Verkaufen in digitalen Zeiten. Lars Schäfer
nicht mehr so einfach mit sich machen ließen, trat immer öfter der beratende Verkäufer in den Vordergrund, also ein Verkäufer, der – zumindest meiner Meinung nach – diese Berufsbezeichnung kaum mehr verdiente, weil er zu wenig abschlussorientiert agierte, sondern, salopp formuliert, mit dem Kunden nur noch Kataloge durchblätterte. Alles halb so wild zu diesem Zeitpunkt, denn irgendwie liefen die Geschäfte ja doch noch ganz ordentlich weiter.
Um unseren fiktiven 75-jährigen Protagonisten vom Anfang des Kapitels noch einmal ins Spiel zu bringen: Empfinden Sie, lieber Leser, diese Zeiten als positiv? Wenn Sie etwas davon mitbekommen haben: War das wirklich so toll und besser als heute? Wenn Sie gerade frisch im Verkauf sind: Hätten Sie lieber damals verkauft? Ich habe als aktiver Verkäufer die 1990er-Jahre miterlebt, seit 2004 aber bin ich selbstständig tätig und verkaufe vor allem mich selbst, meine Konzepte, meine Vorträge, Trainings und Bücher: Es gab und gibt nicht die optimale Zeit für Verkäufer, wenn wir einmal von einem Wirtschaftsboom absehen, wie wir ihn Mitte der 1980er-Jahre erlebt haben. Entscheidend sind immer Kompetenzen wie Anpassungsbereitschaft und Flexibilität. Diese Eigenschaften haben erfolgreiche Geschäftsleute und auch gute Verkäufer schon immer ausgezeichnet, und das wird auch immer so bleiben. Und ja, es wurde mehr von Mensch zu Mensch geredet, allerdings wohl nur deshalb, weil es keine E-Mails, SMS oder andere Messaging-Dienste gab. Das einzig halbwegs digitale Kommunikationsmittel Ende der 1980er-Jahre war das Faxgerät: Es hatte die Größe von vier zusammengestellten Zalando-Kartons und kostete meinen damaligen Chef 7000 (!!) Deutsche Mark, umgerechnet fast 3600 Euro. Auch ich habe die Liebe zum telefonischen Kundenkontakt erst entdeckt, als es Tastentelefone gab: In der Zeit, in der Sie eine elfstellige Nummer mit der Wählscheibe gedreht hatten, hätte Ihr Kunde in der heutigen Zeit bereits längst wieder aufgelegt. Der Mensch neigt häufig zur positiven Verklärung der Vergangenheit und schaut der Zukunft ebenso oft skeptisch ins Auge. Aber früher war halt doch nicht alles besser …
2000 bis heute: Der Siegeszug des Internets
Streng genommen ist die Jahreszahl 2000 nicht ganz korrekt in diesem Zusammenhang, dort müsste eigentlich 1994, 1995 oder 1998 stehen: In diesen Jahren wurden der aufgeführten Reihenfolge nach die Unternehmen Amazon, eBay und Google gegründet. Und im Jahre 2004 startete Facebook seine bislang grandiose Karriere. Was jene drei Unternehmen, zusammen mit einigen anderen, bewirkt haben, fassen wir heute gerne unter dem Begriff »disruptiv« zusammen: Gemeint ist eine Innovation, die mit gegenwärtigen Regeln bricht und die bestehenden Technologien oder Produkte und Dienstleistungen zum Teil vollständig verdrängt. Die großen Drei sorgten dafür, dass neue Märkte entstanden. Niemals zuvor konnte man sein altes Gerümpel aus dem Keller so einfach und gewinnbringend wieder zu Geld machen (eBay), niemals zuvor war es so einfach, ein Buch zu kaufen (ja, Amazon war einmal nur ein Buchhändler), und niemals zuvor war es so einfach, auf so gut wie jede Frage in Sekundenbruchteilen eine Antwort zu bekommen, auch wenn es vor Google schon andere Suchmaschinen wie zum Beispiel Yahoo, Altavista oder Lycos gab. Und auch hier die Anmerkung: Google war einmal nur eine Suchmaschine.
Die Kunden beziehungsweise die Verbraucher fanden das zunächst klasse, allerdings brachte die erste Euphorie auch einige unschöne Begleiterscheinungen mit sich: Die Anonymität des Internets öffnete Betrügern Tür und Tor, und so war es wenig verwunderlich, dass die Menschen immer skeptischer und misstrauischer wurden. Allein die Tatsache, dass wir auch heute noch täglich unzählige Werbemails erhalten, wenn wir nicht aufpassen, sorgt immer noch für Unmut; dabei ist eine Spam-Mail, solange sich kein Virus darin befindet, doch nichts anderes als die Reklame, die sich früher im richtigen Briefkasten befand.
