Kleine Geschichte des Hörspiels. Hans-Jürgen Krug

Kleine Geschichte des Hörspiels - Hans-Jürgen Krug


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erste funkspezifische Hörspiel im deutschen Rundfunk gesendet wurde, war lange strittig. Die Datierungen variierten, doch inzwischen gilt die Ursendung des radioreflexiven Spiels Zauberei auf dem Sender als die Geburtsstunde des deutschen Hörspiels. Der Versuch einer Rundfunkgroteske (so der Untertitel) handelte von Störungen des Sendebetriebs und war eigentlich ohne künstlerische Ambitionen entstanden. Der Text stammte von Hans Flesch, dem künstlerischen Leiter in Frankfurt, und wurde vom Frankfurter Sender am 24. Oktober 1924 urgesendet, einige Monate vor Rolf Gunolds eher literarischem Spiel Spuk (Breslau, 21.6.1925). Auch die erste Hörspieldefinition ist aus dem Jahre 1924; sie wurde von dem Kritiker und Redakteur Hans Siebert von Heister in seiner Zeitschrift Der Deutsche Rundfunk geprägt und bestimmte das Hörspiel als »das arteigene Spiel des Rundfunks«. »Bis dahin hatte man sich mit Begriffen wie ›Sendungsspiel‹, ›Funkspiel‹, ›Funkdrama‹ und ähnlichen Prägungen begnügen müssen« (SCHWITZKE 1963: 46).

      VORLÄUFER SENDESPIEL: KLASSISCHE LITERATUR IM HÖRFUNK

      Bevor sich ein arteigenes Spiel entwickeln konnte, strahlten die Hörfunkstationen ›Sendespiele‹ aus, die nicht originär für den Rundfunk geschrieben waren. »Nicht die Öffentlichkeit hatte auf den Rundfunk gewartet«, so bewertete der Autor, Radiopionier (seit 1925 dem Hörfunk verbunden) und ›Radiotheoretiker‹ Bertolt Brecht die frühen Jahre, »sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit […] Am Anfang half man sich damit, dass man nicht überlegte. Man sah sich um, wo irgendwo irgendjemandem etwas gesagt wurde, und versuchte hier lediglich konkurrierend einzudringen und irgendetwas irgendjemandem zu sagen. Das war der Rundfunk in seiner ersten Phase als Stellvertreter. Als Stellvertreter des Theaters, der Oper, des Konzerts, der Vorträge, der Kaffeemusik, des lokalen Teils der Presse« (BRECHT 1967: 128). Zunächst wählte der frühe Hörfunk Stücke mit wenigen Personen und sendete sie wie Vorlesungen mit verteilten Rollen; dann gab es erste Versuche mit klassischer Literatur. Im November 1924 wurde in Hamburg die Inszenierung von Johann Wolfgang von Goethes Faust II als literarisches Rundfunkereignis gefeiert. Wenig später eröffnete Alfred Braun die ›Sendespielbühne‹ der Berliner Funk-Stunde mit Friedrich Schillers Wallensteins Lager (3.1.1925) – die Schauspieler traten (öffentlichkeitswirksam auf dem Pressefoto) in Kostüm und Maske, in Wehr und Waffen auf. Doch erst Arnolt Bronnens Bearbeitung des klassischen Textes (15.2.1927) wurde »die erste Aufführung eines literarischen Hörspiels im deutschen Rundfunk« (BRONNEN 1954: 162). Bronnen hatte Schiller radikal gekürzt und – funkgemäß – auf die Tragödie Wallensteins konzentriert. »Das Hörspiel ist möglich!« jubelte der Kritiker Ludwig Kapeller nach der Ursendung. Und auch die Wirkung »auf die noch ungewohnten Berliner Ohren« war »beträchtlich«, wie Bronnen später notierte. »Das spürte ich schon bei meinem Mechaniker, bei dem ich mir damals, zu Beginn meiner Auto-Leidenschaft, des Öfteren einen kleinen Wagen zu entleihen pflegte, und wo ich also gleich in eine kunsttheoretische Debatte verwickelt wurde. Ich war erstaunt, wie richtig dieser nach dem Sprachgebrauch als ›ungebildet‹ zu bezeichnende Mann, für den Wallenstein und seine Generale doch wenig mehr als bloße Namen waren, die menschlichen Taten, aus den menschlichen Anlagen entspringend, einschätzte« (BRONNEN 1954: 162).

