Vertrieb geht heute anders. Andreas Buhr
ausreichend große Kundenzahlen generieren. Und Kundenzahlen, gut gepflegte und aktive Kundenprofile als hochqualifizierte Datensätze, sind eine harte Währung in dieser Welt – ohne diese gibt’s auch keine weiteren Finanzierungsrunden, was bereits einige vor Kurzem noch hochgelobte Start-ups bitter erfahren mussten. Umgekehrt profitieren die etablierten Versicherer und Banken natürlich von den neuen Geschäftsmodellen, Technologien und Entwicklungen der Techies (obwohl einige wie die Bayerische gerade mit einer eigenen Digitalausgründung voranschreiten).
Versicherungsplattformen boomen – und GAFA will einen Anteil
Daher sagen Branchenexperten aktuell eine »Blütezeit für Versicherungsplattformen« voraus, auf denen sich Etablierte und Start-ups mit ihren Apps zusammenfinden: »Das stärkt wiederum die Bedeutung von Software-Plattformen, die in der Branche bereits weit verbreitet sind.« Denn egal wie einfach die Apps von Insurtechs in der Anwendung auch sein mögen, im Allgemeinen benötigen die (Vertriebs-)Mitarbeiter Schulungen dafür; was dafür spricht, sie direkt ins Dashboard der bekannten Softwares einzubauen.
Im Auge behalten sollten wir aber auch Angebote wie den Amazon-Aggregator-Service und Überlegungen der »GAFA«, selbst Versicherungsleistungen anzubieten. Noch gibt es dafür viele regulatorische Hürden, doch wäre dies nur die logische Konsequenz dieser Firmen, die sowieso bereits über sämtliche Daten, Risiken, Wünsche und Entwicklungen von Unternehmen und Einzelpersonen verfügen.
Denken wir daran: Direkt als Leistungsanbieter und nicht mehr »nur« als Intermediär und Marktplatz aufzutreten, ist ein Modell, das Amazon bereits in einigen Branchen höchst erfolgreich durchgezogen hat: Angefangen vom Verlagswesen über Kleidung bis hin zu FMCG und jetzt ganz aktuell auch Tierfutter stellt sich Amazon in sämtlichen großvolumigen Segmenten als Produzent und Anbieter auf. Was das bedeutet, sehen wir auch im nächsten Kapitel, wenn wir uns kurz mit Voice-Commerce und Microservices beschäftigen.
1.Wie kannst du im Vertrieb bzw. wie kann deine Firma besser von der Plattform-Ökonomie profitieren? Hast du, hat dein Unternehmen schon alle alten Bedenken über Bord geworfen und alle Plattformen ausrecherchiert, auf denen ihr euch präsentieren könnt?
2.Ist dein Vertrieb »digital sichtbar« genug für eure künftigen (Unternehmens-)Kunden? Wo seid ihr gelistet? Im Social Media? Betreibt ihr stetiges Scouting an Plattformen und Aggregatoren, um auf dem neuesten Stand zu sein?
3.Gibt es Möglichkeiten, selbst Plattform-Anbieter in eurem (Nischen-) Markt zu werden? Mit welchen zusätzlichen Anbietern könntet ihr euch zusammenschließen, um mehr Relevanz für eure (potenziellen) Kunden zu gewinnen? Mit wem / welchen Marktteilnehmern gibt es Synergien, die ihr bisher noch nicht digital umsetzt?
4.Machst du, macht deine Firma die Menschen in eurem Vertrieb »digital sichtbar«? Falls ja, (wie) geht das über ein Portrait auf der eigenen Website hinaus? (Selbst ein solches einfaches Portrait ist nach aller Erfahrung und meiner Internet-Recherche den allermeisten Vertrieblern nicht gegönnt.)
Plattformen: Die Schnittstellen zum Kunden
Die Frage ist immer: Wer beherrscht die Schnittstellen zum Kunden B2C, B2B oder B2P. Anbieter wie Parlamind beispielsweise stürzen sich als Dienstleister in die Vermittlung »virtueller Teammitglieder«, digitaler Kauf- und Serviceassistenten oder Online-Verkaufsagenten, auf den Bereich Kundenservice und besetzen damit strategisch intelligent den nächsten Kontaktpunkt zum Kunden, also die Schnittstelle, wo die Customer Experience zum großen Teil bestimmt wird.
