Todesrunen. Corina C. Klengel
wohl auf ein Dutzend Mannen zu steigern, so groß war seine Magie. Sehr stark waren jedoch die dunklen Kräfte, die dem Schwert innewohnten und die zu kontrollieren kaum eines Menschen Macht unterstand. Allein Calvagh, dessen rechten Geist Thurizan wohl kannte, war licht genug, die magische Waffe gerecht zu führen.
Es nahte die Zeit, da waren die letzten des alten Harcer Volkes von zahlreichen Stämmen umgeben, die den Wurfspieß Ger mit großem Geschick zu nutzen wussten. Die Cherusker lebten im Südwesten, die Langobarden und Hermunduren im Norden, die Chatten im Südwesten und die Semnonen im Süden. Besonders jedoch neideten ihnen die Hermunduren ihre Wohnstatt, inmitten der Fruchtbarkeit des Harces. Sie gehörten zu dem Stamme der kämpferischen Thoringi, die Kinder Thors, aus den östlichen Ebenen.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Thurizans Sippe das Dorf aufgeben und sich den sie umgebenden Stämmen und deren Schutz anschließen musste. Nicht das Schlechteste war es, denn die Stämme nahmen das alte Volk gern auf, nutzte ihnen doch das handwerkliche Geschick und deren unermessliches Wissen rund um Erdschätze, Bergbau und die Schmiedekunst mannigfaltig. Doch verlangte so etwas dem alten Volke viel ab, besonders den stolzen Frauen der Celtae, die unter den anderen Stämmen all ihre Rechte mussten hergeben. Das Leben unter ihnen war ein anderes als im Kreise der Ihren. Calvagh wusste dies wohl, hatte sich doch seine älteste Tochter Seghana für Sigimer, den Sohn eines Cheruskerfürsten entschieden. Schweren Herzens hatten er und sein Weib Niadh ihrem Wunsche entsprochen und sie ziehen lassen. Zwar behandelte der junge Cherusker sie mit allen Ehren, doch hatte Seghana mit dieser Ehe ihr Recht auf ihr Vermögen und ihre Selbstbestimmung verloren.
Thurizan und Calvagh haderten sehr mit dem Weg, der die Aufgabe ihrer Lebensweise bedeutete. Wussten sie doch, mit ihnen und ihrem Dorf würden auch die Götter in dieser Region durch das Vergessen sterben. Stets war ihnen die große Göttin der Erde und des Himmels hold gewesen, denn es mangelte ihnen an nichts. Wie oft hatten ihnen die stolze Epona, der Gott Lugh und Brighid im Kampf geholfen? Wie oft schon hatte Belenos das Jahresrad gedreht und das Licht des Sommers zurückgebracht? Wie oft hatte Crodo die Quellen sprudeln lassen und Cernunnos’ fruchtbares Werk unterstützt? Es war ihre Pflicht, mit ihrem eigenen Überleben das Überleben ihrer Götter zu sichern. All dies sollte Harcylugh, das kraftvollste Schwert, welches je einem Schmiedehammer entsprang, sichern. So gaben denn auch alle Götter ein Stückchen ihrer Magie hin, um es zu stärken.
Lange Zeit sicherte ihnen das magische Schwert tatsächlich den ersehnten Frieden, denn die Kunde seiner Vernichtungskraft trug sich weit ins Land. In dem Dorfe auf halbem Berge herrschte Wohlstand und Zufriedenheit. Aus dem großen Langhaus im geschützten Bergeinschnitt erscholl stets das Lachen vieler Kinder und fröhlicher Weiber. Erfolglose Jagden kannte man hier nicht. Einige des alten Volkes wussten aus dem schönen weißsilbernen Mondmetall herrliche Fibeln und Schmuck herzustellen. Damit und mit allerlei praktischem Gerät aus Rotmetall und Irdenware, vor allem aber auch mit dem Salze, dem weißen Golde des Harces, ließ sich trefflich Handel treiben. Sogar das begehrte sonnenfarbene Metall des Belenos fand sich im reichen Berg. Calvagh trug einen schweren goldenen Halsring davon, der seine Führerschaft bekundete. Seit vielen Fruchtzeiten wurde Calvagh als Fürst des Stammes bestätigt und es gab niemanden, der ihm diese Stellung streitig machen mochte.
