No such Future. Friederike Müller-Friemauth
Beispiel für die Kreative Klasse gesichtet worden sei, dem wird mit entwaffnender Chuzpe entgegengehalten: »Doch! Wir, die Verkünder der Trendreportage!« Und wer wollte da widersprechen?
∎ Anderen das eigene Spiel aufzwingen.
Vertreter der Trendreportage heißen in angelsächsischen Spielberichten Humpty Dumpty; in deutschen Goggelmoggel. Sie »wissen« oder besser: Sie bestimmen, was WAS ist.30
Beispiel Kreative Klasse: Kreativität ist – laut Trendreportierenden – im Grunde alles! Auch was Freiheit, Sinn und Erfolg bedeutet, wird entsprechend »eingerichtet«: Die Kreativen sind frei, wenn sie den »Schubs« bekommen haben. Aber eigentlich ist in der schönen neuen Wirtschaftswelt sowieso alles und jeder frei. Zwar können Konsumenten nur wählen, was sie nicht kaufen oder welchem Angebot sie sich verweigern wollen. Aber im marktradikal-(neo)liberalen Licht der Trendreporter ist jeder seines eigenen – freien – Erfolges Schmied.
Alle sind also dabei: Sowohl bei der Trendreportage als auch bei der Kreativen Klasse. Oder sind beide womöglich das Gleiche?
Wenn aber alle aufm Platz sind, kann es auch keine miesepetrigen Bankdrücker mehr geben, die das Trendspiel abwertend von außerhalb des Rasens kommentieren. Sieger, Loser, Aufstiegswillige und Frustrierte werden gleichermaßen angesprochen. Richard Floridas Zielgruppe scheint auf den ersten Blick nur aus Entscheidern, VIPs und dergleichen zu bestehen – gehobene Mittel- und Oberschicht also. Und selbstverständlich nehmen genau diese Gruppen die Trendreportagen durchaus wohlwollend zur Kenntnis: Sie bekommen die Zukunfts-Manifeste ja schließlich auf den Leib geschrieben! Doch deren Strahlkraft geht weit über diese Schicht hinaus.
»Das Tor kann er sich zu Hause übers Wohnzimmer hängen!«
JÖRG DAHLMANN
Die Erzählung über den Aufstieg der Kreativen Klasse erfüllt alle Kriterien eines klassischen Entwicklungsromans. Egal, wie mies die Gegenwart für die Protagonisten auch sein mag: Jeder kann einen Reifeprozess durchleben. Dazu muss die Person nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen reflektieren – in einer wirtschaftlich produktiven Weise.
Gutmenschentum 2.0
Die, die oben sind, fühlen sich gebauchpinselt. Erfreut hören sie: »Wie und warum wir wurden, was wir sind.« Und die anderen? Träumen weiterhin das Märchen vom Tellerwäscher zum Slumdog Millionaire. Und das Allerbeste an diesem Urmythos: Die Elite nimmt als Status-Effekt aus dieser Story mit, dass sie als Trägerin und Haupt-Lobbyistin dieses Weltbildes für die unteren Schichten »etwas Gutes« tut! Die wiederum sehen Chancen, irgendwann tatsächlich mal dort oben anzukommen: Denn Kreativität, der Stoff, aus dem hier und jetzt, aber mehr noch morgen, die Welt gemacht wird, ist praktischerweise weder an Ort, Zeit noch an sonstige Bedingtheiten gebunden. Soziale Durchlässigkeit gilt also in jede Richtung – auch nach unten: Das Kreative durchdringt und übersteigt die gemeine Wirklichkeit und soll doch ganz realen persönlichen Erfolg bewirken können. Märchenhaft.
Italo-Catenaccio vs. Pott-Punk-Angriffsfußball
»Wir haben einen Langzeitplan für unseren Verein. Und abgesehen von den Resultaten geht es damit gut voran.«
ERNIE CLAY, Vorsitzender des FC Fulham
Wie man sieht, haben solche Trendreportagen also auch eine kulturelle Funktion. Sie machen Fähigkeiten, Ideen, Talente, Potenziale – alles, was Menschen möglich ist, – in universalem Maßstab wirtschaftsfähig. Und übersetzen individuelle, technologische und soziale Elemente sowie Ereignisse in die Logik einer (neoklassischen oder marktradikalen) Geldwirtschaft. Trendreportagen sind das Material, aus dem Wetten auf die unternehmerische Zukunft geschlossen werden. Sie bringen Wandel in eine betrieblich anschlussfähige Form. Den Rest – interne Aufbereitung, Kalkulationen und Potenzialabschätzungen – besorgt das Rechnungswesen.
