No such Future. Friederike Müller-Friemauth

No such Future - Friederike Müller-Friemauth


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Menschen an ihre Prognosen glauben und in der von ihnen vorgegebenen Richtung arbeiten, »ihre« Zukunft sogar selbst (Self Fulfilling Prophecy).

      Zu schön, um wahr zu sein?

      Zwei Teams – eine Vision

      Das Duo infernale in Sachen Zukunft

      Entscheider spielen Doppelpass ausschließlich mit denjenigen, die auf der gleichen Wellenlänge funken wie sie selbst. (Jeder Jeck tickt anders? Nee, nur in Kölle.) Und da Top-Unternehmer per definitionem optimistisch in die Zukunft blicken (sonst »unternehmen« sie ja nichts), wünschen sie sich Zukunftsforscher, die das Morgen genauso zuversichtlich beschreiben wie sie: »Machen wir mehr aus dem, was wir haben – und haben könnten!« So die Vision der beiden Traum-Truppen …

      Die stets positive, stupend optimistische Sicht auf das Auf-uns-Zukommende einiger Zukunftsforscher ist also weder Verschwörung noch Manipulation geschuldet (Alt-Experten sprachen vom Priestertrug), sondern für die exzentrischen Trendforscher schlicht überlebensnotwendig: Der Markt für ihre Expertise ist – vorsichtig formuliert – überschaubar. Alle konkurrieren um eine Handvoll von Firmenlenkern, die nicht nur ein Interesse an Zukunft haben, sondern vor allem auch die notwendigen finanziellen Mittel, sich mit dem Morgen wertsteigernd zu beschäftigen. Nur denen müssen die Ergebnisse gefallen! Ganz gemäß der Alltagsweisheit: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler! Also nicht den Kleinen. Nicht dem Mittelstand. Nicht FamilienUnternehmen. Nicht jungen Innovatoren. Nicht den Medien. Nicht »der Gesellschaft«. Nicht … uns.

      Was aber, wenn der exklusive zahlungskräftige Kundenstamm für Zukunftsforschung wegbricht? Dann ist – rubbel die Katz – Schicht im Schacht. Und die Zukunft der Zunft? Vergangenheit! Daran ändern auch seriöse öffentlich-rechtliche Institute und wissenschaftliche Akteure wie Fraunhofer-Einrichtungen, Max-Planck-Gesellschaften, Organisationen für Technikfolgeabschätzung oder das Statistische Bundesamt nichts.

      »Ich wage mal eine Prognose: Es könnte so oder so ausgehen.«

      RON ATKINSON

      Affirmation also! Die Bestätigung der finanzkräftigen Entscheider und ihrer Visionen ist für den populär-exzentrischen Teil der Disziplin unabdingbar.

      Und wie geht so was?

      Ein typisches Zukunftsbild dieser Machart schauen wir uns jetzt einmal sehr genau in Slow Motion an.

      Zukunftsforschung und Trendreportagen

      Marktchancen und Perspektiven, die anschlussfähig sind an das Zahlen-Daten-Fakten-Denkmodell und zudem vereinbar mit den Visionen der jeweils entscheidenden Entscheider: Darum gehts. In fast allen Fällen bedienen sich diejenigen, die in Medien, Quatsch-Schauen (Talk-Shows) und auf unzähligen Zukunftskongressen als Protagonisten der Branche präsentiert werden, eines Tricks: Sie schalten um! Wir ahnten es – auf exzentrische Trendreportagen.

      In diesem Unterkapitel erfahren Sie,

      ∎ wie Trendreportagen argumentativ »funktionieren«,

      ∎ wie die Zunft ihre Spielgemeinschaft absichert

      ∎ und wie einige Konsequenzen dieses abgekarteten Spiels aussehen.

      Wie interpretiert die Trendreportage das Denkmodell Zahlen, Daten, Fakten? Wie baut sie es in ihre Zukunftsperspektiven ein? Und welche (Heils-)Angebote bietet sie ihren dynamisch-flexiblen Abnehmern?

      Die Kreative Klasse: Musterbeispiel für die Funktionsweise von populärer Trendforschung

      Um das zu zeigen, beleuchten wir einen »Trend« genauer. Eine Trendreportage, die einen bemerkenswerten Siegeszug in vielen westlichen Ländern hinter sich hat: den Aufstieg der Kreativen Klasse.

      Der Begriff tauchte schon 1997 in Großbritannien auf und wurde vom Strategieteam des »Spezial-Demokraten«, dem »New Socialdemocrat« Tony Blair, missbraucht für eine angeblich »soziale« Politik, die den außer Rand und Band gestellten Markt »begleiten« sollte. Aufbereitet und zu einer Trendzielgruppe verdichtet wurde die Kreative Klasse allerdings erst vom amerikanischen (Stadt-)Soziologen und Ökonomen Richard Florida.

