H. C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck. Michael Horowitz

H. C. Artmann - Bohemien und Bürgerschreck - Michael Horowitz


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Poet aus Österreich wird längst auch international gewürdigt. Im deutschen Feuilleton schreibt Kritiker-Legende Gerhard Stadelmaier über den Wiener mit den größten lyrischen Kopfwelten: „Der Dichter als Erzieher. Zieht sich Masken übern Kopf. Und legt reimweise die Kinder, die in seinen Lesern stecken, übers Schreckensknie … H. C. (Hans Carl) Artmann, gelernter Schuhmacher und gewordener Poet, Wörtergerber und Dichtungsvernäher, Surrealitätsreimspieler und Fantasieraumvermesser, der kleingeschrieben die größten lyrischen Kopfwelten med ana schwoazzn dintn hintuschte.“

      An seinem 60. Geburtstag wird ausgiebig gefeiert. In Berlin. Sechs Verflossene sind da. 60 Rosensträuße mit 60 Rosen. 60 Flaschen Champagner. Und 600 Flaschen Chianti. Zum 70. Geburtstag erhält der inzwischen vielfach ausgezeichnete Dichter aus Breitensee das Ehrendoktorat der Universität Salzburg: „Dr. h.c. H. C. Artmann“. Wie das klingt, das gefällt ihm.

      Der Platz vor dem Salzburger Literaturhaus wird nach ihm benannt. Einem Rebellen im Ruhestand. Zu viele Jahre hat er pro Zeile eine Zigarette geraucht. Der Enthusiast, als der er auch immer wesentlich Jüngere mitgerissen hat, ist müde geworden. Er blickt zurück, erschöpft von einem Leben aus Euphorie und Einsamkeit, Tatendrang und Traurigkeit, barocken Allüren und tiefer Melancholie. Auf Erfolge und Exzesse, auch auf seine literarische Spurensuche vergessener Barockdichter, die er in sensiblen Übersetzungen zugänglich gemacht hat. Und auch seine „Asterix“-Nachdichtung ins Wienerische, die nicht nur in seiner Heimatstadt Kultstatus erlangt.

      H. C. Artmann. Durch die Verbindung von Avantgarde und Volkstümlichkeit setzt er literarische Maßstäbe. Ein Herr mit Grandezza. Ein rastlos Reisender, der real, im Kopf und in der Sprache unterwegs ist. Ein Mann, der mit fünf Frauen fünf Kinder hat, der mit 40 zum ersten Mal heiratet, aber drei Monate später bereits wieder geschieden ist. Und in einem Gedicht schreibt: „ich bin kein jäger kein hasentöter sechzig kinder möchte ich zeugen keine hasen töten“. Das Leben ist ihm nur allzu bekannt. Aber „sein überschwang hatte niemals eine lächerliche note“ wie er selbst attestiert.

      Er lässt sich nie blenden, von leuten, die kommen und etwas in einer sprache sagen, die keiner außer ihnen versteht“. Er ist ein Exzentriker und Individualist, ein Schelm und Provokateur. Ein Dichter, der scheinbar ein Leben lang versucht, seine Biografie zu verschleiern, der sich hinter Masken und Synonymen von der Außenwelt abschirmt. Er sieht sich als Husar, Surrealist, „kurfürstlicher sylbenstecher, chinesischer Hofdichter oder empfindsamer Lauscher an Nachtigallenschnäbeln. Er tritt auch als „Artmann Quirin Kuhlmann“, „Metro Goldwyn Artmann“ oder „Artmann of Arabia“ auf.

      Lange Zeit fühlte er sich „für einen Philosophen noch zu knusprig. Ich bin ein elastischer Mensch!“ Doch irgendwann ist er müde geworden, vom Leben. Die Zeiten, als sein milchiger Mopedscheinwerfer die Abende erhellte, als ihn die Vision beflügelte, „den Lenker einfach auszulassen und in die untergehende Sonne hineinzurauschen“, sind vorbei. Auch die wilden Berliner Tage, als er beim Twist-Tanzen in Berlin Günter Grass die Mädchen ausspannte, als er grinsend in einem Sarg liegend sein „Dracula“-Buch präsentierte.

      „Aus fernen augen hast du uns angesehen“, meint Ernst Jandl, „gluecklich, wessen zeit mit deiner zusammentraf. mit dir, uns allen voran, haben wir in unserer sprach eine neue dichtung gemacht.

      Er hat nie vernünftig gelebt. Die Wirklichkeit hat ihn eingeholt. Er leidet an seelischem Rheuma. Während der letzten fünf Jahre lebte H. C. Artmann wieder in Wien, in der Josefstadt. Flügeltüren. Parkettböden. Gediegene Atmosphäre.

      In der Nacht von 4. auf 5. Dezember 2000 ist das Herz zu schwach, um weiterzuschlagen. H. C. Artmann stirbt in seiner Wiener Wohnung.

