Ravenhurst. Sandra Bäumler

Ravenhurst - Sandra Bäumler


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wird Sie auf Ihr Zimmer begleiten.«

      Ein Räuspern kam von der Tür. Dort stand der Butler, der mich mit strengem Blick betrachtete. Aus einem Impuls heraus wollte ich widersprechen, wollte hierbleiben und unser Kennenlernen noch vertiefen. Aber es würde bestimmt keinen guten Eindruck bei Graves hinterlassen, wenn ich mich gleich bei unserer ersten Begegnung so widerspenstig zeigte.

      »Sie haben Recht, die lange Reise hat mich wirklich sehr angestrengt«, sagte ich stattdessen und ging zu Fairchild, der die Tür hinter mir schloss. Zu gerne hätte ich gewusst, was die beiden Männer so Langweiliges zu besprechen hatten.

      Ich sah zurück zur Tür, als ich Fairchild in Richtung Treppe folgte. Warum war Graves auf diese anonyme Weise auf Brautschau gegangen, wie er es getan hatte? Ein Mann mit seinem Aussehen konnte doch wirklich jedes Mädchen um den Finger wickeln, das er nur wollte. Potentielle Bräute aus Adelskreisen brauchten nur einen kurzen Blick auf ihn zu werfen und würden ihm sofort verfallen. So wie auch ich mich seiner faszinierenden Ausstrahlung nicht zu entziehen vermochte. Ich stieg hinter Fairchild die Treppe hinauf. Wir erreichten eine Plattform, an der sich die Treppe teilte, über uns sah ich durch eine Glaskuppel in den Himmel. Der Mond war inzwischen aufgegangen, der uns durch ein Loch in der Wolkendecke zusah. Der Butler nahm die linken Stufen.

      »Der Leuchter ist sehr schön.« Ich musterte den mit einer Unzahl von Kristallprismen behangenen Leuchter, den man von dieser erhöhten Position erst richtig zu sehen bekam.

      »Er wurde aus Frankreich importiert«, erklärte Fairchild.

      »Mister Graves besitze einen wahrlich exquisiten Geschmack.«

      »In der Tat«, erwiderte der Butler ohne mich anzusehen. Wir gelangten zur ersten Etage, dort blickte ich in einen langen Gang, an dessen Ende sich ein bodentiefes Fenster befand.

      »Sind Mister Graves Schlafräume ebenfalls hier zu finden?«, wollte ich wissen. Jetzt blickte Fairchild mich doch an, zog die grauen Brauen zusammen.

      »Nein, Mister Graves schläft im anderen Flügel«, erwiderte er barsch.

      Auch hier oben waren die Wände mit Holz vertäfelt, was den Gang sehr düster erscheinen ließ, obwohl in regelmäßigen Abständen Wandleuchter Licht spendeten. Wir passierten fünf Türen, die zu beiden Seiten lagen, ehe Fairchild vor einer stoppte.

      »Dies ist das Lilienzimmer, ich hoffe es gefällt Ihnen.« Fairchild öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. Es machte seinem Namen alle Ehre. Eine goldene Lilienflut zierte die weinrote Wandbespannung. Meine Koffer befanden sich auf der Bank vor dem Himmelbett, dessen Baldachin und Vorhänge das gleiche Muster besaßen wie die Wände. Anne war gerade dabei, Kleidungsstücke in der Kommode zwischen den Fenstern zu verstauen.

      »Ich werde ein Mädchen mit Tee und Sandwiches zu Ihnen schicken. Haben Sie sonst noch Wünsche?«, fragte Fairchild.

      »Nein danke«, erwiderte ich.

      »Dann werde ich Sie nun verlassen.« Damit zog der Butler die Tür hinter sich zu und ich beschloss, Anne zu helfen, auch wenn dies unüblich war. Meine Londoner Freunde … wobei die Bezeichnung Freunde nicht wirklich auf diese Leute zutraf, da sie mich nach Bekanntwerden des Skandals um meinen Vater schneller hatten fallen lassen als ein glühendes Kohlestück. Wie dem auch sei, besagte ehemalige Freunde würden sich eher ihre Hände abhacken, bevor sie einer Angestellten beim Auspacken halfen. Nun ja, sie würden sich vielmehr von einem Diener die Hände abhacken lassen, keiner von ihnen hätte ein Beil auch nur angefasst. Aber ich war nun eine Geächtete, also konnte ich mich auch so benehmen. Zuerst musste ich nur meinen Hut loswerden. Ich zog die Nadel heraus und legte beides auf den Frisiertisch, der fernöstlich anmutete.

      »Ich glaube, wir müssen uns später noch um mein Haar kümmern«, meinte ich nach einem prüfenden Blick in den Spiegel, anschließend steuerte ich das Gepäck an.

      »Das müssen Sie nicht tun«, sagte Anne, als ich einen Stapel Kleidungsstücke aus dem Koffer nahm.

      »Ich möchte es aber.« Entschlossen trug ich die Sachen zur Kommode und wollte sie in eine der Schubladen legen. Anne seufzte leise.

      »Was ist?« Ich sah zu ihr.

      »Verzeihung, ich möchte Sie keineswegs gängeln, das wäre auch äußerst unangemessen, doch das kommt in die andere Schublade«, sagte sie vorsichtig.

      »Oh tut mir leid, ich bringe Ihre ganze Ordnung völlig durcheinander. Wie dumm von mir. Wissen Sie was, ich hole alles, Sie räumen ein«, schlug ich vor und deponierte die Kleidungsstücke auf dem Sessel vor einem der Fenster, der direkt neben der Kommode stand.

      »Wie finden Sie es hier?«, fragte ich Anne, während ich nach dem nächsten Schwung Wäsche griff.

      »Es ist beeindruckend«, erwiderte sie, drehte sich zu mir und musterte mich neugierig. Ich sah ihr genau an, welche Frage der guten Anne auf der Zunge brannte.

      »Sie möchten wissen, welchen Eindruck ich von Mister Graves habe, ist es nicht so?«

      Sie nickte eifrig.

      »Er war sehr charmant und ich muss es geradeheraus sagen, er ist der schönste Mann, den ich je in meinem Leben zu Gesicht bekommen habe. Hach Anne, ich bin ein wahrer Glückspilz. So sehr hatte ich mich vor diesem Treffen gefürchtet und jetzt kann ich es kaum erwarten, Mister Graves wieder gegenüberzutreten.« Mein Magen kribbelte, als schwärmten Bienen darin herum.

      »Sie haben es verdient, wieder glücklich zu sein.« Anne faltete eine Bluse neu zusammen.

      »Ich weiß, ich dürfte solche Glücksgefühle angesichts des furchtbaren Todes meines Vaters nicht haben, aber endlich sehe ich wieder ein Licht am Horizont.«

      »Ihr Vater würde sich für Sie freuen, Lady Eleonore, da bin ich mir ganz sicher«, erwiderte Anne.

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