simplicity.. Michael Hartschen
einfältig – Politiker, die in lauter Stammtischmanier «einfache» Lösungen propagieren, als suspekt. Das englische Wort «Simple-minded» taucht in Stellen- und Kontaktanzeigen als gewünschte Charaktereigenschaft auch eher selten auf. Homer Simpson taugt als «Role Model» nur bedingt.
Ein einfaches Gericht scheint weniger wertvoll zu sein als ein aufwendiges – obwohl uns das «einfache» Essen vielleicht viel besser schmeckt. Ein Fachartikel, der in einer komplizierten Fachsprache verfasst ist, gilt als intelligenter als ein in einer einfachen, verständlichen Sprache geschriebener Text mit anschaulichen Beispielen. So spricht ein Marketingleiter denn auch viel lieber von Intangible Assets, Key Performance Indicators, Target Groups und Brand Awareness, statt die Dinge beim Namen zu nennen.
In Geschäftsberichten wimmelt es vor Allgemeinplätzen und Redundanzen, also vor Informationen, die man ohne Informationsverlust auch ganz einfach weglassen könnte. Dort liest man dann Sätze wie «Die Geschäftsleitung hat für alle Phasen der Programmarbeit konkret auf die Programme zugeschnittene Instrumente entwickelt, um die Qualität zu sichern und Ergebnisse für weitere Vorhaben zu nutzen.» Es könnte auch heißen: «Unsere Vorhaben werden regelmäßig überprüft.» Aber so würde ein Geschäftsbericht nicht 100, sondern nur 20 Seiten füllen – zu wenig für die große Bedeutung, die sich viele Unternehmen gern selbst zuschreiben.
Viele von uns umgeben sich mit einer Aura des Komplexen, um ihrer Botschaft mehr Bedeutung zu verleihen, und verstecken ihre Unsicherheit virtuos hinter kaum verständlichem Fachchinesisch. Wir hüten uns davor, etwas einfach darzustellen. Denn wenn etwas (zu) einfach scheint, verliert es an Wert. Dann kann das ja jeder!
Was lernen wir daraus? Einfach ist nicht einfach! Sonst müsste dieses Buch nicht geschrieben werden.
Einfachheit zu erreichen ist nicht leicht, denn Einfachheit hat immer einen hohen Anspruch. Nimmt man den Weg zu mehr Einfachheit auf die leichte Schulter, führt dieser schnell in eine Sackgasse.
Kommen wir auf die Emojis zurück, jene allgegenwärtigen Piktogramme, ohne die in Zeiten explodierender Smartphonisierung Kommunikation nicht mehr möglich scheint. Ob WhatsApp, Twitter oder Facebook: Die Grinsegesichter verdrängen immer mehr die textbasierte Sprache. Das führt dann zu Dialogen wie diesem: Dem mit jeder Menge Herzchen und Kussmündern angereicherten Text «Bin gleich da» wird mit einer sonnenbebrillten Pommestüte und einer Discokugel geantwortet. Man hätte auch schreiben können: Cool, wir essen einen Happen und dann gehen wir tanzen. Aber das wäre total old fashioned gewesen und mit viel zu viel Aufwand verbunden.
So weit, so gut. Nun aber haben die Forscher Hannah Miller, Jacob Thebault-Spieker, Shuo Chang, Isaac Johnson, Loren Terveen und Brent Hecht für die University of Minnesota herausgefunden, dass Emojis in kommunikativer Hinsicht ein totaler Reinfall sind. Zumindest unter der Prämisse, dass von einer Sprache erwartet werden darf, dass ihre Nutzer unter den gleichen Begriffen das Gleiche verstehen. In dieser Hinsicht bilden die offiziell 1.282 Motive der Emoji-Welt ein riesiges Meer der Missverständnisse. In 25 % aller Fälle können sich Emoji-Nutzer mit verschiedenen Endgeräten noch nicht einmal darauf einigen, ob das verwendete Piktogramm eine positive, negative oder neutrale Aussage hat. Zum Beispiel das Motiv 1F601 «grinsendes Gesicht mit lächelndem Auge»: Von einem Samsung- oder LG-Handy als Symbol für «rundum glücklich» verschickt, kommt es auf Apple-Geräten als aggressives «Ready to fight» an.
