer Seele, hält alles beieinander, dass es nicht zerbricht. Er richtet uns immer neu auf Gott aus. Das ist der Grund für alles, was in uns als lebendiges, mündiges Christsein wachsen kann.
Zwei Räume des Lebenshauses möchte ich näher vorstellen, es sind eigentümliche Zimmer. Sie heißen nicht Schlafzimmer oder Wohnzimmer, sondern »Raum, in dem es weint« und »Raum unserer Vergesslichkeit«.
Der Heilige Geist kommt als Tröster: der Raum, in dem es weint
Im Griechischen heißt der Heilige Geist auch »Paraklet«. Das kann man übersetzen mit »Beistand« oder »Tröster«. Trösten ist so sehr das »Amt« des Heiligen Geistes, dass es zu seinem Namen wird: der Tröster. So wird sein Wesen gekennzeichnet. Es heißt schon etwas, wenn jemand August der Starke oder Hägar der Schreckliche genannt wird. Jesus stellt uns Gott, den Heiligen Geist, als den Tröster vor. Gottes Wesen ist Trösten. Das ist keine Nebenbeschäftigung Gottes, wenn er gerade nichts anderes vorhat. Gottes Wesen ist voller Erbarmen und Nähe. So denkt er von uns: voller Erbarmen. Das können wir uns kaum vorstellen, dass Gott nicht andauernd über uns nörgelt und an uns herumkrittelt, dass er nicht völlig zu Recht unzufrieden, enttäuscht und bitter ist, sondern voller Erbarmen und Trost.
Ist er aber der Tröster, dann sind wir die, die Trost brauchen. Es gibt diesen Raum in uns, in dem es weint. Wir sind manchmal untröstlich. Unser Dasein hat manchmal etwas Trostloses. Und echter Trost, der mehr ist als billiges Vertrösten, ist eine seltene Angelegenheit. Viele kennen nur das trostlose Trösten, das den Schmerz verstärkt. Am Ende ist man einsamer als vorher. Da betet einer in Psalm 69,21: »Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand, und auf Tröster, aber ich finde keine.« Manchmal liegt es auch an uns selbst. In Psalm 77,3 muss sich einer eingestehen: »Meine Seele will sich nicht trösten lassen.«
Dabei sind wir so sehr trostbedürftig. Die großartige Krimi-Serie »Broadchurch« erzählt den schrecklichen Mord an einem Kind. Untröstliche Eltern, deren Liebe an diesem Verlust fast zerbricht. Mit der Zeit entfaltet sich das Bild eines untröstlichen Dorfes, lauter Menschen, in denen es irgendwo weint. Ein Pfarrer mit Alkoholproblemen. Eine Frau, deren Mann die gemeinsamen Töchter missbrauchte. Ein Kioskbesitzer mit dunkler Vergangenheit, voller Schuld, aber auch voller Leid. Ein kranker Kommissar, der nicht verwinden kann, einmal einen Mörder nicht dingfest gemacht zu haben. Unter dem Strich sind alle »nicht ganz bei Trost«, in vielem untröstlich, in manchem einfach trostlos. Eine Botschaft der Serie lautet: Bei jedem gibt es so etwas, das nach Trost schreit, nach neuer Lebenskraft und neuem Mut.
Aber wie sollen wir denn getröstet werden, wie macht das der Geist in seiner Hauptbeschäftigung als Tröster, wenn er in uns wohnt? Zunächst gibt es hier eine sehr nüchterne Auskunft: Der Geist zieht offenbar nicht als der Krisenvermeider und Glücksbringer bei uns ein, denn dann bräuchte es keinen Trost. Der Tröster ist kein Magier. Es bleibt dabei, dass wir ein trostbedürftiges Leben führen. Mündigkeit des Christenlebens meint nicht, dass wir fortan keinen Trost mehr brauchen.
Auch Christen erleben vieles, wo sie Trost benötigen: die schmerzliche Einsicht im Studium, dass andere besser sind und die eigene Begabung begrenzt ist; die Einsamkeit, wenn ihnen kein Partner an die Seite gestellt ist; das Unbewältigte aus manchen Dramen der