Die Geschichte Hessens. Hans Sarkowicz

Die Geschichte Hessens - Hans Sarkowicz


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Parktundra ähnlich der heutigen sibirischen Taiga. Die großen Eiszeitdickhäuter Mammut und Wollnashorn sterben aus, sicher nicht ganz ohne Zutun des Menschen, und Rentierherden, Wildpferdgruppen, aber auch Waldtiere wie Ur und Rothirsch sind die Bewohner dieser Landschaft. Der Mensch reagiert auf diese Umstellung mit Veränderungen von Verhaltensweisen und Techniken, […] Zugeschnittene und genähte Kleidung, Werkzeugkonstruktionen aus verschiedenen und aufeinander abgestimmten Materialien, verschiedene Wege der Nahrungskonservierung und Vorratshaltung, verschiedenartig perfektionierte Jagdmethoden und Wege des Fischfanges sind Teil der erworbenen Praktiken, deren Kenntnisse jetzt dem Menschen zur notwendigen Flexibilität verhalfen.« 2

      Neolithische Revolution – Der Mensch wird sesshaft

      Ihre bevorzugten Siedlungsgebiete waren die fruchtbaren Ebenen, auf denen sich Emmer, Einkorn und Gerste anbauen ließen, Futterpflanzen für die Nutztiere wuchsen und Nüsse oder Früchte gesammelt werden konnten. Zum Süßen verwendeten die Bandkeramiker wohl schon Honig. Auch das Salz und Wildkräuter zum Würzen waren ihnen vertraut. So nutzten sie zum Beispiel den Vogelknöterich wie wir heute den Pfeffer.

      Da Düngung noch unbekannt war, verließen die Familien- oder Stammesgruppen wohl nach einiger Zeit ihre Plätze, um eventuell nach Jahren wiederzukommen. Das Leben muss in dieser Zeit extrem beschwerlich gewesen sein. Die Kindersterblichkeit war hoch, und so betrug die durchschnittliche Lebenserwartung nur 25 Jahre. Erwachsene konnten allerdings auch 40 Jahre oder mehr werden, wenn sie nicht vorher eine der zahlreichen Krankheiten, gegen die man nur selten Mittel kannte, hinweggerafft hatte. Denn die Ernährung war trotz Fleisch, Getreideprodukten und Früchten sehr einseitig. Aus Knochenuntersuchungen wissen wir, dass es einen deutlich erkennbaren Vitaminmangel gab, aus dem typische Krankheiten resultierten.

      Das tägliche Leben der frühen Bauern dürfte in jeder Hinsicht beschwerlich gewesen sein. Und es kam noch etwas Weiteres hinzu. In den Gräbern häufen sich Waffen und Werkzeuge zur Herstellung von Waffen als Beigaben. Das deutet darauf hin, dass sich die kleinen Gemeinschaften gegen äußere Feinde verteidigen mussten. Denn im Gegensatz zu den Jägern und Sammlern, die ein Nomadendasein mit leichtem Gepäck führten, hatten die Bauern und Viehzüchter wertvollen Besitz, den sie verteidigen mussten. Vielleicht haben sich deshalb die auf die Bandkeramiker folgende Menschen der Rössener Kultur und noch stärker danach der Michelsberger Kultur Wohnplätze gesucht, die sich leichter verteidigen ließen. Erstmals wurden neben Flussauen auch hessische Höhen besiedelt. Die Häuser der Rössener Kultur waren teilweise bis zu 85 Meter lang und bis zu sieben Meter breit. Die Bauern der Michelsberger Kultur, die durch sogenannte Tulpenbecher charakterisiert wird, begannen damit, gewaltige Erdwerke zu errichten, über deren Funktion noch heftig spekuliert wird. Die Vermutungen reichen von befestigen Dörfern bis zu Kultplätzen. Markante Beispiele fanden sich vor allem im nördlichen Hessen. Dort wurde die Michelsberger Kultur vor etwa 4500 Jahren von der Wartberg-Gruppe abgelöst, die nach einem Fundort bei Kirchberg in Nordhessen benannt ist.

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      Steinkammergrab von Züschen mit »Seelenloch«

      Die Menschen dieser Periode errichteten große Steinkammergräber, die über viele Jahre als Beerdigungsort dienten. Der Verstorbene wurde durch ein »Seelenloch« in die steinerne Grabkiste bugsiert. Die bekannteste Anlage dieser Art ist die Steinkiste von Züschen-Lohne, die in der Länge 20 Meter misst und in der Breite 3,5 Meter. Sie ist mit Zeichnungen geschmückt, die Rinder im Joch darstellen sollen und damit wieder auf die bäuerliche Herkunft der Künstler verweisen. Möglicherweise in einem direkten Zusammenhang mit diesen Steinkammern stehen die großen Menhire (»Hinkelsteine«), die bis in die Bronzezeit hinein an verschiedenen Orten in Hessen aufgerichtet wurden und Höhen von über fünf Metern erreichen konnten. Ihre Funktion ist bis heute ungeklärt. In früheren Zeiten lieferten die mysteriösen Steine reichlich Material für sagenhafte Erzählungen, die sich oft um Riesen rankten. Denn, so glaubte man, normale Menschen hätten die Quarzit- oder Sandsteinbrocken nie so aufstellen können. Ganz so ungewöhnlich war die Leistung allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass zur selben Zeit die Pyramiden von Gizeh entstanden und sich in Mesopotamien schon lange eine faszinierende Schriftkultur entwickelt hatte.

      Einen markanten technologischen Fortschritt brachte die Erkenntnis, dass sich aus den bereits bekannten Kupfer und Zinn im Verhältnis 9:1 Bronze herstellen ließ. Zinn wurde in Hessen allerdings nicht abgebaut.

      Grob unterscheidet man für die Bronzezeit die ältere Adlerbergkultur mit Flachgräbern und Hockerbestattungen, die mittlere Hügelgräberkultur und die jüngere Urnenfelderkultur. Wie schon der Name nahelegt, zeichnet sich die Adlerbergkultur in der mittleren Bronzezeit durch große Grabhügel aus, die in ganz Hessen verbreitet waren und sich als markante Geländemerkmale teilweise bis heute erhalten haben. In einzelnen Hügeln haben Archäologen bis zu 24 Gräber nachgewiesen. Eine völlig neue


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