Der Einzelhandel allerdings bekam teilweise sehr schmerzhaft diese neue Konkurrenz zu spüren, die genau an den Schwächen ansetzte, von denen man jahrelang glaubte, sie müssten nicht bekämpft werden. Denn es lief ja auch so, warum also ohne Not den Kundenservice erhöhen? Es wurde oft nach dem Motto gehandelt: »Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss«. Doch das Erstaunen war groß, als man sich anscheinend urplötzlich einer starken bis übermächtigen Konkurrenz ausgesetzt sah.
Im Geschäftskundenbereich tat sich in dieser Beziehung noch relativ wenig: Alles blieb beim Alten, von Digitalität keine wirkliche Spur, obwohl sich natürlich die meisten Unternehmen den neuen Gegebenheiten anpassten und nach und nach moderner wurden. Was sich allerdings stark veränderte, war das Informationsverhalten der Interessenten: Durch Google und Social Media und auch durch das Xing-Netzwerk hatten potenzielle Kunden auf einmal die Möglichkeit, sich vorab dezidiert über einen möglichen Lieferanten und deren Mitarbeiter zu informieren und sich ein genaues Bild von dem zu machen, was sie erwarten könnte.
Als Unternehmer und auch als Verkäufer wurde man immer vergleichbarer, da die Kunden sich jederzeit im Internet informieren konnten und das auch vermehrt taten und natürlich immer noch tun. Allerdings prasseln mittlerweile so viele Informationen auf die Interessenten und auf uns alle ein, dass es eine immer größere Herausforderung ist, den Überblick zu bewahren. Das Überangebot an Wissen führt häufig zu Unsicherheit, bis hin zum bereits erwähnten Misstrauen. Die Fähigkeit, Vertrauen zu erwecken und glaubwürdig beim Kunden anzukommen, wurde für die Verkäufer immer wichtiger und wird in den kommenden Jahren eine existenzielle Grundlage für den dauerhaften Erfolg bilden. Was ebenfalls auffällt:
Viele Kunden – ob Konsumenten oder Geschäftskunden – sehnen sich bereits jetzt immer häufiger nach persönlicher Nähe, nach einer Beratung durch einen richtigen Menschen, und das, obwohl der Prozess der Digitalisierung und Automatisierung gerade erst angefangen hat. Die Kunden suchen nach dem Gesicht hinter der Computer-Maske.
Heute: Das Internet der Dinge
Unter Internet der Dinge versteht man die Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet. Nach Ansicht vieler Experten wird der klassische Computer, so wie wir ihn kennen, nach und nach verschwinden und durch intelligente Gegenstände ersetzt werden. Dafür gibt es bereits jetzt Beispiele:
•digitalisierte Kopiergeräte, die den Füllstand der Druckerpatronen an den Hersteller oder die Serviceabteilung senden
•Autos, die im Falle des Auslösens der Airbags bei einem Unfall Signale an die nächste Rettungsstelle senden
•Personenaufzüge, die den Zustand der Komponenten weitergeben und so die Wartungsintervalle überwachen
Zu dem Beispiel mit den Personenaufzügen gibt es eine aufschlussreiche Pressemitteilung der ThyssenKrupp Elevator GmbH:
»ThyssenKrupp wartet seine Aufzugssysteme auch in Deutschland künftig mithilfe des Internets. Auf der Hannover Messe kündigte ThyssenKrupp Elevator die Einführung der Wartungslösung ›Max‹ an. Bis Ende 2017 sollen damit mehr als 15 000 Aufzüge in Deutschland vernetzt werden. ›Max ebnet den Weg für eine völlig neue Kommunikation mit unseren Kunden: Es verwandelt die bisher reaktiven Gespräche in proaktive Dialoge‹, sagte Andreas Schierenbeck, Chef von ThyssenKrupp Elevator.
Die Lösung fußt auf Microsofts Azure-Diensten und berechnet künftig zum Beispiel die verbleibende Lebensdauer der Komponenten mithilfe von Algorithmen. Dabei werden Informationen über Geschwindigkeit, Traglast und dem Türmechanismus erhoben und über die Cloud geteilt. Techniker sollen damit jederzeit einen aktuellen Überblick über den Zustand der Aufzüge bekommen. Kunden könnten so bereits informiert werden, noch bevor ein Aufzug ausfällt. Auch der Notruf soll in das System integriert werden. Weltweit sollen bis Ende 2017 insgesamt 180 000 Aufzüge über die Cloud gewartet werden.«
(Quelle: http://m.finanzen.net/nachricht/aktien/ThyssenKrupp-startet-Aufzugs-Wartung-mit-der-Cloud-4849629)
Es handelt sich also um eine Innovation, die den Technikern und Servicemitarbeitern die Arbeit und die Argumentation beim Kunden ungemein erleichtert und zudem noch für erhöhte Sicherheit sorgt, allerdings ebenso neue Fähigkeiten abverlangt: Der Servicetechniker wird zum Verkäufer. Um den Kunden glücklich und zufrieden zu hinterlassen, muss er die