      Wirtschaft »Kreativ«

      Das Buch von Richard Florida »The Rise of the Creative Class« erschien 2002 in den USA. Eine deutsche Version gibt es bis heute nicht. Der Popularität der Thesen hierzulande hat das allerdings nicht geschadet. Der Autor ist Dozent an der University of Toronto, lehrt an einer Business School und berät Politiker, Kommunal- sowie Regionalverwaltungen.

      »Ich mache keine Versprechungen. Ich verspreche Resultate!«

      JOE ROYLE, Manager u. a. bei Manchester City und Everton

      Der von ihm ausgemachte Trend kreist um die kreative Leistung von Menschen. Diese sei der wichtigste Faktor für Standortprosperität und Wirtschaftswachstum im 21. Jahrhundert. Das Fantastische daran: Jede und jeder besitzt dieses kreative Potenzial! Gut – das meinte auch schon Joseph Beuys. Aber Richard Florida entfaltet diese Überzeugung speziell mit Blick auf ihre ökonomischen Konsequenzen. Das Potenzial eines jeden zu heben und wirtschaftlich nutzbar zu machen, sei die Überlebensfrage und strategische Aufgabe der »Wissensgesellschaft«. Neue Arbeitsformen, erhöhte Flexibilität, flache Hierarchien und die hohe Partizipation der Angestellten ließen das zur Notwendigkeit werden.

      Pros und Cons

      Ob dieser »Megatrend« richtig oder falsch ist, sei dahingestellt. Richard Floridas Position ist einerseits frenetisch gefeiert worden. Etwa von denen, die sofort einen epochalen Wandel der Arbeitswelt ausriefen: Schließlich verdienten Agenturen, Akteure der Kommunikations- und Medienbranche oder wissensvermittelnde Dienstleister doch heute schon ihr Geld mit kreativen und konzeptionellen Tätigkeiten. (In Deutschland stünde dafür die Digitale Bohème20 – sesshaft vornehmlich in Berlin …)

      Andererseits hagelte es Kritik. Vor allem von empirischen Sozialforschern. Die schöne neue Welt der Freepreneure habe eine ganze Menge unschöner Seiten: Was sei denn das für eine Große-Freiheit-Nr. 7, wenn die Mehrzahl der Hyper-Kreativen zum sogenannten Prekariat gehörten – mit unsicheren Arbeits- und Einkommensverhältnissen? Sich als Ich-AGs durchschlügen – ohne soziales Netz, bei hoher Konkurrenz und erheblichem Armutsrisiko?21

      Die Wahrheit liegt bekanntlich, rehhagelisch gesprochen, »aufm Platz«. Auf welchem, soll uns hier nicht weiter interessieren. Richard Floridas Bestseller verdient vielmehr deshalb Beachtung, weil er verdeutlicht, wie so etwas »funzt«: Trendreportage – mit eindeutiger Schieflage …

      Fallrückzieher

      Genaueres über die Kreativen? Erfährt man in dieser Trendreportage nicht. Weder soziodemographische Essentials (Alter, Einkommen, Bildung und so weiter) noch einschlägige Besonderheiten. Außer: Dass sie irrwitzig kreativ sind.

      Das Besondere an den Kreativen

      Diese unkonventionellen Köpfe, Visionäre und Querdenker leben in einer eigenen Sphäre des Grübelns und Arbeitens. Sie produzieren Dinge, die das Dasein einfach besser machen. Genau deshalb sind sie eine Bereicherung für die Gesellschaft: Durch ihre Vorstellungskraft und Inspiration geben sie Orientierung in einer sich rasant verändernden Welt – und Anstöße für lukrative Projekte. Diese Möglichmacher, Hindernisabbauer, Durchsetzungshelfer, Zweifelzerstreuer und Risikoeingeher stehen durchweg für die positiven Qualitäten des Wandels. Sie haben es geschafft, Eigenschaften der nicht immer angenehmen neuen Arbeitswelt, wie Beschleunigung, Zwang zur Originalität, Anpassung, hohe Mobilität, Effizienzorientierung und so weiter, umzumünzen, zu nutzen, etwas daraus zu machen. Und zwar etwas wirtschaftlich Verwertbares.

      »Die gerne beschworene Wissensgesellschaft ist nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn das im Überfluss vorhandene Wissen in Geschäftsideen umgewandelt und ökonomisch genutzt wird. Nur mit Innovationen, die genau diese Kreativität hervorbringt, mit dem Schaffen von neuen Produkten, neuen Verfahren, neuen Märkten und Organisationsformen werden wir einen Weg aus der Krise finden


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