Von den Einrichtungen der Klöster. Johannes Cassianus

Von den Einrichtungen der Klöster - Johannes Cassianus


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Werke bieten, euch, denen es bei so vorzüglichem Eifer schon zu lange dauert, bis ihr das Ganze erhaltet. Auf diese Weise werden wir, wenn uns auch noch Ausstand auf dieser Welt gewährt wird, wenigstens einige wenige allgemeine Grundzüge des Gebetes geben, durch welche Diejenigen hauptsächlich, welche in den Klöstern leben, sich einigermaßen zu unterrichten im Stande sind. Dadurch erreichen wir auch, daß Jene, welchen vielleicht nur dieses Büchlein zu Gesichte kommen wird, und die jenes andere nicht haben können, wenigstens zum Theil über die Art und Weise des Gebetes sich belehren können, und daß, nachdem sie über Kleidung und Haltung des äusseren Menschen unterrichtet worden, sie wenigstens darüber nicht ganz in Unkenntniß bleiben, wie sie das geistige Opfer des Gebetes darbringen sollen. Diese Blätter nämlich, welche wir mit Gottes Hilfe gegenwärtig abfassen, sollen mehr auf die äusseren Uebungen und Einrichtungen der klösterlichen Genossenschaften Bezug haben, während jene anderen23 die Unterweisung im inneren Leben und die Vollkommenheit des Herzens, sowie das Leben und die Lehren der Einsiedler zum Gegenstande haben werden.

      10. Die Stille und Kürze des Gebetes (der Orationen) bei den Aegyptiern.

      

      Wenn sie zu der genannten Gebetsfeier, welche sie „synaxis“24 nennen, sich versammeln, so beobachten Alle ein so tiefes Schweigen, daß, während doch die Brüder in einer so zahlreichen Schaar zusammenkommen, man glauben sollte, es sei ausser dem, welcher in der Mitte stehend den Psalm absingt, kein Mensch sonst zugegen. Und Dieß gilt besonders von der Oration, welche den Psalm schließt; hiebei wird kein Speichel ausgeworfen, kein Räuspern gehört, kein Husten, kein schläfriges Aufsperren des Mundes läßt sich vernehmen, als ob Einer zerstreut oder schlecht aufgelegt wäre oder gähnte, kein Seufzer wird ausgestoßen, welcher die Umstehenden etwa stören könnte, keine Stimme ausser der des vorbetenden Priesters wird laut, es sei denn, daß eine solche durch ein Ueberströmen des Geistes dem Munde entflieht und gleichsam unwillkürlich dem Herzen entsteigt, dann nämlich, wenn es von übermäßiger und nicht überwältigender Andachtsglut entzündet ist, so daß aus den verborgenen Tiefen der Brust gleichsam gewaltsam hervorbricht, was die entflammte Seele nicht mehr in sich zu verschließen im Stande ist. Wer aber aus Lauigkeit des Geistes laut betet oder etwas Derartiges, wie oben erwähnt, von sich gibt, von dem behaupten sie, daß er in zweifacher Hinsicht fehle. Er versündige sich erstens an seinem eigenen Gebete, indem er es nämlich Gott nachläßig darbringe. Zweitens störe er auch durch sein unordentliches Geräusch die Andacht der Anderen, welche vielleicht viel inbrünstiger hätten beten können. Daher besteht die Vorschrift, daß das Gebet (die Oration) schnell beendigt werde, damit nicht etwa, wenn man länger in demselben verharre, eine gewisse Lähmung des Geistes eintrete, welche auf den Eifer nachtheilig einwirken könnte. Eben deßhalb soll das Gebet auch, so lange es noch glüht, gleichsam dem Rachen des bösen Feindes entrissen werden. Denn wenn dieser uns auch stets feindlich ist, so ist doch gerade dann seine Wuth um so größer, wenn er sieht, daß wir uns im Gebete gegen ihn zu Gott wenden; er beeilt sich alsdann durch Erregung von zerstreuenden Gedanken und fremdartigen Stimmungen unsern Geist von der Andacht des Gebetes abzuziehen, und gibt sich alle Mühe, die anfängliche Glut des Herzens zu unterdrücken und auszulöschen. Darum hält man kurze, aber häufig wiederholte Gebete für nützlicher; denn wenn man oftmals den Herrn anruft, so bleibt man beständig mit ihm vereinigt. Betet man dabei in gedrängter Kürze, so entgeht man dadurch auch den Nachstellungen des Teufels, der uns gerade dann nachdrücklich zu verfolgen pflegt, wenn wir beten.

