Goodbye, McK... & Co.. Edgar K. Geffroy
was passiert dabei mit dem Wertesystem und der Identität des Beraters? Kann er das, was er da tut, mit seiner inneren Einstellung vereinbaren? Steht er auch wirklich dahinter, wenn er seinen Kopf hinhält, um die am häufigsten geforderte Rolle des Sündenbocks einzunehmen, damit der Auftraggeber sein Gesicht wahren kann? Wahrscheinlich ist das nicht. Der Berater schlüpft vielmehr in eine Rolle, die nicht seiner Identität entspricht. Für den Berufsalltag bedeutet das: Der Berater legt zu Arbeitsbeginn seine Identität vor der Bürotür ab, um es sinnbildlich auszudrücken. In seinem Büro sammelt er dann Zahlen, Daten und Fakten, damit der Auftraggeber diese dann als seine eigene Arbeit verkaufen kann. Oder er bereitet ein unangenehmes Gespräch mit einer anderen Unternehmensstelle vor, das er in Vertretung für den eigentlichen Verantwortlichen übernimmt. Unter diesen Voraussetzungen ist es auch kein Wunder, dass zur extremen zeitlichen Belastung in diesem Beruf auch eine emotionale Belastung dazukommt, da ein Berater sein Wertesystem praktisch »an den Nagel hängt«, während er seinen Job macht. »Der arme Berater!«, könnte man nun sagen, mit einer ordentlichen Portion Ironie – sollte sein prall gefülltes Konto nicht den entsprechenden Ausgleich für diese Belastung bieten?
Fakt ist, dass selbst ein Millionenbetrag auf dem Bankkonto das, was im Menschen selbst passiert, nicht wettmachen kann. Es stellt nämlich für einen Menschen eine enorme Stresssituation dar, wenn ein Agieren entgegen dem eigenen Wertesystem zum Dauerzustand wird. Nur allzu oft wird diese Tatsache von der Gesellschaft verkannt. Der Mensch befindet sich in einer permanenten inneren Konfliktsituation und kämpft gegen seine Identität an, um seine Rolle erfüllen zu können. Allerdings kann sich der Betroffene auch selbst aus dieser Lage befreien. Er selbst hat es in der Hand, etwas an seinem Dilemma zu ändern – er muss es nur wollen und den ersten Schritt dafür tun. Das bedeutet für ihn aber auch, Gewohntes aufzugeben – etwa das hohe Einkommen sowie die Garantie, weitere Aufträge zu erhalten. Im Kapitel »Chance – Identität und Werteverständnis« wird dieses Thema detailliert aufgegriffen.
Bei der Auseinandersetzung mit der Kritik an der Beraterbranche darf nicht vergessen werden, dass sich Forschungen schwierig gestalten, weil der Markt mannigfaltig und daher nahezu unüberschaubar ist. Es gibt sehr viele verschiedene Beratungsunternehmen in sehr unterschiedlichen Größen, von »One-Man-Shows« bis hin zu den Platzhirschen der Branche, die in vielen Ländern vertreten sind und mehrere tausend Mitarbeiter haben. Die Großen bieten ein meist großes und umfassendes Themenangebot, kleinere Beratungsunternehmen versuchen, sich mit speziellen Themen zu positionieren oder eine bestimmte Kundenklientel zu bedienen. Die Inhalte der Beratungsangebote sind extrem breit gefächert – Kunden können sich zu jedem erdenklichen Thema beraten lassen. Zusätzlich unterscheiden sich die Anbieter durch ihre Methoden, Ansätze und Philosophien. Daten zu Erfolgen und Misserfolgen konnten und können ebenfalls nur schwer erhoben werden. Zum einen berufen sich die Unternehmensberatungen auf ihre Schweigepflicht – zum anderen wird grundsätzlich vermieden, dass Misserfolge bekannt werden. Dies sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um Forschungsarbeiten für eine tragfähige Bewertung der Branche durchzuführen.
Die Tatsache, dass sich Wissenschaftler überhaupt kritisch mit der Beraterbranche auseinandersetzen, sollte allerdings nicht nur die potenziellen Kunden aufhorchen lassen, sondern vor allem die Berater selbst.
Der Stand beim Mittelstand
Während Berater in Großkonzernen sprichwörtlich zum Inventar gehören und sich immer weiter unentbehrlich machen, sieht die Sache im Mittelstand ganz anders aus. Nicht, dass Berater nicht versuchen würden, auch in diesem Businessbereich Fuß zu fassen – aber wegen der Firmenchefs im Mittelstand stellt sich das nicht so einfach dar. Eine im Frühjahr 2011 durchgeführte Befragung von 500 Geschäftsführern von Unternehmen unterschiedlicher Größe im Mittelstand ergab Folgendes:
Von den Firmen mit bis zu 250 Angestellten haben 43 Prozent noch nie einen Berater zum Akquisegespräch im Haus gehabt. In diesem Segment finden sich auch verstärkt diejenigen Unternehmen, die ganz und gar nichts von Beratern halten (jeder fünfte der befragten Geschäftsführer). Selbst bei den etwas größeren Mittelständlern mit bis zu 1000 Angestellten hat jeder vierte Geschäftsführer noch nie einen Berater beauftragt.22
Ein Ergebnis, das überrascht.
