Die Geschichte Hessens. Hans Sarkowicz

Die Geschichte Hessens - Hans Sarkowicz


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Dass die Beerdigungsformen so wichtig wurden für die Unterscheidung einzelner Kulturen, hängt damit zusammen, dass wir den Gräbern mit ihren mehr oder weniger reichen Beigaben wesentliche Erkenntnisse über die damaligen Menschen und ihre Sitten verdanken. Doch ist dabei auch Vorsicht geboten, denn die Gräber von in der Regel hochgestellten Persönlichkeiten vermitteln das Bild einer wohlhabenden Gesellschaft. Wir können aber davon ausgehen, dass der bronzezeitliche Bauer mit seiner Familie zwar dazu beitrug, dass es eine vermögende Oberschicht gab, dieser aber selbst ein eher karges Leben führte. Lediglich aus der späten Bronzezeit haben sich Gräberfelder erhalten, die Urnen ohne oder nur mit spärlichen Beigaben enthalten, die somit auf einfache Bestattungen hindeuten.

      Etwa um 800 v. Chr. begann die Verwendung von Eisen, das in kleinen, aber wirkungsvollen Öfen aus Erzen gewonnen wurde. Eisen diente fortan zur Herstellung von Waffen und anderen Gegenständen, die besonderen Belastungen ausgesetzt waren. Die frühe Phase der Eisenzeit trägt den Namen des Ortes Hallstatt im Salzkammergut. Sie zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass es zu prunkvollen Bestattungen von Angehörigen der Oberschicht kam. Ein Beispiel dafür ist das Wagengrab von Offenbach-Rumpenheim, in dem ein etwa fünfzigjähriger Mann zusammen mit einem hölzernen Wagen und weiteren Beigaben bestattet wurde. Der rekonstruierte Prunkwagen ist im Offenbacher Stadtmuseum zu sehen. Wahrscheinlich wurden in der Hallstattzeit in Hessen schon Höhenkuppen mit Ringwällen als Siedlungs- oder Rückzugplätze befestigt.

      Der Keltenfürst vom Glauberg

      Etwa um 500 vor der Zeitenwende trat in Hessen eine Bevölkerungsgruppe auf, die nicht mehr nach ihren Bestattungssitten oder den Formen ihrer Keramik benannt wird, sondern bei griechischen und römischen Geschichtsschreibern »Kelten« bzw. »Gallier« heißt. Mit ihnen beginnt die späte Eisenzeit oder Latène-Zeit (nach einem Fundort am Neuenburger See). Als Kernland der Kelten gilt das südliche Mitteleuropa, aber auf ihren Wanderungen und Kriegszügen kamen sie bis nach Spanien, in die Türkei, nach Italien, Frankreich und den britischen Inseln. Die Kelten hatten keine eigene Schrift. Ihre Überlieferung, vor allem von religiösen Bräuchen und Mythen, erfolgte mündlich. Schon deshalb haben sich von den Kelten in Hessen keine Stammesnamen erhalten. Aus zahlreichen Funden im mittleren und südlichen Hessen wissen wir, dass besonders zum Mittelmeerraum intensive Handelsbeziehungen unterhalten wurden. Von dort kamen u. a. Schmuck und edle Gefäße. Der wichtigste Fundort in Hessen und wohl auch darüber hinaus ist der Glauberg bei Büdingen, der vom 5. Jahrtausend v. Chr. bis ins hohe Mittelalter besiedelt war. In frühkeltischer Zeit umgab ihn eine Mauer aus Holz, Steinen und Erde. Das deutet darauf hin, dass der Glauberg in dieser Zeit schon ein Fürstensitz war. Am Fuß und im Vorfeld des Berges wurden ein großer Grabenring um einen (unterdessen verflachten) Hügel und eine zehn Meter breite »Straße« entdeckt, die über 350 Meter Länge zum Hügel führt. Die beteiligten Wissenschaftler deuten die Anlage als frühkeltisches Zentralheiligtum mit Prozessionsstraße aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Im Inneren des ursprünglich sechs bis sieben Meter hohen Hügels wurden zwei mit Schmuck und Waffen üppig ausgestattete Gräber aufgedeckt, die zu den reichsten in ganz Mitteleuropa zählen. Aber die eigentliche Sensation fand sich nicht in den Grabhügeln, sondern nordwestlich davon in einem Graben. Es war die lebensgroße, aus Sandstein gearbeitete Statue eines keltischen Kriegers mit einer so genannten Blattkrone. Nur die Füße fehlten. Außerdem fanden sich Bruchstücke von drei weiteren Statuen. Kleidung, Schmuck und Bewaffnung, die auf der Statue dargestellt werden, ähneln der Ausstattung der Toten in den beiden Gräbern.

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      Die Statue des Keltenfürsten aus der Keltenwelt am Glauberg

      Am Glauberg ist die Gesamtanlage unterdessen rekonstruiert worden. Das 2011 eröffnete Museum präsentiert die Funde in einer eindrucksvollen Ausstellung. In dem archäologischen Park, der ebenfalls zur »Keltenwelt« gehört, befinden sich u. a. ein rekonstruierter Grabhügel, »mysteriöse« Wall-Grabensysteme und Wehranlagen aus frühkeltischer Zeit. In den Museumskomplex integriert ist ein eigenes Forschungszentrum, denn noch sind viele Fragen zu der monumentalen frühkeltischen Anlage und zum Keltenfürsten selbst nicht beantwortet.

      In der späten Latènezeit kam es zu einem weiteren kulturellen Höhepunkt. Nach dem Vorbild der großen Städte im Mittelmeerraum entstanden die keltischen »Oppida«. Das waren befestigte Stadtanlagen auf Bergen, die wahrscheinlich bis zu 30 000 Menschen beherbergen konnten. Die bedeutendsten Keltenstädte in Hessen waren das Heidetränk-Oppidum bei Oberursel, wiederum der Glauberg, die Dornburg bei Frickhofen, der Dünsberg bei Gießen, die Milseburg in der Rhön, die Altenburg bei Niedenstein und die bisher kaum erforschte Amöneburg. In den mit Mauern und Wällen gesicherten Anlagen entwickelte sich eine städtische Zivilisation mit Handel, Handwerk, Gerichtsbarkeit und Münzwesen. Außerdem dienten die Oppida der Landbevölkerung als eine Art Fluchtburg in Kriegszeiten. Das erklärt auch die gewaltigen Dimensionen der keltischen Städte. So umschloss das Heidetränk-Oppidum eine größere Fläche als das frühneuzeitliche Frankfurt.

      Chatten und Römer

      Im ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde das nördliche Hessen durch weitere Wanderungsbewegungen Teil des rhein-wesergermanischen Kulturkreises. Jetzt tauchten in dem Gebiet zwischen Eder, Schwalm und Fulda auch erstmals die Chatten auf, von denen Hessen seinen Namen erhalten haben könnte. Für den römischen Geschichtsschreiber P. Cornelius Tacitus waren sie als edle Wilde das positive Gegenbild zu der von ihm als dekadent empfundenen römischen Gesellschaft. Entsprechend vorsichtig muss man seinen Bericht beurteilen.


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