Feigling oder Führungskraft?. Nicole Pathé
und Projekte im Unternehmen denke.«
Definition der Führungskraft
Eine wahre Führungskraft ist eine Person, die Freude an der Zusammenarbeit mit anderen hat, weil sie in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Verhalten und Meinungen Chancen für Synergien sieht. Sie ist der Überzeugung, dass die Teamleistung stets größer ist als die Summe der Einzelleistungen. Aus dieser Überzeugung heraus schätzt und fördert die Führungskraft kontroverse Diskussionen, in denen sie klare Positionierungen der Beteiligten einfordert und sich selbstverständlich selbst eindeutig positioniert.
Führungskräfte zeigen und fordern Haltung
Die Mitarbeiter einer solchen Führungskraft trauen sich, ihre Meinung einzubringen, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass der Chef ihnen zuhört und sie ernst nimmt. Das bedeutet für die Führungskraft nicht zwangsläufig, sich ihrer Sichtweise anschließen zu müssen, sondern vielmehr, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ohne die Mitarbeiter abzuwerten, wenn deren Meinung stark von der eigenen Sichtweise abweicht. Mit diesem Verhalten schafft die Führungskraft eine Vertrauenskultur, in der die Mitarbeiter erleben, dass ihre aktive Beteiligung gewollt ist und geschätzt wird. Gleichzeitig machen sie die Erfahrung, sich auf das gesprochene Wort ihrer Führungskraft verlassen zu können. Ein Ja ist ein Ja, eine Zusage bleibt eine Zusage, eine Vereinbarung ist verbindlich, ein Nein unumstößlich.
Die Sprache dieser Führungskräfte ist eindeutig: Sie sagen, was sie wollen. Sie sagen, ob sie diskutieren, informieren, motivieren, anweisen oder kritisieren wollen. Sie lassen ihr Gegenüber nicht im Ungewissen über die Absicht, mit der sie Themen platzieren. Worte wie »vielleicht«, »Könnte sein« oder »Ich würde mir wünschen …« gibt es in ihrem Wortschatz selten.
Eine Führungskraft investiert bewusst Energie in eine konstruktive Feedbackkultur und zeigt sich als professioneller Feedbackgeber und -nehmer. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter ist für sie fester Bestandteil einer Leistungskultur, daher sieht sie in Mitarbeiterbeurteilungen und Feedbacks eine echte Chance. Der Inhalt ihrer Rückmeldungen ist bei Weitem nicht immer positiv, aber die Mitarbeiter wissen stets, was ihre Führungskraft von ihrem Arbeitsverhalten und ihrer Leistung hält und wo Optimierungsbedarf besteht. Als Feedbacknehmer bittet die Führungskraft ihre Mitarbeiter um ein Feedback zu ihrem Führungsverhalten und freut sich regelrecht über kritische Äußerungen. Dadurch spürt sie, wie viel Vertrauen ihr entgegengebracht wird.
Eine Führungskraft beantwortet Fragen ehrlich und zeitnah. Eine ehrliche Antwort kann auch heißen: »Ich weiß es nicht« oder »Ich kläre das« oder »Dazu möchte ich momentan nichts sagen«. Dabei hat die Führungskraft stets im Blick, was ihre Antworten beim Mitarbeiter auslösen. Ist sie unsicher, fragt sie beim Mitarbeiter nach.
Führungskräfte etablieren eine Feedbackkultur
Last, not least: Die Mitarbeiter einer Führungskraft wissen, dass ihr Chef sich anderen im Unternehmen gegenüber genauso glaubwürdig verhält wie ihnen gegenüber. Die Führungskraft äußert Kritik, spricht auch Unangenehmes aus, stellt Fragen, konfrontiert, gibt und nimmt Feedback, interessiert sich für die Meinung von Kollegen und Vorgesetzten zu wichtigen Themen. Eine echte Führungskraft hat Mut, eine möglicherweise abweichende Meinung zu vertreten, und ist mit diesem Verhalten konsequent verlässlich. Das heißt, das, was sie von ihren Mitarbeitern erwartet, lebt sie selbst vor. Das bedeutet es, mit Klarheit und Courage zu führen.
Der Taktiker
Taktiker sind nicht feige, sondern berechnend
Neben der Führungskraft und dem Feigling gibt es noch eine »Spezies«, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Von meinen Seminarteilnehmern und Coachees werde ich oft gefragt, wo in meinen Betrachtungen denn der Taktiker Berücksichtigung findet. Wenn ich frage, was sie darunter verstehen, kommen Aussagen wie: »Das ist jemand, der auf seinen Vorteil bedacht ist und Kommunikation auf diplomatischem Parkett praktiziert.« Die Bezeichnung »Taktiker« ist oft negativ besetzt und man unterstellt überwiegend egoistische Motive. Doch für mich ist der Taktiker jemand, der zielorientiert vorgeht und gut überlegt, wann er wem was sagt. Er zeigt durchaus Verhaltensweisen, die denen eines Feiglings ähnlich sind, ohne jedoch Feigling zu sein. Der Taktiker schweigt nicht – wie der Feigling – aus Angst, sondern auf Basis sachlicher Überlegung. Er stellt keine kritischen Fragen, weil er möglicherweise gerade keine Lust auf Ärger hat oder an die strategischen Folgen seines Verhaltens für die Abteilung oder das Unternehmen denkt. Das unterscheidet den Taktiker vom Feigling. In jeder Führungskraft steckt hoffentlich ein Taktiker, der dafür sorgt, dass aus Mut kein Leichtsinn wird.
Feigling und Führungskraft im Unternehmensalltag
So weit meine Definition von Feigling, Führungskraft und Taktiker. In welchen Beschreibungen und Aussagen finden Sie sich wieder? Haben Sie womöglich sogar herausgefunden, dass Sie immer mal wieder ein Feigling sind? Dann kann es wegweisend sein, sich über die folgenden Fragen Gedanken zu machen:
Je nach Ausprägung des Feiglings in Ihnen kann es sinnvoll sein, sich externe Unterstützung in Form eines Coachings zu suchen. Das ist oft schon der erste Schritt auf dem Weg vom Feigling zur Führungskraft.
Einmal Feigling heißt nicht immer Feigling
Wie agieren nun Feiglinge und Führungskräfte im Unternehmen? Zunächst einmal die frohe Botschaft: Einmal Feigling heißt nicht