Goodbye, McK... & Co.. Edgar K. Geffroy
dieser Werteebene sind jedoch nicht nur positive Ausprägungen angesiedelt – auch negative Ausprägungen finden sich hier, die dem Berater mehr schaden als nutzen. Typische »Macken« auf dieser Ebene sind zu stark ausgeprägtes Konkurrenzdenken, Geltungssucht und Leistungsdruck sowie die Gier nach noch mehr Ansehen und Wohlstand. Diese Art des Denkens führt dazu, dass sich Berater permanent selbst unter erheblichen Leistungsdruck stellen, der immer weiter wächst. In Kombination mit privaten Konflikten, die sich durch den in der Branche üblichen Arbeitseinsatz oft entwickeln, ist ein Burn-out praktisch vorprogrammiert.
Es liegt in der Natur eines klassischen Beraters, Projekte schnell durchziehen zu wollen – was zusätzlich durch die Vorgaben der Auftraggeber geschürt und unterstützt wird. Besonders in Veränderungsprozessen ist diese Vorgehensweise für betroffene Mitarbeiter eines Unternehmens äußerst belastend, wenn zum Beispiel das Ziel der schnellen Kostenoptimierung auf ihren Schultern ausgetragen wird. Vor allem dann, wenn es darum geht, Ziele nachhaltig auszurichten, kann ein Berater mit seinem Drang nach schnellem Erfolg eher das Gegenteil von dem bewirken, was ursprünglich als Aufgabenstellung festgelegt war.
Dieser kleine Exkurs weckt vielleicht ein wenig Verständnis für die Welt eines Beraters – er handelt eben entsprechend seiner Werteebene. Solange er sich in einem Umfeld mit den entsprechenden Rahmenbedingungen bewegt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich sein Werteverständnis ändert. Führen jedoch die Umstände dazu, dass er sein Denken, Fühlen und Handeln überdenkt und sich neu ausrichtet, wird er sich auch in eine andere Ebene »hineinentwickeln«. (Wie das genau funktioniert, und welche Rolle dabei die Werteebenen spielen, wird im Kapitel »Chance: Identität und Werteverständnis« erklärt.)
Doch im Augenblick ist etwas in Bewegung, das den Berater der Zukunft regelrecht zwingen wird, sich zu ändern oder anzupassen. Verschiedene Stimmen werden in der Wirtschaft laut, dass sich die Beratungsunternehmen in Zukunft radikal ändern müssen, um beim Kampf um Aufträge die Nase vorn zu haben. Dabei rückt das Wort Sinnkrise27 in den Fokus. In einem gesättigten und umkämpften Markt stellen Kunden demnach immer lauter die Frage nach dem Nutzen von Beratungsleistungen. Große Beratungshäuser bauen weiter auf ihre weitreichende Expertise, für die Unternehmen immer noch horrende Summen bezahlen, und sind somit noch relativ sicher vor größeren Umsatzeinbrüchen. Vergleichsweise gut geht es auch den kleineren Unternehmensberatungen, die sich spezialisiert haben und ihren Kunden wertvolle Praxistipps geben können. Doch besonders die mittelgroßen Beratungshäuser28 bekommen die aktuelle Lage zu spüren: Sie haben es verpasst, Arbeitsabläufe mithilfe von IT-Systemen zu optimieren. Früher wurde das fälschlicherweise als unwichtig erachtet. Heute werden die Folgen dieser Fehleinschätzung spürbar, weil Unternehmen nun genau in diesen Bereich investieren.
Was wir in den letzten Jahren schon beobachtet haben – und was sich aktuell weiter verstärkt und in Zukunft sicher von noch größerer Bedeutung sein wird – ist ein Trend zur individuellen Beratung in Verbindung mit Nahbarkeit. Das beschriebene Image eines klassischen Beraters macht deutlich, wie groß das Defizit in diesem Bereich noch ist. Analytisch und präzise sind sie alle – aber der Kunde möchte zunehmend eine Kombination aus Expertise und Soft Skills. Das Fehlen von Soft Skills wird heute als großes Manko gesehen und nicht mehr länger akzeptiert.
Folgendes Praxisbeispiel beschreibt wunderbar eine Kombination aus Expertise und Soft Skills. Es zeigt, dass Sensibilität gegenüber dem Kunden im Grunde genommen jeden betrifft:
■ Bei einem Gespräch mit einem Firmenkunden über seine neuen Herausforderungen offenbarte dieser dem Berater plötzlich sein Problem: Mit seinem 3000 Mitarbeiter starken Unternehmen hatte der Geschäftsführer über viele Jahre hinweg erfolgreich seine Produkte verkauft und war zu einer festen Größe in der Branche geworden. Nach langem konstanten Wachstum brach der Umsatz jedoch so stark ein, dass das Unternehmen innerhalb eines Jahres ins Minus rutschte. Auf die Frage, was wohl, im Nachhinein betrachtet, der Fehler gewesen sein könnte, gab der Kunde zu, eine dramatische Veränderung auf dem Markt zu spät erkannt zu haben. Er hatte lange Zeit seinen Schwerpunkt auf die Produkte gelegt und nicht mitbekommen, dass andere Anbieter in der Zwischenzeit dazu übergegangen waren, mit den Augen des Kunden zu sehen.