      BONVIVANT UND BÜRGERSCHRECK AUS BREITENSEE

       Begegnungen mit einem Menschen voller Tatendrang und Traurigkeit

      Ich hatte das Glück, H.C. Artmann zu kennen. Wir arbeiteten gemeinsam an dem Buch „Menschenbilder“. Ich besuchte ihn immer wieder in seinem Haus in Salzburg, in der Wohnung in Wien, wir unternahmen gemeinsame Reisen. Manchmal auch nur spontane Ausflüge in schattige Wirtshausgärten. Oder Expeditionen in kleine Bars. Wir waren auch immer wieder außerhalb Österreichs, in Europa, unterwegs. Wo immer wir hinkamen, stellte mich H. C. als „mein Freund“ vor. Als ich ihn einmal fragte, ob er zur Präsentation meines Helmut-Qualtinger-Buches nach Hamburg mitkomme, fragte er nur: „Wann müss’ ma in Schwechat sein?“ – „Die Maschine geht morgen früh, um 7 Uhr“, „Ich freu’ mich schon …“ Pünktlich um 5.30 Uhr stand er vor seiner Haustür.

      Er war ein Freund, der die Frage eines Magazins, was Glück für ihn bedeute, mit dem Satz beantwortete: „…wenn ich um einen Freund Angst gehabt habe und ich dann die Nachricht bekommen habe, dass alles wieder in Ordnung ist.“

      H. C. hat sich immer wieder Zeit genommen, um mir aus seinem Leben zu erzählen. Es war zwischen uns vereinbart, dass ich „gegen Mittag, am besten um zwölf“ anrufe. Er würde mir dann sagen, ob wir uns sehen können. Wenn H. C. einen guten Tag hatte, arbeitete er bis zu seinem Ende mit seiner Frau Rosa, die drei Jahrzehnte verlässlich an seiner Seite war. In den letzten Monaten diktierte er ihr aus dem Gedächtnis. Frei, ohne irgendwelche Notizen. So entstanden noch vier Goldoni-Übersetzungen und ein Opernlibretto im Auftrag des Herbert-von-Karajan-Zentrums.

      Rosa stammt aus der Südsteiermark. Sie ermöglichte H. C. viele gelebte Wünsche. Es freute ihn, dass sie selbst zu schreiben begann. Und schöne Gedichte veröffentlichte:

      karten

      was willst du mehr / als diese karten / mischen /

      geben / austeilen / mit denen du spielst / mariage /

      doppelkopf / solo / sechsundsechzig / oder tod und

      leben / woraus du ersehen kannst / welches spiel

      gespielt wird / deine dir gegebenen karten / deine

      bedingungen / und der verlauf erst absehbar am ende.

      Meist kam H. C. selbst ans Telefon und erzählte mir damals vor 20 Jahren, was er erlebt hatte. Nicht mehr allzu viel. Mit der schon dünnen, leisen Stimme sprach er von „seinem einzigen Fenster zur Welt“, dem Fernsehen. Er sei ein Zapper, könne zwischen mehr als 30 Programmen auswählen. Weil er nicht einschlafen könne, sehe er viel fern. Die Nachrichten. Immer. Am liebsten sei ihm Danielle Spera, „weil’s auch fesch ist“. Außerdem kenne er sie noch aus Paris. Und er liebe gute Fußball-Matches. Und deutsche Krimis. „Den ‚Tatort‘ nicht, die reden immer so gespreizt.“ So, jetzt hätte er „großen Gusto auf Gefrorenes oder eine Salami, am besten eine Mailänder …“ Ich solle halt in den nächsten Tagen wieder anrufen – „gegen Mittag, am besten um zwölf …“

      Manchmal besuchte ich ihn dann in seiner Josefstädter Wohnung. Sie ist nicht sehr groß, hell und sonnig. Mit wenigen Möbeln und vielen Büchern, Parkettböden und Flügeltüren, fast großbürgerlich. Mit Blick durch die hohen Fenster auf die belebte Josefstädter Straße. Ich stellte ihm Fragen, aber vor allem hörte ich einfach zu, bei dem, was ihm gerade einfiel. Was er mir aus seinem Leben erzählte.

      In diesem Buch berichte ich von den Gesprächen, die wir bis kurz vor seinem Ableben geführt haben. Ich habe versucht, Sequenzen seines Lebens zu beschreiben, hauptsächlich aus seiner Wiener Zeit. Ein Leben, das H. C. Artmann voller Würde gelebt hat. Was sicher nicht immer leicht war, denn – wie Alois Brandstätter meint – „Schriftsteller in Österreich zu sein, das ist gerade so wie Strohhuterzeuger in Lappland“.

      H. C. Artmann hat mir viel erzählt: Von prägenden Lebensabschnitten, von der Kindheit und Jugend in Breitensee über das Wien der Nachkriegszeit – zwischen Schleichhandel und „poetischen demonstrationen“ – bis zu den frühen Experimenten als literarischer Avantgardist und bis zur Gründung der „Wiener Gruppe“. Von seinem großen, unerwarteten Erfolg mit Dialektgedichten, von den Reisen eines Rastlosen quer durch Europa. Und schließlich von seiner späten Anerkennung.

      Zuletzt durfte ich ihn am 1. November 2000, ein paar Wochen vor seinem Ende, besuchen. Er hatte wieder


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