Eine weitere Studie aus dem gleichen Jahr, bei der Entscheider auf Top-Managementebene zur Leistungs- und Zukunftsfähigkeit der Beraterbranche befragt wurden, untermauert dieses Ergebnis zusätzlich: »Unternehmensberatungen agieren am Markt vorbei.«23 Hier wird unter anderem kritisiert, dass sogar die renommiertesten Unternehmensberatungen nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechend agieren. Gerade die für Berater so interessante Vordenkerrolle sehen 65 Prozent der befragten Firmen nicht mehr gegeben. Auffallend in dieser Studie war, dass jedes vierte Unternehmen die schlechte Zusammenarbeit zwischen Berater und Kunde kritisierte, und zwar besonders in Situationen, in denen es darum ging, Wissen und Kompetenz so weiterzugeben, dass sie vom Auftraggeber auch verstanden und genutzt werden können.
Die Frage ist: Was ist am Mittelstand so anders, dass dieser immun gegen Beraterleistungen zu sein scheint? Vielleicht liegt es an der Unternehmensführung, die aufgrund der geringen Zahl ihrer Mitarbeiter näher an diesen dran ist und deren Leistung besser einschätzen kann. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass es dort keinen »Wasserkopf« gibt, der es schwer macht, wichtige Entscheidungen direkt umzusetzen. Mittelständler sind oft Familienunternehmen mit ganz eigenen Vorstellungen und Werten24, denen es nicht notwendig erscheint, sich fremde Hilfe ins Haus zu holen. Hier sind die Firmenchefs der Meinung, dass sie nicht nur genügend Kompetenzen im Haus haben, sondern auch genug gesunden Menschenverstand, dass sie die anstehenden Probleme allein regeln können.
Hinzu kommt, dass in Familienunternehmen die Firma und die Menschen, die dort arbeiten, auf ganz andere Art miteinander verbunden sind. Da wird ganz genau abgewogen, welche Geldmittel wofür eingesetzt werden und wo man besser sparen sollte. Die Angst, dass eine ganze Horde teurer Berater eine regelrechte Invasion starten oder mit undurchsichtigem Vorgehen Tage oder gar Wochen schlucken könnte, ist einfach zu groß. Außerdem verbreiten sich Gerüchte über das teure Scheitern von Beraterprojekten schnell. Selbst wenn diese – so sie denn überhaupt an die Öffentlichkeit kommen – nicht von den Medien gepusht werden, machen sie doch die Runde: Berichte von Beratern, die dem Firmenchef tolle Konzepte vorstellen, aber nach Auftragserteilung nur Schall und Rauch erzeugen, oder von »One-Man-Shows«, die vorgeben, alles zu können, und sich dann plötzlich wieder zurückziehen, weil sich herausstellt, dass das Ganze doch eine Nummer zu groß für sie ist. Aufgrund solcher Vertreter der Zunft haben es wirklich gute Berater – und die gibt es tatsächlich – richtig schwer, mit ihrem Wissen und Können dort zu helfen, wo Unterstützung wirklich nötig ist. Dem »Häuptling« des Familienunternehmens kann man das jedenfalls nicht übel nehmen.
Außerdem sind in den Augen von Mittelständlern die Honorare für Beraterleistungen viel zu hoch. Hier wird oft noch mit spitzem Stift kalkuliert, gerade weil man keine Garantie dafür hat, dass das Geld am Ende auch gewinnbringend eingesetzt sein wird. Darüber hinaus tut sich gerade der Mittelstand oft schwer mit Youngstern, die frisch von der Uni kommen, denn diese können natürlich keinerlei unternehmerische Erfahrung vorweisen. Klaus Reiner, Pressesprecher des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater e. V. (BDU), sieht insbesondere bei familiengeführten mittelständischen Unternehmen eine Art Selbstverständnis, das über Generationen gewachsen ist: Der Mittelstand kenne seine Produkte und Märkte am besten und brauche keine externe Unterstützung.
Dietmar Fink, Experte für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, erklärt das so: »Mittelständler sind in der Regel nicht auf der Suche nach klangvollen Namen und global agierenden Beratungskonzernen. Für diese Klientel ist vor allem eins wichtig: Der potenzielle Berater muss sie verstehen, er muss ihre Sprache sprechen.«25 Laut Fink sind lange Listen von Referenzen für einen Mittelständler gar nicht von entscheidender Bedeutung. Was das Beratungsunternehmen bisher alles geschafft hat, ist nebensächlich. Wichtig ist für einen Geschäftsführer lediglich, dass die Leute, die letztendlich Einblick in sein Unternehmen bekommen, kompetent und zuverlässig sind und zu ihm als Kunden passen.
Die Passung von Berater und Kunde ist von so großer Wichtigkeit, dass jedes Beratungsunternehmen sich das zu Herzen nehmen sollte. Warum nicht darauf schauen,