Auch Epona hatte Freude an ihrem Volk im Harce, verfügte es doch über die besten Pferde im weiten Umkreis. Harte Pferde von gefälliger Statur, die in den Bergen ihre Trittsicherheit zeigten und in den Ebenen ihre Schnelligkeit bewiesen. Schon die Jüngsten verstanden sich auf die Kunst des Reitens. Doch wenn Niadh, Calvaghs schönes Weib mit ihrer hellen Stute, über die Ebenen unterhalb des Dorfes stob, sprach so mancher Zeuge hernach von einem fliegenden Pferd.
Neben dem Stammhaus, in dem alle Bewohner des Dorfes ihre Bettstatt rund um die Herdstelle hatten, erhob sich ein weiteres Gebäude für das Vieh. So zählte dieses Volk zu den wohlhabenden unter den Stämmen der Celtae. Es waren wohl zehn Familien, welche dieses Zaunland belebten. Sie trugen die Bracea, eine bequeme Hose, und ein Brustgewand in den fröhlichen Farben einer Sommerwiese. Die Frauen taten sich mit einem warmen, bis zu den Knöcheln reichenden Rock an. Beide Geschlechter trugen ein Wams aus weichem Hirschleder und das celtische Mantum. Der Umhang aus schwerem Stoff war mit einer angenähten Zipfelmütze bestückt, denn Crodo sandte das fruchtbare Nass nicht nur über die Quellen, sondern auch oft vom Himmel.
Tilla erinnerte sich lächelnd daran, wie sehr sie sich amüsiert hatte, als ihre Mutter erzählte, dass jene zipfelmützenartige Kapuze Historiker auf die Erkenntnis gebracht hatte, dass es sich bei Kelten und Zwergen um die gleiche Menschengruppe handelte, nämlich einen im Bergbau kundigen, sehr alten Stamm. Zwar waren Kelten nicht etwa kleinwüchsig. Das Kleinwüchsige ergab sich im Laufe vieler Märchen und Sagen aus der Vorstellung, dass man, wenn man in Stollen herumkrieche, wohl klein sein müsse, so Hedera, die ihr sodann das Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen erzählt hatte. Tilla hatte sich damals ausgeschüttet vor Lachen. Hedera hatte ihr noch einigermaßen ernst erklärt, dass es absolut zu den, für ihre Gastfreundschaft bekannten Kelten passen würde, eine Fremde in ihre Reihen aufzunehmen, ohne nach dem Grund zu fragen. Doch als ihre vorlaute Tochter fragte, ob denn der schöne Prinz, der Schneewittchen heiraten wollte, gewusst habe, dass Schneewittchen eine gebrauchte Frau sei, hatte selbst Hedera gelacht, bis ihr die Tränen über die Wangen gelaufen waren. Mehrfach hatte Hedera diese Geschichte bei den Festen der Altgläubigen, denen sie als Druidin des dritten Grades vorstand, zum Besten gegeben mit der immer gleichen Folge herzlichen Gelächters. Tilla wurde von dem wohligen Gefühl durchströmt, nicht mehr ganz so allein zu sein.
Nach dem Bad mäanderte Tilla durch die Küche und überlegte fieberhaft, wie sie Nina wenigstens einen Gruß zu Weihnachten zukommen lassen konnte, ohne allzu viel Ärger zu bekommen. Ein Paar neue Reithandschuhe, die sie Nina schenken wollte, lagen bereits seit einer Woche zusammen mit einer noch unbeschriebenen Karte auf dem Fensterbrett. Vielleicht sollte sie es zur Abwechslung mal auf dem direkten Weg versuchen und sie einfach per Post schicken?
Kurzentschlossen nahm sie die Karte zur Hand. Sie schrieb nicht nur einen Gruß, sondern fügte auch ein paar Zeilen hinzu, in denen sie möglichst unverfänglich erzählte, wie es ihr seit dem Gerichtsprozess ergangen war. Sie steckte die Karte und die hübsch eingepackten Handschuhe in eine braune Versandtasche. Vielleicht hatte sie Glück und Gerda reichte ihren Weihnachtsgruß an Nina weiter.
Ihr Blick wanderte durch das Küchenfenster nach draußen. Sie sah Gerred und die zierliche junge Frau vorbeigehen. Er schob sein Fahrrad, sie war in dicke Jacken gehüllt und tappte langsam neben ihm her. Seine gesamte Körperhaltung zeigte, dass er sich um die junge Frau sorgte.
Tilla wünschte sich in diesem Moment jemanden, der sie auch so schützend umsorgte, und wunderte sich dennoch über das herbe Gefühl von Eifersucht. »Jetzt verliere ich wohl wirklich meinen Verstand«, grummelte sie und schickte sich an, das Kuvert zur Post zu bringen.
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