Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis. Walter G. Pfaus
Reiniger?“, hauchte es durch den Türspalt.
„In voller Lebensgröße“, sagte Bount und sah sich von einem großen, lang bewimperten Auge gemustert.
„Wie soll ich wissen, ob das Ganze nicht ein Trick ist?“, fragte die Frau.
„Dafür ist der Ausweis da. Vergleichen Sie mein Aussehen mit dem Foto!“
„So ’n Ausweis lässt sich doch fälschen, oder? Sie werden verstehen, dass ich nach Dicks Verschwinden ängstlich und misstrauisch bin.“
„Wenn Sie wollen, treffen wir uns in dem Lokal an der Ecke - in aller Öffentlichkeit.“
„Lieber nicht. Die Leute aus der Umgebung haben scharfe Zungen“, sagte Mary Myers. Bount hörte, wie sie die Kette aushängte. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür. „Kommen Sie herein!“, sagte die Frau, zögernd und lächelnd zugleich. „Ich hoffe, das Ganze hat seine Ordnung.“
Sie gab ihm die eingeschweißte, mit Zelluloid ummantelte Karte zurück. Bount steckte sie ein und folgte der Frau ins Wohnzimmer. Er musste zugeben, dass Mary Myers attraktiv war und über eine Menge Sex Appeal verfügte. Sie trug einen fast bodenlangen Mantel, unter dessen anschmiegsamer Seide sich ein biegsamer, langbeiniger Körper verbarg.
Mary Myers war platinblond. Sie hatte blaue Augen und üppig schwellende Lippen. Sie hatte ein wenig Ähnlichkeit mit der Monroe, zumindest im Typ war sie ihr ähnlich. Für die Frau eines schlichten Hoteldetektivs machte sie viel her. Ohne Zweifel gehörte sie zu den Frauen, die Männerblicke auf sich lenkten und sorgfältig darauf achteten, dass es so blieb.
Das Wohnzimmer war fraglos von ihr möbliert worden, es war recht plüschig, wie Bount fand, und überladen mit Kissen und Stoffpuppen, die die Couch und ein paar Sessel bevölkerten. Derselbe rosarote Geschmack drückte sich auch in ein paar kitschigen Wandbildern aus.
„Nehmen Sie Platz!“, forderte Mary ihn auf, ließ sich in einen Sessel fallen, schlug die bestrumpften Beine übereinander und hatte es nicht eilig, den dabei zur Seite gleitenden Hausmantel zu schließen. Ihre Füße steckten in goldfarbigen Pantöffelchen mit hohen Absätzen.
„Ich würde mich gern ein wenig frisch machen“, sagte Bount.
„Das Bad liegt schräg gegenüber.“
Bount entschuldigte sich, betrat das Bad, musterte sich flüchtig im Spiegel, drehte den Wasserhahn auf, und blickte sich prüfend um. Das Bad hatte zwei Waschbecken. Auf der Konsole, die Dick Myers Kosmetika enthielt, stand eine Porzellanschale, aus der ein Rasierpinsel ragte. Bount nahm ihn heraus, prüfte die Borsten und spitzte die Lippen, als er feststellte, dass sie nass waren. Kein Zweifel, der Pinsel war vor weniger als ein oder zwei Stunden benutzt worden. Bount wusch sich die Hände, rieb sie trocken und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
„Sie haben eine sehr hübsche Wohnung“, meinte er.
„Danke. Wir hätten sie uns nicht leisten können, wenn ich nicht jahrelang mitverdient haben würde. Sie sind ein Top-Mann der Branche, wie ich von Dick weiß, aber er selbst gehört zu den Mitläufern, zur großen, grauen Masse der Hoteldetektive. Was er verdient, reicht gerade so aus, um über die Runden zu kommen. Für Extras und Rücklagen bleibt nichts übrig.“
„Macht der Beruf ihm Spaß?“
„Das ist ja das Problem. Er liebt ihn. Dabei hat er wirklich was auf dem Kasten, er könnte auf ganz andere Weise Karriere machen - aber nein, er muss partout Sherlock Holmes spielen“, schloss sie seufzend.
