Lebendig!. Michael Herbst
nach einem Verlust; die Mischung aus Wut und Verletztheit, wenn wir verlassen werden. Und so häufig sehnen wir uns nach einer Lösung. Es soll vorbei sein. Es soll weggehen. Wie wunderbar, wenn es das tut! Wie großartig, wenn Gott Türen öffnet! Aber manchmal schlagen sie nur so vor uns zu und wir sind untröstlich. Es wird nicht besser, manches wohl nie mehr. Es geht nur hindurch. Trost liegt zwischen purem Glück und letzter Trauer. Es gibt Trost nicht in der Abwesenheit von Schmerz, sondern mitten im Schmerz. Dann kommt Jesus und sagt: Ich bin immer noch da und ich werde nicht gehen. Ich packe nicht die Koffer, wenn dich Menschen im Stich lassen. Ich ziehe nicht aus, weil es bei dir ungemütlich wird. Ich bleibe. Ich halte dich. Ich bringe dich da durch. Das, was du durchmachst, hat nicht das letzte Wort in deinem Leben. Niemals werde ich dich im Stich lassen.
Der Geist ist ein Tröster. Die Behutsamkeit Gottes geht so weit, dass der Tröster sein Trösten oft tief verbirgt. Er verbirgt sich in einer freundlichen Geste, einem guten Zuhörer, einer Melodie, die mich aufrichtet. Er ist kein eiliger Tröster, der sich mit ein paar flachen Sprüchen seiner Aufgabe entledigt. Er verbirgt sich in einer aufmerksamen Karte, einem verständnisvollen Gespräch, einem starken Kaffee. Am liebsten aber tröstet der Geist durch das, was sein Ureigenstes ist: im Zuspruch eines Wortes Gottes oder im Empfang von Brot und Wein beim Abendmahl. Martin Luther wurde getröstet, wenn er an die Taufe dachte. »Ich bin getauft«, das war ihm letzter Halt in aller Krise. »Ich bin getauft«, also ist Gott mir gut. Pfingsten sagt uns: Rechne nicht mit Magie, aber mit Trost. Stell dich ein, wo der Trost zu erwarten ist. Du darfst damit rechnen, getröstet zu werden.
Wie ist das, getröstet zu werden? Die Tränen trocknen, das Schluchzen erschöpft sich. Wir heben den Kopf, wir atmen durch. Wir sehen wieder klar. Wir stehen auf. Es geht weiter. Es ist nicht zu Ende mit uns. Wir spüren ein bisschen Mut und ein wenig Kraft. Das Leben hat auch wieder helle Seiten. Wir spüren Zuversicht: Am Ende macht Gott es gut, selbst mit uns. Ein bisschen Freude lugt um die Ecke. Der Herr ist gut. Der Geist ist Tröster. Gott sei Dank!
Der Geist arbeitet als Lehrkraft: der Raum unserer Vergesslichkeit
Der Heilige Geist ist nicht nur Tröster, er ist auch Lehrer. Er lehrt uns, die Wahrheit Gottes zu verstehen. Jesus sagt: Der Geist »wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe« (Johannes 14,26). »Wenn dann der Beistand kommt, wird er euch helfen, die ganze Wahrheit zu verstehen. Denn er ist der Geist der Wahrheit« (Johannes 16,13).
Der Geist der Wahrheit leitet in alle Wahrheit, erinnert an die Worte von Jesus und lehrt uns so, in der Wahrheit von Jesus zu bleiben. Der Geist Gottes ist ein Lehrer für lebendiges, mündiges Christsein. Er lehrt anhand der Worte, die Jesus uns hinterlassen hat. Sein Lehrbuch ist die Bibel. Wir sind Schüler des Heiligen Geistes, indem wir Schüler der Bibel sind und bleiben.
Wir brauchen offenbar einen Lehrer, egal ob wir alt sind oder jung. Wir irren uns häufig. Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen. Wir sind zuweilen verwirrt. Uns fehlt die Klarheit. Wir vergessen, was wir gelernt haben. In manchen Lebenslagen benehmen wir uns wie Erstklässler. Auch das gilt für Schlaue und Schlichte, unabhängig vom Schulabschluss. Wir vergessen einfach im Ernstfall, dass der Herr in unserem Haus wohnt. Und dann wieder fragen wir uns völlig verunsichert, was wir tun sollen. Wie sollen wir in diesem oder jenem entscheiden? Was ist richtig und was falsch? Wir brauchen einen Lehrer. Jesus sagt: Ich weiß. Und ich lasse euch nicht im Stich. Ihr bekommt einen Lehrer, das ist mein Geist, und sein Lehrbuch ist mein Wort.
Mir ist aufgefallen, dass Jesus den Geist als Lehrer zusammenbringt mit unserer Vergesslichkeit: Wir brauchen fortwährend und immer wieder Erinnerung. Erinnerung brauchen wir, weil wir vergessen, weil uns das, was wir schon einmal wussten, immer wieder gegenwärtig werden muss. Das ist nie ein für alle Male klar und erledigt. Der Geist als Lehrer macht uns gegenwärtig, was wir schon einmal wussten.