      FRÜHE RADIOFASZINATION: RADIOBASTLER

      Es war eine besondere Zeit, der Reiz des neuen Mittelwellenmediums enorm. »Am 1. Juli 1924 gab es bereits 100.000 Rundfunkteilnehmer, deren Zahl im 2. Halbjahr 1924 bis auf eine Million anwuchs« (WÜRFFEL 1978: 11). »Aus eigener Erinnerung«, so berichtete der spätere ›Hörspielpapst‹ Heinz Schwitzke über seine frühen Radioerfahrungen, »wie aus den Erzählungen alter Rundfunkmänner und Rundfunkhörer möchte ich geltend machen, dass in den grauen Jahren nach 1920 – bis etwa 1925/26 – eine fantastische und wilde Radio-Bastelleidenschaft die Menschen, gerade auch die geistigen, ergriffen hatte, in der sich technische und künstlerische Neugier auf eine heute unvorstellbare Weise mischten. Ich entsinne mich noch der Empfindungen von 1922/23 beim Anhören der ersten Rundfunkkonzerte vom Königswusterhausener Versuchssender, aber genauer kann ich mich der Schauer erinnern, die wir – mein Vater und ich, als etwa Fünfzehnjähriger – verspürten, als wir, die Kopfhörer an den Ohren, mit einem selbstgebastelten Apparat, einer riesigen Akkumulatoren-Batterie und sogenannten ›Rotkäppchenröhren‹ aus dem Weltkrieg, in unserer Berliner Vorortswohnung zum ersten Male den Glockenschlag von Big Ben vernahmen […] Ich glaube, dass die Funkbearbeitungen klassischer und moderner Dramen mit den Anfängen des Hörspiels weniger zu tun haben als diese Erscheinungen, die man mit dem Begriff ›Hörspielerei‹ zusammenfassen könnte. Hier ist wirklich ab ovo begonnen worden. Alfred Braun hat mir mündlich berichtet, wie er einmal auch den Dichter Döblin in dessen Wohnung ertappte: Kopfhörer über den Ohren, eine schwarzlackierte Spule auf den Knien, den Detektorstift in der Hand, und wie er, Braun, erschrocken auf den Zehen stehen blieb, um den Lauschenden nicht zu stören. Dies muss einkalkuliert werden, wenn man Brechts, Benns, Döblins, Kasacks schöpferische Anteilnahme an dem Instrument Rundfunk begreifen will, um wie viel mehr bei den anonymen Hörern. Die Bastelleidenschaft war jahrelang ein künstlerisches Stimulans, ähnlich wie es die Theaterleidenschaft sein kann« (SCHWITZKE 1963: 56f.).

      Adaptionen, die den Hörern Theaterstücke nahe bringen sollten, waren früh ein fester – und manchmal sogar zwei- bis dreistündiger – Programmteil. Bereits 1926 wurden rund 600 Werke von 280 Dramatikern im Hörfunk gesendet. Doch die Zusammenarbeit zwischen den Konkurrenten Theater und Hörfunk war zunächst schwierig. Das alte Medium ›Theater‹ sah in dem neuen Medium ›Hörfunk‹ nur die gefährliche Konkurrenz – und auch aus diesem Grund musste das Radio früh nach eigenen, radiospezifischen Formen suchen. Um neue Autoren und Stoffe zu bekommen, schrieb die Radiozeitschrift Die Sendung 1924 erstmals ein Preisausschreiben aus – und musste es wieder absagen. Auch ein neuer Versuch 1927 brachte zwar 1.177 Einsendungen, aber keine besonderen Qualitäten und keine neuen Hörspieldichter. Der von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft ausgeschriebene Preis wurde nicht verliehen.

      ANPASSUNG ANS RADIO: DIE BEARBEITER

      Recht bald zeigte sich, dass Theaterstücke nicht eins zu eins im Radio übertragen werden konnten oder besser sollten. Die Helden etwa mussten im Hörfunk unsichtbar bleiben – und dies hatte für die Inszenierung Folgen. Früh etablierte sich deshalb neben dem Autor auch der Bearbeiter zunächst vor allem von klassischen Theatertexten. Über diese in der Regel eher unbekannten Mitarbeiter ist nur wenig bekannt. Rudolf Hoch etwa bearbeitete 1927 Shakespeares Hamlet, Prinz von Dänemark (Deutsche Stunde), führte Regie und gehörte auch zu den Sprechern. Auch populäre Autoren probierten sich damals als Bearbeiter aus. Arnolt Bronnen beispielsweise bearbeitete Schillers Wallenstein (1927), Kleist oder Hoerschelmann, Bertolt Brecht das Shakespeare-Stück Macbeth (Funkstunde Berlin 1927).

      RADIO, TECHNIK, LIVE-PRINZIP

      Die frühen Hörspiele konnten einzig in den Funkhäusern produziert werden. Sie waren unabdingbar mit der Radiotechnik verbunden und ein reines und ausschließliches Radioprodukt. »Die Tatsache, dass die Hörspielform ohne die technischen Rundfunkvorgänge nicht entstehen kann, unterscheidet sie grundsätzlich von allen anderen Sendeformen des Rundfunks, die, sofern sie nicht mit Hörspielelementen gemischt sind, bloß Übertragung, bloß Reproduktion darstellen. In diesem Satz ist die erste Definition des Hörspiels enthalten« (SCHWITZKE 1963: 43). Die frühen Hörspiele wurden ausschließlich live gesendet und unter schwierigen Produktionsbedingungen hergestellt: »Ich hatte«, schrieb Erich Kästner 1929, »anderthalb Stunden Gelegenheit, zu beobachten, mit welcher Präzision die Inspizienten und ihre Handlanger zu arbeiten verstehen. Und ich sah auch, welche Mühe und welche Aufmerksamkeit diese Präzision erfordert. Kein Wort darf gesprochen oder auch nur geflüstert werden. Zwanzig Menschen, über zwei Räume und einen Flur, der die Säle verbindet, verteilt, und jeder hält ein Textbuch in der Hand, in dem der Regisseur mit Blau- und Rotstift inszeniert hat, und jeder wartet auf bestimmte Winke, winkt weiter, winkt wieder, führt Winkbefehle aus! […] Er selber, der Regisseur, sitzt inzwischen in seiner Isolierzelle, hört per Radio, was außerhalb seiner Zelle geschieht, gibt durch ein Fenster Wink-Kommandos, jagt seine Sendboten zu den Inspizienten, sie möchten den Regen das nächste Mal besser machen, und zu der Schauspielerin


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