Todesrunen. Corina C. Klengel

Todesrunen - Corina C. Klengel


Скачать книгу
habe ich mich völlig auf Hederas Erfahrung verlassen.« Astrid hielt kurz inne. Als der Anflug von Trauer sich legte, zeigte sie auf ein paar Laden in der Nähe der Tür. »Aber auch in der Pflanzenheilkunde gibt es Trends. Bei einigen Patienten musste es unbedingt Ginseng, Haronga oder Teebaumöl sein. Die hat Hedera dann bei speziellen Händlern bestellt.«

      »Und nun arbeitest du mit Hederas Kräutern weiter?«, fragte Gerred.

      Zögerlich antwortete Astrid. »Ja, ich werde es versuchen.«

      Tilla hatte still zugehört. Sie wusste, Hedera hätte gewollt, dass Astrid ihre Arbeit fortsetzte, doch nun wurde ihr mulmig bei dem Gedanken, dass die Apotheke dieses Haus verließ. Forscher, als ihr zumute war, verkündete sie: »Wenn die Apotheke weg ist, werde ich die Wand hier einreißen und das Wohnzimmer vergrößern. Natürlich nur, wenn du mir versprichst, dass das Haus nicht zusammenfällt, wenn ich der Wand mit einem Vorschlaghammer zu Leibe rücke.«

      Gerred betrachte die Wand kurz und klopfte an verschiedenen Stellen. »Nein, es ist keine tragende Wand. Aber überlass den Vorschlaghammer besser mir.«

      Tilla grinste. »Nichts dagegen, danke!«

      Astrid trat an Tilla heran und strich ihr über die Schultern. »Tilla-Schatz, du weißt, dass ich für diese Apotheke morden würde, aber es erscheint mir nicht richtig, dass du sie weggibst. Die Kräuter, ja, die hole ich gern ab. Aber die Schränke sollten bleiben.« Astrid sah sich sinnend um. »Kräuter waren Hederas Leben«, murmelte sie.

      »Und ihr Tod«, stellte Tilla brüsk fest.

      Bleierne Stille machte sich breit. Tilla blickte scheinbar abwesend aus dem Fenster, bis es plötzlich aus ihr herausplatzte wie überreifer Samen nach einem Sommerregen.

      »Ich kann mir einfach nicht erklären, warum sie diesen Scheiß Sud aus Eisenhut getrunken hat.« Abrupt drehte sie sich herum und flüchtete, eine Bresche durch ihre Besucher schlagend, in ihr Wohnzimmer. Astrid und Gerred folgten ihr langsam.

      Tilla tappte nervös im Wohnzimmer hin und her. »Wenn es jemand gibt, dem ich nie und nimmer einen Selbstmord zugetraut hätte, dann meiner Mutter. Sie war wie ein Fels.«

      »Ja, das war sie.« Zögernd meinte Astrid: »Eine Woche vor ihrem Tod habe ich noch mit Hedera gesprochen. Es deutete nichts, aber auch gar nichts darauf hin, dass sie so etwas vorhatte. Ich hab unseren letzten Nachmittag schon tausende von Malen Revue passieren lassen. Ich verstehe es auch nicht.«

      Astrids Worte taten Tilla unendlich gut. Sie war unschlüssig, ob sie ihren Freunden von ihrem Verdacht berichten sollte, der ihr plötzlich mehr als abwegig vorkam. Dennoch begann sie: »Mir ist da etwas aufgefallen, als ich die Küche aufräumte. Mutsch hatte an jenem Abend das alte Wedgwood gedeckt, die Kanne und eine Tasse standen auf dem Tisch. Aber eine weitere Tasse hab ich im Küchenschrank gefunden!«

      »Was?«, entfuhr es Astrid. »Das Wedgwood hat sie nur benutzt, wenn Besuch da war …«

      »Und eine zweite Tasse stand im Küchenschrank?«, hakte Gerred nach.

      »Ja. Abgesehen davon, dass meine Mutter diese Tasse nie in den Küchenschrank stellen würde, war sie gespült. Und die Polizei war das nicht. Als ich sie fand, war keine zweite Tasse auf dem Tisch.«

      »Hedera hatte also einen Besucher? Jemand, der hinterher die Tasse gespült hat?«, fragte Gerred ungläubig. »Bei einem Besucher würde man ja sogar an ein Fremdverschulden denken müssen. Aber es gab doch keine Kampfspuren, oder?«

      »Nein«, sagte Tilla leise. Dann fragte sie hilflos: »Kann es sein, dass sie sich mit jemandem dazu verabredet hat … also zum gemeinsamen Selbstmord, und der Besucher einen Rückzieher gemacht hat?«

      Astrid sah sie bestürzt an. »Wer sollte denn das gewesen sein?«

      »Da hatte ich mir von dir eine Antwort erhofft«, gab Tilla leise zurück.

