Vertrieb geht heute anders. Andreas Buhr
1995 und dem Ende des ersten Jahrzehnts der 2000er-Jahre Geborenen, bilden die Generation Z. Sie sind ganz selbstverständlich nicht nur mit Computern, sondern mit allen elektronischen Gadgets und vor allem Smartphones aufgewachsen.
Gen Alpha / Generation Alpha: Damit ist die Generation der heutigen Schüler – geboren nach 2010 – gemeint, die schon in Kürze als Praktikanten und Lehrlinge in die Unternehmen nachrücken werden. In Ermangelung eines feststehenden Begriffes und eines auf »Z« folgenden Buchstabens beginne ich mit der erneuten Zählung ab Alpha.
Beide Richtungen der digitalen Transformation, nach außen auf den digitalen Kunden ausgerichtet und nach innen auf Prozesse und wirksame, gemischte Teams fokussiert, sind die Herausforderungen heute.
Forderung an den Vertrieb: Mehrwert schaffen
Mehrwert zu schaffen – das fordert natürlich jeder vom Vertrieb. Doch in der Realität ist dies eine schwierige Herausforderung für dich im Vertrieb oder als (neue) Vertriebsführungskraft, denn es stellt sich die Frage, was genau damit gemeint ist. Werfen wir auch hier noch einmal einen Blick auf die schon oben zitierte Studie von Gebhardt und Handschuh. Demnach betrifft »Mehrwert schaffen« drei Felder:
1.Individualisierte Produkte: Für und durch Kunden konfigurierbare Produkte werden als Mehrwert erlebt. Der Trend zum Produkt mit der Losgröße eins ist seit Jahren spürbar. Kunden möchten keine Standardware mehr, alles soll persönlich adaptiert, umgestaltet, individualisiert werden können. Der kindliche Bewerkstelligungsund Besitzerstolz à la »I made it my own« ist, das zeigen viele Untersuchungen, ein extrem starker Kaufauslöser und Abschlussreiz. Die zehn Prozent der vertriebsstärksten Unternehmen haben dies bereits verstanden: Sie bieten bis zu Dreiviertel ihrer Produkte mit der Option »customized« an und schaffen den Kunden so einen Mehrwert.
2.Angebotsbreite: Das zweite Feld ist das der Angebotsbreite, die beispielsweise durch Vernetzung oder Kollaboration mit Partnern – auch externen Anbietern – geschaffen werden kann. Kunden schätzen es, wenn sie für Produkte und Leistungen, die miteinander zu tun haben, die sich ergänzen oder aufeinander aufbauen, nicht bei mehreren verschiedenen Firmen und Anbietern kaufen müssen. Sie möchten vielmehr eine aufeinander abgestimmte maximale Angebotsbreite aus einer Hand (früher als »cross selling« bezeichnet), einen »one stop shop«. Dieser Mehrwert zeichnet die Top 10 der vertriebsstärksten Unternehmen ebenfalls aus.
3.Aufbau der Wertschöpfungskette: Der dritte Bereich liegt sozusagen in der Umkehr der bisherigen Funktion des Vertriebs. Statt der reduzierten Funktion, »nur« Unternehmensprodukte zu verkaufen, baut der Vertrieb aus dem Kontakt mit dem Kunden heraus die komplette Wertschöpfungskette auf und entwickelt Innovationen, die sich direkt aus dem Bedarf des Kunden ableiten (Stichwort Customer Centricity).
Abbildung 4: Mehrwert schaffen
Anmerkung: »Top-Performer« sind Unternehmen, die in den letzten drei Jahren überdurchschnittliches Wachstum sowohl ihrer Vertriebskraft als auch ihres Umsatzes erzielen konnten. »Best in Class« sind Unternehmen der Top zehn Prozent innerhalb der jeweiligen Leistungsindikatoren.
(Gebhardt, Handschuh 2016, S. 52)
Soziopolitische Megatrends verändern die lokalen Märkte
Doch die digitale Transformation nach innen und außen ist nur eine Herausforderung, die du und deine Firma meistern müssen. Das nächste Feld an Herausforderungen liegt im demografischen Wandel. Immer weniger Kinder kommen in den wohlhabenden westlichen Ländern zur Welt. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, sodass Eltern die Pensionierung ihrer Kinder erleben. Anders als unsere Großeltern zieht sich die Generation der über 60-Jährigen jedoch nicht in den Ruhestand zurück – sie bleibt aktiv. Sie ist informiert und weiß Bescheid. Sie reist, studiert, treibt Sport und genießt Kultur. Und dies bis ins hohe Alter. Für den Vertrieb bedeutet das, dass die Interessengruppen der Älteren nominal immer größer und diese auch immer älter werden – ganz gleich, ob du Textilien, Elektronikgeräte, Baumaschinen, Dienstleistungen oder Finanzprodukte verkaufst oder ob du Reiseanbieter oder Autoverkäufer bist. Um diese Kundschaft zu erreichen, sind neue Wege, neue Formen der Ansprache gefragt.