Außerdem leistet der populäre, medial sichtbare Teil der Trendreporter und dessen spezielle Art der Zukunftsforschung ein »Dauer-Coaching« für das Zahlen-Daten-Fakten-Denkmodell:
Trendreportagen zu Moodness, Mindness, Simplicity, Chancenintelligenz, Risikointelligenz und anderem bedienen mit ihren Modellen und Metaphern einer steten Selbstoptimierung das Interesse der entscheidenden Entscheidungsträger. Konservieren und zementieren so die herrschende Perspektive.
Das ist weder verwunderlich noch per se zu kritisieren. Trotzdem lässt sich fragen, ob die Erforschung von Kommendem nicht auch anders stattfinden könnte – vielleicht sogar sollte? Oder ist Zukunft jenseits des Zahlen-Daten-Fakten-Paradigmas gar nicht mehr vorstellbar?
Pott-Punk-Attacke: Tacheles
Diese Frage hat immer mit einem Makel zu kämpfen: Hehre Entwürfe und utopische Beschreibungen, wünschbare oder befürchtete Zukünfte stehen – teilweise zu Recht – in einem schlechten Ruf. Sie gelten zumeist als weltfremde »Wolkenkuckucksheime«, die kein vernünftiger Mensch hören möchte. Aber kann das alles gewesen sein?
Okay: Pragmatisch soll Zukunft gedacht werden. Konstruktiv, realistisch eingeschätzt. Mit Hand und Fuß – ohne abgehobene Spielvisionen. Gefragt ist, gangbare Wege und Entwicklungschancen aufzuzeigen. (Für Verlängerungen und Sonderveranstaltungen hat keiner Verständnis.)
Aber muss das zwangsläufig dazu führen, dass alles von vornherein passfähig sein muss zu dem System, in dem es eingesetzt werden soll? Gibt es wirklich nichts anderes als: Entweder (Zahlen-Daten-Fakten-)Ideologie oder (weltfremde) Utopie? Unsere Vermutung: Hier geht es gar nicht um konstruktiv-realistische Pragmatik, sondern um Angst.
»Fußball ist nicht nur ein simples Spiel. Fußball ist die Waffe der Revolution.«
CHE GUEVARA
Vorauseilend wird mit einem geradezu italienisch-zementierten Catenaccio-Bollwerk abgewehrt, dass wirklich einmal jemand anders denkt. Zukunftsverweigerung – statt echtem frisch, fromm, fröhlich und freiem Angriffsspiel. Könnte es sein, dass unserer Gesellschaft in Sachen Systemvertrauen das Wasser bis zum Hals steht? Nur dann macht dieses forcierte Wegschauen nämlich Sinn: Augen zu und durch. Gegenvorschläge unerwünscht. Nicht zufällig ist »Alternativlosigkeit« eine der beliebtesten Beschwörungsformeln unserer Zeit.
Was ist von einer gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit zu halten, die sich Denkverbote auferlegt? Von einer Trendforschung, die sich dem schon in seiner Nachspielzeit befindlichen Zahlen-Daten-Fakten-Denkmodell im öffentlichen Bereich sang-und klanglos unterwirft?
∎ Wollen Unternehmer das? Wollen alle KM-Unternehmer das?
∎ Trifft es das Unternehmertum-Verständnis derjenigen Generation, die morgen die Fach- und Führungskräfte stellen wird? Gründer mit ethischen und sozialen Zielen (»Soziopreneure«)? Die sich, bevor der berufliche Ernst des Lebens beginnt, erst mal nach Indien absetzen und sich bei Muhammed Yunus31 anschauen, wie nachhaltiges Unternehmertum funktioniert? Die mit Occupy sympathisieren und Finanz- und Börsenplätze blockieren?
∎ Sind wir wirklich frei genug, uns leisten zu können, »alternativlos« zu sein?
So viel zum Zahlen-Daten-Fakten-Denkmodell. Von BWL-infizierten Entscheidern verinnerlicht und exzentrischen Trendforschern in deren Visionen eingebaut, um die jung-tapfere Wirtschaftswelt zu bestätigen und zu zementieren (Condensation and Confirmation). Noch Fragen? Etwa: Gibt es wirklich No Future?
Bevor wir jetzt aber – wie Dante – alle Hoffnung fahren lassen, zu den Regeln. Denn auch die sind ganz besonders …
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