Lebendig!. Michael Herbst
Die Freiheit, die auch anstrengend ist. Nach der ersten Freude ist Freiheit auch Verantwortung. Ich soll jetzt für mich selbst entscheiden, ich bin jetzt für mich selbst verantwortlich. Ich habe, wie es Lothar de Maizière einmal sagte, nicht nur den gestrengen Vater verloren, sondern auch die fürsorgliche Mutter. Der Tagesablauf ist nicht mehr klar, die Rationen werden nicht mehr zugeteilt, das Nachtlager nicht mehr zugewiesen. Freiheit, wenn sie Alltag wird, ist anstrengend.
Drittens: Die Freiheit, wenn sie erwachsen wird. Jetzt ist es nicht mehr genug, dass ich frei bin von den Zwängen und dass mich niemand mehr bevormundet und beschneidet. Jetzt will die Freiheit etwas Größeres. Sie ist nicht mehr nur die Freiheit von etwas, sie wird die Freiheit zu etwas, das größer ist als ich selbst. Ich finde meine Bestimmung, indem ich meine Freiheit nutze, das zu tun, wozu ich geschaffen und berufen bin. Ich darf jetzt tun, was ich tun soll, und indem ich tue, was ich tun soll, werde ich frei.
Alles zusammen macht Freiheit aus: Befreiung von einer zwingenden Macht, ankommen in der ungewohnten Freiheit, frei sein von etwas und zugleich Verantwortung für mich übernehmen und meine Freiheit nutzen, für etwas Größeres da zu sein als für mich selbst. Frei sein von etwas Bösem wird Freiheit zu etwas Gutem. So weit Joachim Gauck. Und wir können festhalten: Mündigkeit, wie sie ja den Jünger und die Jüngerin auszeichnet, ist genau solche Freiheit. Auch Paulus spricht von dieser Freiheit:
Ihr wisst doch: Bei unserer Taufe wurden wir förmlich in Christus Jesus hineingetaucht. So wurden wir bei der Taufe in seinen Tod mit hineingenommen. Und weil wir bei der Taufe mit ihm gestorben sind, wurden wir auch mit ihm begraben. Aber Christus ist durch die Herrlichkeit des Vaters vom Tod auferweckt worden. Und genauso sollen auch wir jetzt ein neues Leben führen. Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein. Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wenn wir nun mit Christus gestorben sind, dann werden wir auch mit ihm leben. Das ist unser Glaube.
Römer 6,3-8
Was meint Paulus damit? Er sagt: »Eure Taufe war ein großer Akt der Befreiung.« Und wir können nun deuten, was diese neue Freiheit bedeutet: Sie ist Freiheit von einem bösen Zwang. Diesen bösen Zwang nennt Paulus Sünde. Er meint, dass die Sünde wie eine üble Diktatorin ist. Sie sperrt uns hinter ihren Mauern ein und lässt uns nicht los, bis wir sterben. Sie gibt uns nicht frei, wir müssen ihr dienen. Sünde ist nicht so sehr eine böse Tat, sie ist eine böse, dunkle Macht, die nach uns gegriffen hat, als wir meinten, ohne Gott besser klarzukommen. Diese miese Tyrannin verführt uns und dann treibt sie es böse mit uns. Adam und Eva dachten, sie könnten werden wie Gott, und landeten jenseits von Eden. Kain dachte, was soll’s, der Neid übermannte ihn und er erschlug seinen Bruder. Die Menschen von Babel wollten einen eigenen großen Namen haben und am Ende blieb kein Stein auf dem anderen. David ließ sich verlocken zur Untreue und verführte Batseba, aber am Ende hielt er ein totes Kind in seinen Armen. Saul suchte Rat in trüben Quellen, befragte eine Hexe und am Ende rammte er sich selbst verzweifelt das Schwert in den Leib. Petrus war selbstgewiss bis zum Anschlag, dann aber weinte er, weil er keine Sekunde treu bleiben konnte. Von der Sünde verführt, am Ende gefangen und gebunden. Eine miese Tyrannin, die Sünde, eine Sklavenhalterin, Generalin eines Söldner-Heeres, die ihren Lohn pünktlich zahlt, und ihr Lohn ist der Tod.
Aber dann kam Christus und riss die Mauer nieder, befreite uns aus diesem Knast und machte uns los von dieser bösen Macht. Unsere Taufe ist das Zeichen, das wir an uns tragen, dass das für uns geschah. »Ich bin getauft«, das heißt: Nun bin ich durch Christus befreit aus dieser Diktatur der Sünde. Ich bin frei. Ich gehöre nicht mehr hinter Mauern. Ich habe eine neue Identität. Gleich mehrfach sagt es Paulus: Du bist nun »mit Christus«. Mit Christus gestorben und begraben, mit Christus in einem neuen Leben. Mit Christus gehst du auf die Auferstehung zu. Du hast nun einen zweiten Pass, Reisefreiheit in ein neues Land: Du bist immer noch Michael oder Elke oder Stefan oder Christine, aber zugleich bis du jetzt freier Bürger des Christus-Landes.