      »Da fällt mir absolut niemand ein! Außerdem, ein Doppelselbstmord, das passt so gar nicht zu Hedera.«

      Tilla wurde unsicher. »Stimmt eigentlich.«

      »Trotzdem ist diese zweite Tasse äußerst merkwürdig. Hast du sie zur Polizei gebracht?«, fragte Gerred.

      »Äh, nein … ich kam mir so dumm vor. Ich habe Angst, dass die sagen, die Tasse hätte gar nichts zu bedeuten und dass Mutsch einfach nur vergessen hat, sie zurück ins Wohnzimmer zu stellen.«

      »Hatte deine Mutter denn Feinde?«, hakte Gerred vorsichtig nach.

      »Nein!«, erklärte Astrid kategorisch.

      Tilla fügte hinzu: »Meine Mutter hat sich tatsächlich außer mit mir noch nie mit jemandem gestritten. Bis auf …« Tilla brach ihre Rede nachdenklich ab.

      »Was?«, fragte Gerred.

      »Na ja, damals in Braunlage, da hat es wohl mal so was wie einen Stalker gegeben.« Tilla blickte hilfesuchend zu Astrid. »Was genau ist da eigentlich damals vorgefallen?«

      Astrid starrte Tilla verstört an und sagte überraschend abweisend: »Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«

      »Aber ist sie nicht deswegen dort weggezogen?«, fragte Tilla erstaunt nach.

      »Nein, so war das nicht. Außerdem spielt das heute keine Rolle mehr, es ist immerhin dreißig Jahre her!«, wiegelte Astrid ab.

      Tilla wunderte sich noch über Astrids brüske Worte, da stellte Gerred mit Blick auf ein Foto an der Wand fest: »Interessant. Das ist ja eine Collage.«

      Tilla sah ihm über die Schulter und stellte verwundert fest, dass er recht hatte. Auf dem alten Foto von ihrer Mutter klebte ihr eigenes Gesicht. Das Bild hatte sie noch gar nicht bemerkt. Wieder erfüllte es sie mit Schmerz, dass sich im Haus kein einziges Foto von ihr mehr befand. Nur dieses. Ihr Gesicht über dem ihrer Mutter. Eine Träne löste sich, die sie unwillig wegwischte.

      »Was ist?«, fragte Gerred vorsichtig.

      »Die Fotos von mir, sie sind weg, alle. Nur dieses gibt es noch. Sie hat mein Gesicht von einem ähnlichen Foto ausgeschnitten und auf eines ihrer Fotos geklebt, was ich jetzt erst bemerke. Ich verstehe das alles nicht.«

      »Sie hat deine Fotos weggehängt?«, fragte Astrid fassungslos.

      »Nicht nur weggehängt, sie sind ganz weg«, gab Tilla unwillig zurück.

      »Und wieso dann diese Collage?«, fragte Gerred.

      »Wenn ich das wüsste«, murmelte Tilla.

      Kapitel 14

      Siegrunen schneide, wenn du den Sieg willst haben;

      Grabe sie auf des Schwertes Griff;

      Auf die Seiten einige, andere auf das Stichblatt,

      Und nenne zweimal Thyr.

      – Edda, Das Lied von Sigrdrifa 6 –

      Harald Schakenbeck trat in den spärlichen Schein der Straßenlaterne. Er fröstelte. Eigentlich war es gar nicht so kalt, aber die stetige Feuchtigkeit der letzten Tage zog einem durch jedwede Form von Kleidung und ließ die Temperatur niedriger erscheinen, als sie war. Er wünschte, es würde endlich schneien. In drei Tagen war Weihnachten. Hin und wieder hatte er die Kuppe des Rammelsberges schon leicht überpudert gesehen, doch bisher waren sie über herbstliches Schmuddelwetter noch nicht hinausgekommen. Er seufzte.

      Grundsätzlich mochte er seinen Job, doch heute war er so frustriert wie schon lange nicht mehr. Er hatte Hülya Gülcan, eine junge Türkin, besucht. Das Mädchen hatte ihr schönes Gesicht zwar sittsam gesenkt, als ihr Vater und ihr blutjunger Ehemann gemeinsam angefangen hatten, auf sie einzubrüllen, doch Harald Schakenbeck war die Verzweiflung in Hülyas Augen keineswegs entgangen. Sie hatte im nächsten Frühjahr ihr Abitur machen wollen, doch nun war sie schwanger. Ihre Familie verbot ihr, aus dem Haus und zur Schule zu gehen.

      Harald


Скачать книгу