Und das ist ja auch der Grund, warum wir uns in diesem Kapitel so ausführlich der Plattform-Ökonomie widmen: weil sie für uns im Vertrieb im schlimmsten Fall gefährlich ist, im besten Fall eine Herausforderung. Plattformen besetzen nicht nur die Märkte, sondern beschränken auch den Zugang zu ihnen, sie sind »Gatekeeper«. Vertriebsprofis sind mehr und mehr gezwungen, dort um jeden Preis mitzuspielen, aber sie können nichts mitgestalten –, Plattformen kanalisieren die Zugänge zu den Kunden und sie greifen auch noch die (»unsere«) Kundendaten und -profile ab. Damit bauen sie ihre Marktmacht, ihre Unabdingbarkeit aus, während wir mit unseren Kunden auch noch auf ihre Macht einzahlen.
Dazu noch mal ein Beispiel aus der Amazon-Welt: das boomende Angebot »Amazon B2B«. Amazon identifiziert unter den Abermillionen von Kundenaccounts diejenigen, die im Unternehmenssegment einkaufen. Und bietet diesen exklusive B2B-Leistungen und -Produkte der Firmenkundenlieferanten an. Und was meinst du, was Firmenkundenlieferanten, also B2B-vertriebsorientierten Unternehmen, passiert, die nicht auf die Amazon-B2B-Lieferantenkonditionen eingehen? Tja, sie finden nicht statt. Vielleicht ist es deine Firma, bist du es in Kürze, der in diesem Kontext nicht mehr stattfindet …
Interfaces: Alles muss immer einfacher werden
Welches Marktfeld wir auch betrachten, überall tauchen an der Schnittstelle zum Kunden neue digital oder online aufgestellte Vermittler und »Makler« auf, die den Vertrieb massiv ändern bzw. schon geändert haben. Die Assets, die sie mitbringen, bestehen u. a. aus der Sammlung, Verknüpfung und Analyse von Big Data, also von aussagekräftigen Kundendaten in großer Menge und Tiefe sowie in der vertikalen Integration von Leistungen und Produkten, die zusammen einen großen Mehrwert für die Kunden schaffen. Weitere Faktoren, die deine (Führungs-)Arbeit im Vertrieb in den nächsten Jahren massiv beeinflussen werden, haben Dr. Martin Handschuh und Dr. Christian Gebhardt von AT Kearney in ihrer interessanten Studie »Wie die Digitalisierung den B2B-Vertrieb verändert« im Überblick zusammengestellt.
Abbildung 3: Vertrieb im Jahr 2024
(Anteil aller Vertriebsmanager, die folgende Szenarien als sehr wahrscheinlich oder wahrscheinlich einschätzen, in Prozent)
(Gebhardt, Handschuh 2016, S. 47)
Spannend ist dabei die Betrachtung der Antworten der Durchschnittsperformer im Vertrieb mit den Top-Performern: Dass die Angebote an den und die Kommunikation und Interaktion mit dem Kunden möglichst einfach (im Sinne von: zugänglich, intuitiv und mit niedriger Hemmschwelle) sein sollen, darin stimmen noch beide Gruppen überein. Top-Performer aber sind sich weitaus stärker der Aspekte bewusst, die wir gerade besprochen haben:
•die Relevanz »neuer digitaler Absatzmittler und Intermediäre«
•die Nutzung von Partnerschaften im Markt
•die Wichtigkeit der Unterstützung des B2B-Vertriebs durch Online-Interaktion
Interessant sind drei weitere Ergebnisse dieser Umfrage, die direkt in Verbindung mit den nächsten Abschnitten dieses Kapitels stehen:
1.die »digitale Aufsplittung« der »Käufer-Verkäufer-Beziehungen« in wertige Partnerschaften und »no frills«-Lösungen
2.die Automatisierung der Vertriebs-Backoffices durch die digitale Transformation
3.»Der B2B-Vertrieb nimmt Struktur und Parameter des B2C-Vertriebs an.«
Und klar ist: Auch wenn Abbildung 3 mit dem Titel »Vertrieb 2024« überschrieben ist – die dahinter liegenden Entwicklungen sind bereits in vollem Gange. Jetzt entscheidet sich, ob du im Jahre 2024 noch auf dem Markt mitspielen wirst.
Kundenperspektive: Der digitale Kunde ist nicht mehr »B2C vs. B2B«
Wie