Crash-Kommunikation. Peter Brandl
und zu hören bekommen. Damit wir bei dieser Reiz- und Informationsfülle handlungsfähig bleiben, ist unser Gehirn mit einer erstaunlichen Fähigkeit ausgestattet: Das Gehirn selektiert, bewertet und verarbeitet schon einmal sämtliche eingehenden Informationen, bevor sie in unser Bewusstsein gelangen. Der erste und ganz entscheidende Schritt dieser Vorverarbeitung des Gehirns sind die Wahrnehmungsfilter. Vergleichbar mit einem Spamfilter blendet das Gehirn einen Großteil aller eingehenden Informationen und Reize als unbedeutend aus. Wir nehmen diese Informationen dann nicht mehr (bewusst) wahr. Das Problem bei einem Spamfilter ist aber, dass öfter auch Informationen abgefangen werden, die für uns wichtig sind. Dasselbe passiert bei unserer Wahrnehmung.
Filtertypen
Wahrnehmungsfilter lassen sich grob in drei Gruppen einteilen.
– Biologische Filter: Wir sehen nur einen bestimmten Teil des Lichtspektrums; wir hören nur einen bestimmten Teil der Schallwellen und auch unser Empfinden ist auf einen bestimmten Bereich beschränkt.
– Filter der Vorerfahrungen: Unsere Wahrnehmung wird etwa durch bisherige Erfahrungen und Erlebnisse, Ausbildung und Kenntnisse beeinflusst. Ein Architekt nimmt eine Altstadt anders wahr als ein Polizist, ein Sternekoch beurteilt ein Restaurant anders als ein Fast-Food-Fan, und jemand, der schon einmal aufgrund einer Insolvenz den Arbeitsplatz verloren hat, registriert Warnsignale, die ein unbekümmerter Kollege vermutlich gar nicht sieht.
– Filter des Interesses: Wir nehmen nur wahr, was wir wahrnehmen wollen. Wer sich nicht für Mode interessiert, sieht kaum, was sein Gegenüber trägt (von Extremfällen, also besonders starken Signalen, einmal abgesehen). So zucken viele Männer nur hilflos die Achseln, wenn es am Tag nach einer Feier heißt: »Frau Mai war aber elegant angezogen!«
VERZERRUNGEN
Veränderung von Informationen
Unter Verzerrungen versteht man die Prozesse der Wahrnehmung, bei denen die ursprüngliche Bedeutung der Information verändert wird. So wird einer Information eine unangemessen hohe oder unangemessen niedrige Bedeutung zugeordnet. Am bekanntesten dürften hier das »Schönreden« oder das »Madigmachen« sein. Aber auch viele rational nicht begründbare Ängste lassen sich den Verzerrungen zuordnen. Verfolgungswahn ist ein Extrembeispiel für dieses Phänomen. Eine der schönsten positiven Wahrnehmungsverzerrungen dagegen ist das Verliebtsein: Zwei Menschen sitzen an einer Bushaltestelle in einer Plattenbausiedlung im Regen, und es ist für sie der schönste Platz der Welt – da muss das Gehirn manchmal richtig was leisten. Aber: Wir können eben nicht nur Beton und Dauerregen ausblenden und uns auf andere Dinge konzentrieren. Manchmal blenden wir auch besorgniserregende Verkaufszahlen oder Umsatzeinbrüche aus. Wer möchte, dass es weitergeht und noch dazu unter Stress steht, sieht möglicherweise Indizien dafür, dass es demnächst wieder besser wird, auch wenn Außenstehende längst Realitätsverlust wittern.
ERGÄNZUNGEN
Reparaturen im Gehirn
Was nicht passt, wird passend gemacht. Der menschliche »Wahrnehmungsprozessor« strebt nach Konsistenz, also nach innerer Logik, Stimmigkeit und Struktur. Nun kommt es immer wieder vor, dass Informationen unvollständig oder nicht zusammenhängend ankommen. Sind diese Inkonsistenzen groß genug, werden sie bewusst. Häufig jedoch fällt uns entweder gar nichts auf oder wir versuchen uns zu erinnern: »Wie war das noch …?« Das Gehirn schaltet nun so etwas wie eine »Auto-Repair-Funktion« ein, die Unklarheiten repariert oder beseitigt. Diese Funktion fügt scheinbar passende Bruchstücke ein, wenn Sie zum Beispiel einen Moment lang nicht richtig zugehört haben. Auch Buchstaben oder Worte, die in einem Text (wiederholt) fehlen, werden so ergänzt – mehr noch: Wir machen ohne Probleme aus einem Buchstabensalat eine sinnvolle Botschaft. Oder fällt es Ihnen etwa schwer, den folgenden Text zu verstehen?