Nehmen wir ein paar »harmlose« Themen wie »Geld« und »Sorge«. Geld ist ja ein merkwürdiger Stoff. Auf Geld reagieren wir wie das Hündchen aufs Stöckchen. Kaum fliegt der Stock, schon laufen wir los. Es ist auch egal, ob wir Geld haben oder nicht. Wir wollen gern immer mehr haben. Wir sehen einen, der mehr hat, und der Neid kriecht hoch. Wir sehen etwas im Schaufenster, von dem wir fortan meinen, es zu brauchen, bis wir es haben. Wir überlegen uns, was wir für Gottes Reich und arme Menschen abgeben könnten, aber dann denken wir, nein, das ist zu viel, wir müssen erst einmal an uns denken! Das denkt natürlich nicht unser christliches Ich, das schicken wir derweil in den Keller, ein Bier holen, aber das andere Ich, das denkt so. Natürlich wissen wir nach einer gewissen Weile, was Jesus dazu sagt und wie er uns an dieser Stelle auf einen gesunden Kurs bringen will. Aber im Ernstfall sind wir vergesslich.
Deshalb brauchen wir den Geist, damit uns das, was Jesus rät, nicht entfällt, sondern einfällt (vgl. zum Folgenden Matthäus 6,19-34): Lasst es euch genug sein, wenn ihr Kleidung und Essen habt. Macht euch nicht selbst zu Sklaven des Geldes. Geben ist seliger als Nehmen, es ist nicht edler, nicht frömmer als Nehmen, aber fröhlicher könnt ihr nicht werden, als wenn ihr gern gebt und teilt. Lasst euch nicht täuschen: Geld ist keine gute Lebensversicherung, denkt nur an den reichen Kornbauern. Guckt euch an, wie ihr in die Welt gekommen seid, denn genau so werdet ihr sie auch verlassen. Ihr könnt ja keinen Cent mitnehmen.
Es ist nicht das Wissen, das uns fehlt, es ist die Erinnerung im Ernstfall, die wir brauchen. Jesus weiß, dass wir es immer wieder vergessen oder es wissen, aber andere Gedanken in unseren Herzen stärker und mächtiger werden. Der Geist muss seine Worte neu in uns zur Wirkung bringen. Das ist dann ein kleines Pfingsten.
Mit der Sorge ist es ähnlich. Wer Kinder möchte, beschließt, bis ans Ende seiner Tage Sorgen haben zu wollen. Von anderen Sorgen ganz zu schweigen: Wie geht es mit der Gesundheit weiter? Ist mein Job sicher? Geht Europa den Bach runter und kehrt die Armut zurück? Bleibt uns der Frieden erhalten? Wird unsere Ehe halten? Bin ich dieser neuen Aufgabe gewachsen? Kaum wälzen wir des Nachts Gedanken, kriecht die Sorge in unser Herz. Die Sorge findet, dass unser Herz eine erstklassige Wohnlage darstellt. Natürlich haben wir gehört: »Macht euch keine Sorgen!« (Philipper 4,6). Wir wissen, dass wir unsere Sorge auf Gott werfen sollen, weil er für uns sorgt. Wir haben es tausendmal gehört, dass alle Sorge um den nächsten Tag sinnlos ist, aber es hat uns tausendmal nicht berührt. Jesus könnte sich jetzt die Haare raufen (ich weiß aber nicht, ob man im Himmel Haare hat) oder sich etwas einfallen lassen. Er sagt: »Okay, dann muss ich mal durch die Wohnung gehen und der Geist von Pfingsten muss den ollen Sorgen-Lümmel vor die Tür setzen.« Und plötzlich wird eine Stimme in uns stärker: »Verlass dich auf mich. Ich sorge für dich. Ich bringe dich da durch. Hör auf, diese Gedanken hin und her zu wälzen. Wälze lieber meine Worte hin und her, protestiere gegen die Sorge, argumentiere mit meinen Worten, häng sie auf wie Plakate an die Wand.« Der Geist erinnert unser vergessliches Herz.
Das ist Gottes Pfingstversprechen: »Du bekommst Erinnerung. Ich mache das, was Jesus sagt, stark in deinem Kopf, deinem Herzen, deinen Entscheidungen, deinen Prioritäten, deinem Willen. Setz dich nur immer wieder meinem Wort aus. Dann wirst du es erleben, wenn es nötig ist.«
Der Geist Gottes wohnt in jedem, der Jesus lieb hat. Der Geist ist kein Magier, aber ein Tröster. Er geht auch in die Räume unseres Lebens, in denen es weint. Und der Geist ist zugleich ein Lehrer: Er erinnert uns vergessliche Menschen an das, was Jesus gesagt hat.
2. Vom Geist getrieben – Die Kraft zur Veränderung
Einer meiner ältesten Freunde begleitet mich schon fast mein ganzes Leben lang. Seine Geschichte ist schnell erzählt. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, lebten wir in Bielefeld. Da meine Eltern einen größeren Betrieb führten, hatten wir eine Haushaltshilfe. Frau Staratzke nahm mich immer mit zum Einkaufen. Das führte uns in lauter kleine Läden, zum Bäcker, zum Fleischer, ins Milchgeschäft und in den Obstladen. Dazu mussten wir die große Ringstraße überqueren, vierspurig, in der Mitte Straßenbahnschienen. Das war immer ein Abenteuer! Eines Tages, als wir gerade die Schienen überquerten, entdeckte ich einen Teddy. Er lag genau in der Rille der Schienen, in der die Räder der Straßenbahn