Dem Berater wird das Gleiche abverlangt, und dies sollte er ebenso an seine Klienten weitergeben: dem Kunden aktiv zuhören, sich auf seine Ebene begeben, Fragen stellen – das alles liefert wertvolle Informationen, die dem Experten die Richtung weisen.
■ Die Aufgabe im Beispiel war es nun, das Unternehmen so auszurichten, dass es mit den Augen des Kunden sehen lernte. Dazu wurden Mitarbeiter und Partner befragt, Chancen verglichen und Kundenideen hinterfragt. Aus diesen Erkenntnissen wurde eine neue Strategie entwickelt, die es dem Unternehmen ermöglichte, nicht nur neu durchzustarten, sondern auch in Zukunft Veränderungen schneller zu erkennen und darauf zu reagieren.
Schaut man sich nun die Werteebene eines klassischen Beraters an, haben Soft Skills dort jedoch überhaupt keinen Platz. Was also tun? Um es auf den Punkt zu bringen: In der Beraterbranche muss sich etwas ändern. Die Branche braucht einen Change!
Unsicherheit: Es bewegt sich was
Es macht sich eine gehörige Portion Unsicherheit auf dem Beratermarkt breit – und das gleich an mehreren Fronten. Derek van Bever, Dozent an der Harvard Business School (HBS), hat in Gemeinschaftsarbeit mit Clayton M. Christensen und Diana Wang im Harvard Business Manager die Unternehmensberaterbranche unter die Lupe genommen und vier maßgebliche Entwicklungen formuliert:29
1. Einige Unternehmensberatungen werden eine stärkere Position auf dem Markt einnehmen, andere werden es nicht schaffen, zu überleben. Spitzenreiter werden diejenigen sein, die es schaffen, die klassische Beraterarbeit ein Stück weit zu erhalten, aber gleichzeitig auf ihre Kunden zugeschnittene Lösungen als Benchmark zu bieten.
2. Die Zielgruppe großer Beratungen besteht überwiegend aus Konzernen, was für sie auf Dauer gesehen zu einer Sackgasse werden kann. Der Grund dafür liegt darin, dass die kleineren Firmen mit ihren spezielleren Bedürfnissen als Kunden im Beratermarkt weiter an Bedeutung gewinnen werden, denn sie sind diejenigen, die das Thema Disruption (mehr dazu unter »Disruption – die ständige Bedrohung«) schüren können. Noch nehmen die »Großen« die »Kleinen« auf dem Markt nicht genug wahr. Die Retourkutsche dafür wird kommen.
3. Kunden fördern den neuen Trend der Modularisierung (mehr dazu in Kapitel »Der Berater von übermorgen – der Mensch«) – sie kaufen sich also nur die Teile der Beratungsleistung ein, die sie gerade für ein Projekt benötigen, und sparen damit Kosten. Ein erheblicher Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass es an den Schnittstellen zwischen Beratung und Unternehmen zu Problemen kommen kann. Wer Wege findet, diese Schnittstellen ohne störende Naht zusammenzubringen, wird auf dem Markt die Nase vorn haben.
4. Analysetools und -software gibt es zurzeit in rauen Mengen, und sie erleichtern Beratern die Arbeit mit ihren Kunden. Daher gehören sie mittlerweile zur Standardausrüstung eines guten Beraters, und die Bedeutung solcher Tools wird noch weiter steigen. Das schließt auch die Verarbeitung von Big Data mit ein.
Vor allem im Bereich der Datenverarbeitung tut sich schon heute viel. Schaut man sich Netzwerke wie LinkedIn oder XING an, funktionieren diese wie internationale Talentbörsen. Möchte man miteinander kommunizieren, kann man das nahezu kostenlos tun, und Cloud Computing sorgt für einen reibungslosen Datenaustausch. Es sind praktisch alle möglichen Mittel vorhanden, sich das Wissen anderer zu leihen, es durch eigenes Wissen zu ergänzen und es daraufhin wieder weiterzuverkaufen.
Anbieter von Onlineberatungen nutzen die Möglichkeiten von Netzwerken seit über fünf Jahren und versprechen damit schnelle, aber auch anonyme Hilfe bei Kleinstprojekten.30 Statt eine große Beratungsfirma engagieren zu müssen, stellen die Interessenten online eine gezielte Frage, die mit der dahinter geschalteten Software einer Kategorie zugeordnet und dann direkt an die Mitarbeiter der Onlineberatung weitergeleitet wird. Die eingehenden Anfragen sind klar gestellt, denn nur so ist eine Bearbeitung auf diesem Weg möglich. Ein produzierendes Unternehmen lässt zum Beispiel in einem bestimmten Zeitraum seine Preisspanne für eines seiner Produkte im Vergleich zum Wettbewerber analysieren, oder eine international aufgestellte Bank lässt einen bestimmten Bereich ihres Angebots auf dem asiatischen