Wenn wir sagen: «Das ging aber einfach!», dann ist das immer auch Ausdruck einer positiven Überraschung, weil wir eigentlich etwas viel Komplizierteres erwartet hätten. Wenn wir sagen: «Das ist einfach gut», dann ahnen wir, dass dahinter viel Arbeit steckt. Wenn wir sagen: «Das sieht so einfach aus», dann wissen wir, dass der Schein trügt. Einfachheit ist nichts Selbstverständliches. Die Einfachheit, nach der wir streben und die wir uns wünschen, steht immer am Ende einer Entwicklung. Sie ist nicht der Ausgangspunkt, sondern das Resultat eines Prozesses. Erst wenn sich etwas weiterentwickelt hat, wenn es verbessert und verfeinert wurde, wird es wirklich einfach. Einfachheit ist Reduktion, die bereichert. Produkte, Dienstleistungen und Prozesse werden so lange optimiert, bis nur noch ihre Essenz übrig bleibt. Denken Sie an einen Smart oder einen iMac. Gelungene Einfachheit bringt zum Ausdruck: Das geht nicht besser – it’s simply the best!
Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse.
Steve Jobs
Kompliziertheit ist keine komplexe Angelegenheit
Der Einfachheit wird häufig die Komplexität gegenübergestellt. Und das nicht selten in einer wertenden Art und Weise. Einfache Lösungen können der Komplexität der Situation unmöglich gerecht werden, heisst es dann zum Beispiel. Oder: Unsere Produkte, Dienstleistungen, Prozesse sind viel zu komplex, als dass man sie so ohne Weiteres vereinfachen könnte.
Der scheinbar komplexen Sache wird dabei oft per se ein positiver Wert beigemessen: die Komplexität als Gütesiegel einer höheren Qualität. Die Komplexität wird aber auch als unabänderliches Faktum angesehen: Die Situation ist nun mal komplex, da können wir leider nichts machen. Komplexität als Freipass fürs Nichtstun.
Was ist der Unterschied zwischen einfach, kompliziert und komplex? Für einfache Dinge und Prozesse sind wiederholbare Muster und eindeutige Ereignisse typisch – Ursachen, Wirkungen und Beziehungen sind offensichtlich. Doch aufgepasst: Eine objektive Maßeinheit für Einfachheit gibt es nicht. Einfachheit ist immer eine Bewertung durch eine Person oder eine Gruppe. Eine solche Wertung basiert stets auf einer persönlichen Erfahrung und bestehendem Wissen. Sie wird immer aus einer subjektiven Perspektive heraus vorgenommen.
Wenn es um Einfachheit geht, gibt es kein absolutes Richtig oder Falsch. Es geht immer um persönliche Einschätzungen – um eine Realität, die auf einer eigenen Meinung basiert.
Ist etwas kompliziert, dann bleibt das System als Ganzes zwar vorhersehbar. Ursache und Wirkung sind immer noch vorhanden, aber nicht mehr für jeden sofort ersichtlich. Im Gegensatz zu komplexen Dingen können komplizierte Sachen dokumentiert werden. Sie sind logisch, transparent, erlernbar und reproduzierbar.
Ist ein Sachverhalt komplex, dann ist alles im Fluss und nicht mehr vorhersehbar. Es gibt zwar noch erkennbare Orientierungsmuster, aber auch etliche Unbekannte. Etwas Komplexes ist nicht mehr vollständig übertragbar und auch nicht mehr vollständig erlernbar. Weil es von vielen unsicheren Faktoren abhängig ist, ist das Ergebnis eines komplexen Vorgangs variabel. Kreative Ansätze sind nötig, um in einem iterativen Prozess zu Lösungen zu kommen.
Sind komplizierte und komplexe Sachen zwangsläufig schlecht? Nein! Ein Experte muss das Komplizierte beherrschen – Lerneffekte helfen ihm dabei. Die Kompliziertheit soll aber nicht bis zum Anwender durchdringen. Nehmen wir als Beispiel das Antiblockiersystem (ABS) Ihres Autos: Die Funktionsweise dieses ausgeklügelten technischen Systems ist ohne Expertenwissen nur schwer zu verstehen. Von dieser Kompliziertheit merken Sie als Fahrzeuglenker aber nichts. Für Sie ist ABS einfach nur eine ungemein praktische Sache, die es Ihnen leicht macht, bei heftigen Bremsmanövern den Wagen in der Spur zu halten. Die Fahrsicherheit wird erhöht, das Lenken des Automobils vereinfacht.