Luat enier sidtue an eienr elgnhcsien uvrsnäiett, ist es eagl in wcheler rhnfgeeloie die bstuchbaen in eniem wrot snid. das eniizg whictgie ist, dsas der etrse und der lztete bstuchbae am rtigeichn paltz snid. der rset knan tatol deiuranchnedr sien und man knan es ienrmomch onhe porbelm lseen. das legit daarn, dsas wir nhcit jeedn bstuchbaen aeilln lseen, srednon das wrot als gzanes.*
Echte Information vs. subjektive Veränderung
Besonders kreativ ist unser Gehirn, wenn Zusammenhänge scheinbar unlogisch sind. Hier geht das Gehirn teilweise so weit, Informationen völlig neu zu erschaffen. Im Alltag leistet uns diese Funktion oft gute Dienste. Sie hat nur einen gravierenden Haken: Das Gehirn kennzeichnet nicht, was es verändert oder ergänzt. Wir können also nicht zwischen echter Information und subjektiver Veränderung unterscheiden und könnten Stein und Bein schwören, dass etwas genau so und nicht anders war. Polizeibeamte, die Zeugenbefragungen zum selben Vorfall vergleichen, können ein Lied davon singen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass drei Zeugen den Hergang drei Mal mehr oder weniger unterschiedlich schildern. Ähnliche Erfahrungen machen wir im Alltag, wenn wir beispielsweise einen Familienkrach nachträglich »aufarbeiten«: Fast immer haben die verschiedenen Parteien ganz unterschiedliche Versionen des Ablaufs im Kopf. Die ebenso beliebte wie fruchtlose Frage, wie alles anfing (oder: wer anfing), lässt sich meist nicht mehr beantworten.
GENERALISIERUNGEN
Die Macht des ersten Eindrucks
Eine einmal gefasste Einstellung hat die Tendenz, sich selbst zu bestätigen und zukünftige Informationen zu überlagern, auch wenn diese neuen Informationen der Einstellung widersprechen. Eine Form dieser Generalisierung ist der Effekt des ersten Eindrucks. Auch wenn neue und andere Informationen eintreffen, die eine andere Einstellung begründen würden, bleibt der erste Eindruck lange einstellungs- und damit handlungsbestimmend. Wer sich zum Beispiel einmal entschlossen hat, jemanden für fähig und vertrauenswürdig zu halten, hält lange daran fest, auch wenn sich Gegenbeweise häufen. Auf diese Weise können Firmenerbinnen durch angestellte Manager ruiniert werden, weil sie Alarmsignale für deren fragwürdiges Handeln bis zum bösen Erwachen systematisch übersehen – man denke nur an Madeleine Schickedanz und ihr unglückliches Händchen bei der Auswahl von Managern für den Karstadt-Quelle-Konzern.
Nimmt man all diese Faktoren zusammen, wird deutlich, dass es so etwas wie eine »objektive Realität« nicht geben kann.
Verschiedene Welten sind möglich
Wahrnehmung – und damit zwangsläufig auch das, was wir als »Wirklichkeit« empfinden – ist hochgradig selektiv und subjektiv. Paul Watzlawick verdeutlicht das mit einem Witz, in dem eine Laborratte zur anderen sagt: »Ich habe diesen Mann so trainiert, dass er mir jedes Mal Futter gibt, wenn ich diesen Hebel drücke.«6 In ihrer Welt hat sie tatsächlich recht – sprechen nicht alle Indizien dafür? Auch wir reden im Alltag ja manchmal davon, dass jemand in einer anderen Welt lebt. Das trifft tatsächlich in stärkerem Maße zu, als wir ahnen. Unsere »Welten« überschneiden sich zwar glücklicherweise, weil wir ähnliche Vorerfahrungen, Kenntnisse und Interessen teilen. Aber jede Welt für sich bleibt eine individuelle Konstruktion – wir können unsere Wahrnehmungsfilter nicht ausschalten. Überrascht es da noch, dass mancher Manager optimistisch in die Insolvenz wirtschaftet, selbst wenn für Außenstehende die Alarmglocken schon Sturm läuten?
ANTI-CRASH-FORMEL
Trauen Sie Ihren Augen und Ohren nicht (immer)! Gleichen Sie Ihre Einschätzung der Situation regelmäßig mit der anderer ab – Führungskollegen, Mitarbeiter, ggf. Außenstehende (Coaches, Berater). Machen Sie sich eigene Erfahrungen und Interessen bewusst: Inwieweit beeinflussen diese Ihre Beurteilung der Situation?
Stress, Wahrnehmung und Kommunikation
Wahrnehmungsveränderungen