Der neue Kunde kommuniziert öffentlich
Dies ist nur einer von vielen soziopolitischen Megatrends, die sich auf den Markt und damit auf dein Geschäft auswirken und neue Herausforderungen bieten, die du und dein Team täglich zu bewältigen habt. Denn mit der Globalisierung, der Digitalisierung unseres Lebens und dem steigenden Bewusstsein für nachhaltigen Konsum ändern sich nicht nur die Möglichkeiten und Märkte. Es findet auch ein rasantes Umdenken bei den Verbrauchern statt. Diese informieren sich per Social Media über Produkte, Unternehmen und deren Image. Sie holen Preisvergleiche ein. Gleichen Lebensdauer, technische Features und Kundenservice ab. Befragen ihr persönliches Netzwerk und erhalten Empfehlungen. Sie freuen sich öffentlich auf Instagram, Facebook, Pinterest, Snapchat und Twitter über neue Kleidung, Taschen, Töpfe, das gute Essen beim Italiener, über Reisen, Sonderangebote, Businesstarife oder gute Beratung. Sie stellen Videos bei YouTube ein, die minutiös zeigen, wie sie ein neues elektronisches Gadget auspacken oder über welche Features ihre Neuerwerbung verfügt. Dies alles ist für eure Firmen unbezahlbare – und unbezahlte – Werbung. Genauso öffentlich ärgern sich diese Verbraucher aber auch über schlechten Service, schleppende Antworten auf Kundenanfragen oder Produkte, die die Erwartungen nicht erfüllt haben. So füllen sie Blog um Blog, Posting um Posting mit Beschwerden (»Rants«) über Dienstleistungen, die enttäuscht haben. Selbst über einzelne Vertriebsmitarbeiter oder Verkäufer, die sich nach Meinung der Kunden nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben, wird öffentlich debattiert. Und zu denen willst du doch nicht gehören …
Human to Human: Der smarte Kunde will’s persönlich
Der neue, smarte Kunde ist schon lange der neue Experte. Er verlangt oft die Quadratur des Kreises – oder die »Quadratur des Preises«, wie ich es nenne. Der Preis ist zu einem permanenten Thema geworden, alles kann überall und vergleichend proaktiv gekauft werden. Daher liegt auf dem Preis ein Dauerdruck. Ausnahmen sind emotional aufgeladene Luxusprodukte, wie Gucci, LVM, Porsche, Aston Martin … oder immer noch: Apple. Einerseits möchte er einen möglichst preisgünstigen Einkauf – wobei er sein Marktwissen und seine Vergleichsmöglichkeiten ausspielt –, andererseits stellt er höchste Anforderungen an Qualität, Image, Service und an die Produktionsbedingungen. Wobei der kritische und interessierte Kunde unter den richtigen Umständen – siehe nächsten Abschnitt – dann doch bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen und eben nicht dem billigsten Preis nachzujagen. Und dies gilt für den Endverbraucher, also den B2C-Käufer, genauso wie für den B2B-Kunden, also Firmenkunden und professionelle Einkäufer für Unternehmen. B2B und B2C werden in diesen Bereichen, unter diesen Bedingungen, zu H2H, zu Human-to-Human.
Was die »Quadratur des Preises« aushebelt
Die »Quadratur des Preises« ist dann nicht mehr der entscheidende Faktor, wenn:
1.die Produkte nicht nur einen emotionalen, sondern auch einen ethischen Mehrwert bieten. Wenn sie dem Käufer das gute Gefühl geben, nicht nur etwas gekauft zu haben, sondern damit auch bestimmte Werte zu unterstützen, die ihm wichtig sind – etwa ökologische oder regionale Produktion, faire Produktions- und Handelsbedingungen, erwiesene Nachhaltigkeit.
2.es sich um Produkte seiner absoluten Lieblingsmarken handelt, deren Image und Markenwerte er auf sich übertragen will.
3.es Produkte sind, die er selbst mitgestalten und konfigurieren kann, sodass sie einzigartig