„Ich weiß von Mister Elmer, dass er Ihren Mann für ungemein tüchtig hält. Sie sind Freunde.“
„Freunde!“, höhnte Mary Myers. „Ist es Freundschaft, wenn ein reicher Mann - und das ist Gregg Elmer - einen Burschen von Dicks Format für einen Hungerlohn arbeiten lässt? Gerade weil wir miteinander verkehren, fällt es Dick schwer, sich durchzusetzen. Er hat nicht den Mut, um eine Gehaltserhöhung zu fragen, und Gregg Elmer denkt nicht daran, sie ihm freiwillig anzubieten.“
„Wann haben Sie Dick zuletzt gesehen und gesprochen?“
„An dem Tag, als der Brandanschlag erfolgte. Dick verließ das Haus am frühen Nachmittag. Sein Dienst begann gegen sechs Uhr abends, aber er hatte noch eine Kleinigkeit in der Stadt zu erledigen. Er hatte eine Verabredung mit seinem Zahnarzt. Seitdem habe ich Dick nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie werden jetzt wissen wollen, ob er an dem Tag anders war als sonst, das wollte jedenfalls die Polizei wissen, aber ich kann nur sagen, dass ich nicht Auffälliges an ihm bemerkte.“
„Dafür habe ich etwas Auffälliges bemerkt.“
„Nämlich?“
„Ehe ich darauf antworte, wüsste ich gern, ob Sie einen Freund haben, Missis Myers.“
Mary Myers hob das Kinn.
„Ich bin verheiratet, Kommissar. Glücklich verheiratet!“
Bount lächelte.
„Den Kommissar können Sie ruhig streichen. Es ist kein offizieller Titel, und ich werde immer ein wenig verlegen, wenn jemand mich damit zu schmücken versucht. Was nun Ihre Antwort betrifft, so bedaure ich feststellen zu müssen, dass sie nur eine halbe ist.“
„Wollen Sie damit andeuten, dass auch glücklich verheiratete Frauen dazu neigen könnten, sich mit einem Freund zu amüsieren?“, spottete Mary Myers.
„Glück und Treue sollten eigentlich zusammengehören, aber tatsächlich sind sie zwei grundverschiedene Dinge“, stellte Bount fest.
„Sie haben gewiss einen Grund für Ihre Neugierde“, sagte die Frau.
„Ja, den habe ich“, Bount nickte. „Ich entdeckte im Badezimmer den Rasiernapf Ihres Mannes mitsamt Pinsel. Er gehört doch Dick?“
„Ja, er gehört ihm.“
„Nassrasierer sind selten geworden, deshalb fällt so eine Ausrüstung auf“, sagte Bount. „Ebenso auffällig ist der Umstand, dass der Pinsel nass ist. Er ist während der letzten Stunden benutzt worden. Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, dass Sie es waren, die damit hantierte! Früher pflegten die Damen ihre Beine schon mal zu rasieren, aber heute gibt es Cremes, die sich mit diesem Problem befassen.“
Mary Myers schluckte und hatte sichtlich Mühe, ihre Überraschung zu verkraften.
„Was ... was schließen Sie aus dem Ganzen?“, fragte sie.
„Ich muss annehmen, dass Dick hier war ... oder dass Sie einen Freund haben, der Dicks Rasierpinsel benutzte.“
„Dick war nicht hier.“
„Wer hat Sie besucht?“
„Ich ... ich möchte nicht darüber sprechen“, stotterte Mary und bekam einen roten Kopf.
„Also doch ein Freund?“
Mary Myers senkte den Blick.
„Ja“, flüsterte sie kaum hörbar.
Bount fischte seine PALL MALL aus der Tasche und hielt die geöffnete Packung der Frau entgegen. „Rauchen Sie?“ Mary Myers bediente sich. Ihre Finger zitterten ein wenig. Bount gab ihr Feuer und versorgte sich dann selbst. „Sie wissen, was geschehen ist. Als Sie von dem Toten hörten, der in Miami Beach gefunden wurde, erfuhren Sie sicherlich auch dessen Namen. Wurden Sie zum ersten Mal mit ihm konfrontiert?“
„Mit Charly Leggins, meinen Sie? Ja, zum ersten Mal. Warum fragen Sie?“
„Lassen Sie mich sagen, dass Sie ein exzellentes Namensgedächtnis haben“, meinte Bount mit einem kaum wahrnehmbaren Unterton von Spott. Die Frau wurde erneut rot.
„Natürlich interessiere ich mich seit Tagen für alles, was mit dem Verbrechen zusammenhängt“, meinte sie erklärend. „Schließlich liegt auf der Hand, was geschehen sein muss ...“
„Nämlich?“