      11. Die Art und Weise, wie die Ägyptier die Psalmen beten.

      

      Darum legen sie auch nicht einmal Werth darauf, diejenigen Psalmen, welche sie gemeinschaftlich absingen, ohne Unterbrechung zu Ende zu bringen, sondern sie theilen dieselben je nach der Anzahl der Verse in drei oder vier Abschnitte, zwischen welche sie Orationen einlegen, und welche sie als ein Ganzes behandeln. Denn sie sehen nicht so sehr auf die Menge der Verse als auf das Verständniß und den Sinn derselben, indem sie vor Allem jenes Wort der Schrift beherzigen: „Ich will singen mit dem Munde, ich will auch singen mit dem Geiste.“25 Deßbalb erachten sie es für nützlicher, zehn Verse mit aufmerksamem Verständnisse zu singen, als einen ganzen Psalm mit zerstreutem Geiste herunterzubeten. Die Zerstreuung wird nämlich bisweilen durch die Eile des Vorbetenden erzeugt, wenn dieser im Gedanken an die Länge und Zahl der noch übrigen Psalmen bestrebt ist, nicht langsam und für die Zuhörer verständlich vorzutragen, sondern zum Ende des Gottesdienstes zu eilen. Wenn schließlich einer von den jüngeren Brüdern, sei es aus allzu großem Eifer, sei es, weil er noch nicht gehörig unterrichtet ist, das gewöhnliche Maß des Gesanges überschreitet, so wird er in dieser Ausschreitung dadurch unterbrochen, daß der Vorsteher mit der Hand auf seinen Stuhl schlägt, worauf alle zur Verrichtung der Oration sich erheben. Hiedurch soll verhütet werden, daß in denen, die sitzen, durch die große Ausdehnung der Psalmen Ueberdruß erregt werde; denn durch das zu lange Hinausdehnen würde der Vorsänger durch seine eigene Schuld die Frucht des Verständnisses verlieren, und ebenso würde er Jenen Schaden zufügen, denen er durch das Hinausziehen des Gottesdienstes Ueberdruß an demselben erregte.

      Strenge wird bei ihnen auch beobachtet, daß kein Psalm mit der Antwort „Alleluja“ geschlossen wird, welcher nicht auch mit diesem Titel „Alleluja“ überschrieben ist.26

      Die zwölf Psalmen vertheilen sie so unter sich, daß, wenn nur zwei Brüder da sind, einer je sechs, wenn drei, einer je vier, und wenn vier, einer je drei singt. Weniger als drei singt Keiner in der Versammlung vor, und wenn darum eine noch so große Menge versammelt ist, so übernehmen niemals mehr als vier Brüder das Amt eines Vorsängers beim heiligen Dienste.

      12. Warum die Mönche im Chore sitzen, und wie sie die Nachtwachen bis zum Morgen ausfüllen.

      

      Bei Abbetung der mehrfach genannten zwölf Psalmen gestatten sie ihrem Körper eine kleine Erleichterung in der Art, daß, wenn sie ihre heiligen Gebetsversammlungen in gewöhnlicher Weise abhalten, nur der Vorbetende in der Mitte steht, während alle Übrigen auf ganz niedrigen Stühlen sitzen und der Stimme des Vorbeters mit aller Aufmerksamkeit und Andacht folgen. Denn durch das viele Fasten, sowie durch die angestrengte Arbeit bei Tag und Nacht werden sie so müde, daß sie nicht im Stande wären, auch nur diese zwölf Psalmen stehend zu Ende zu bringen; darum erlauben sie sich diese Bequemlichkeit. Keinen Augenblick lassen sie ohne irgend eine Beschäftigung vorübergehen; sie begnügen sich nicht damit, mit äusserster Anstrengung zu arbeiten, so lange das Tageslicht es gestattet, sondern sie sind mit allem Fleisse darauf bedacht, auch solche Werke zu verrichten, welche die Finsterniß der Nacht nicht zu verhindern vermag; denn sie sind der Ansicht, daß man eine um so erhabenere Stufe der Contemplation und eine um so reinere geistige Anschauung erlange, je anhaltender und eifriger man der Arbeit obliege. Deßhalb sei auch, glauben sie, die Anzahl der kanonischen Gebete durch göttliche Fügung auf ein so geringes Maß beschränkt worden, damit einerseits den Eifrigen Zeit gegeben würde, unermüdlich auf der Bahn der Tugend weiter zu wandeln, und andererseits den Schwachen und Kränklichen kein Ueberdruß erregt werde. Wenn nun die kanonischen Gebete in der gewöhnlichen Weise vollendet sind, so begibt sich ein Jeder in seine Zelle zurück. Eine solche Zelle darf in der Regel nur Einer allein oder höchstens noch mit einem Andern bewohnen, mit dem er entweder dieselbe Arbeit zu verrichten hat, oder den er unterrichten und ins geistliche Leben einführen soll, oder der wenigstens in Gesinnungen und Tugenden ihm ähnlich ist. In die Zelle zurückgekehrt beginnen sie wieder mit noch größerem Eifer zu beten, und zwar aus persönlicher Andacht. Keiner von ihnen denkt daran, sich noch einmal zum Schlafe niederzulegen. So folgt denn, wenn der Morgen anbricht, dem nächtlichen Werke und der nächtlichen Betrachtung das Werk des neuen Tages.

      13. Warum man nach Beendigung der nächtlichen Andacht nicht mehr schlafen soll.

      

      Diese mühevollen Übungen verrichten sie mit aller Gewissenhaftigkeit einmal deßwegen, weil sie glauben, mit allem Eifer das Opfer ihrer guten Werke


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