Aber was dann? Wir können die Gedanken von Joachim Gauck als Vergleich heranziehen:
Erste Etappe auf dem Weg der Freiheit: Wer befreit ist, muss sich daran gewöhnen. Zu lange war er gefangen und versklavt. Es dauert, bis wir auch innerlich in der neuen Freiheit ankommen. Bis wir aufatmen und wissen: Ich lebe in einer neuen Heimat bei Gott, und diese Heimat atmet Freiheit. Ich kann die Angewohnheiten eines Häftlings, eines Sklaven, eines Unfreien wirklich ablegen.
Zweite Etappe: Wer befreit ist, lernt noch einmal von vorne, zu leben. Er übt dieses und jenes ein, wie es ist, wenn man nicht mehr hinter Mauern lebt. Er fängt an, neue Verantwortung für sich zu übernehmen. Er erfährt, was es bedeutet, mündig zu sein. Er lernt, richtig von sich zu denken: Ich halte mich daran fest, dass ich getauft bin, also frei von der Sünde, also mit Christus verwoben, zu einem neuen Leben bestimmt.
Dritte Etappe: Wer befreit ist, wird sich irgendwann fragen, was er nun mit der neuen Freiheit anfangen soll. Bald weiß er, dass er frei ist von den alten Zwängen, aber das genügt ihm nicht mehr. Er fragt: »Was kann ich mit meiner neuen Freiheit anfangen? Wozu bin ich bestimmt, was soll ich tun, damit ich ganz der werde, der ich sein soll?« Mündige Freiheit von etwas will Freiheit zu etwas werden.
Nie mehr zurück
Und damit bin ich wieder bei der dummen Frage vom Anfang: Wie könnte nun ein Getaufter stattdessen von sich sagen: »Hm, eigentlich war es doch ganz lustig und schön früher im Gefängnis der Sünde. Warum melde ich mich nicht bei der alten Sklavenherrin und diene ihr mal wieder ein bisschen? So schlecht war das doch gar nicht! Eigentlich machte es sogar mehr Spaß, zu sündigen, als zu tun, was Gott für hilfreich und förderlich hält! Ich glaube, ich besuche die Sünde mal wieder und schaue mal, wie es ihr so geht.«
Da überschlägt sich der Apostel geradezu: Wie sollte das gehen? Du bist doch frei. Nicht dass du nicht mehr sündigen kannst. Doch, das kannst du, man sieht es ja, du tust es auch. Aber du wirst doch nicht so dämlich sein, freiwillig wieder hinter die Mauern deines alten Gefängnisses zu kriechen!
Paulus benutzt noch ein stärkeres Bild: Lieber Christ, sagt er, meine liebe Getaufte, du bist für die Sünde tot. Mausetot. Du bist nicht nur tot, du bist beerdigt. Mit Christus. Und jetzt sollst du in einem neuen Leben wandeln. Du kannst nicht zurück! Du willst doch wohl nicht ernsthaft zurück?
Auf die dumme Frage seiner Gegner: »Ist nicht zu viel Güte Gottes gefährlich für die Moral? Ist Freiheit ohne Druck nicht der Freibrief zum Tun des Bösen?«, antwortet Paulus: »Nein, das ist ausgemachter Blödsinn, Stoff für Stupidedia. Wie könnte ein Befreiter freiwillig wieder in die Klauen der Sklavenmacht zurückkehren? Undenkbar!« Das sagt Paulus nach außen, zu seinen Gegnern. Er sagt aber auch etwas nach innen, zu den Christen in der römischen Gemeinde: »Denkt nun auch richtig von euch. Wisst, wer ihr seid! Vergesst nicht: Ihr seid frei.«
Das bedeutet: Ihr lieben Getauften, freut euch eurer Freiheit. Für die Sünde seid ihr tot. Ihr gehört zu Christus. Denkt auf diese Weise von euch! Denkt über euch selbst als Leute, denen Christus in der Taufe verspricht: Mit der Macht der Sünde ist es vorbei. Ab jetzt gehörst du zu mir. Es scheint sehr wichtig zu sein, richtig von sich zu denken, d.h., innerlich in der Freiheit anzukommen. Wir müssen nicht mehr wie früher. Wir sind frei.
Es scheint zu ganz dummen Fragen zu führen, wenn wir nicht richtig von uns denken. Unsere Gedanken prägen unser Empfinden: Denken wir richtig von uns, führt das zu anderen Konsequenzen, als wenn wir anfangen, dumm über uns zu denken. Wenn wir vergessen, wer wir sind, dann wird die Sünde, diese miese Tyrannin, plötzlich zu einer attraktiven und verlockenden Möglichkeit, und das Leben mit Jesus ist nur noch anstrengend und schwer. Darum denken Sie bitte richtig von sich. Üben Sie es ein!
Wenn Sie in den Spiegel schauen, dann sehen Sie mit den Augen eines getauften Menschen zwei Personen: sich selbst und Christus. Christus vor Ihnen zu Ihrem Schutz, Christus neben Ihnen als Ihr Trost, Christus unter Ihnen, der Sie auffängt, Christus hinter Ihnen, wenn andere über Sie herfallen. Christus bei Ihnen, weil er Sie