Natur Natur sein lassen. Hans Bibelriether
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„Der Mensch wird hier Gast in der Natur sein, nicht aber in erster Linie Gestalter, wie in der übrigen Landschaft.“
(Bernhard Grzimek, 1970 zum Nationalpark Bayerischer Wald)
Wie sehr sich Menschen auch außerhalb des Bayerischen Waldes mit dem Thema befassten, beweisen viele Zeitungsartikel von damals, die sich auf Experten beriefen, die statt der Rettung die Zerstörung der Natur vorhersagten. So zum Beispiel im „Münchner Merkur“ vom 21. Mai 1968, wo aus Verlautbarungen des „Verein Naturschutzpark“ wie folgt zitiert wurde: „Bei Grzimeks Nationalparkplan, gleichgültig ob es sich um 6.000 oder 10.000 ha handelt, kann nicht von Naturschutz oder Landschaftsschutz, sondern nur von zwangsläufiger Naturzerstörung und Waldvernichtung die Rede sein, die auch wirtschaftlich nicht zu verantworten wäre.“
Der Unternehmer Alfred Töpfer, damals Vorsitzender des „Verein Naturschutzpark“, nannte es unsinnig, ausgestorbene Tierarten in diesem Gebiet wieder heimisch zu machen, zumal der geplante Nationalpark in diesem Fall eingezäunt werden müsse und deshalb den Wanderern nicht mehr zugänglich sei. Ferner wurde behauptet, dass die Wälder „Horden von pflanzenfressenden Großsäugern quasi zum Fraß“ vorgeworfen werden sollten.
Andere fürchteten um das Wohl der Tiere, die während der langen und kalten Winter doch sicherlich erfrieren müssten. In dem bereits erwähnten Bericht des „Münchner Merkur“ äußerte sich Graf Lennart Bernadotte, Sprecher des „Deutschen Rates für Landespflege“: „Der Deutsche Rat für Landespflege vertritt die Auffassung, daß die in der Öffentlichkeit verbreitete Vorstellung, im Bayerischen Wald könne ein Nationalpark in der Art eines Großwildreservates eingerichtet werden, nicht an den natürlichen Gegebenheiten dieses Raumes orientiert ist. Die dortigen Klima-, Boden- und Vegetationsverhältnisse verbieten die Haltung eines so großen frei lebenden Wildbestandes, der touristisch attraktiv sein und für die wirtschaftliche Entwicklung des Raumes ins Gewicht fallen könnte … Das Ergebnis einer kritischen Untersuchung der Möglichkeiten lässt eindeutig erkennen, daß die Voraussetzungen für einen deutschen Nationalpark im Bayerischen Wald nicht gegeben sind.“
Die Waldler wollen einen Nationalpark
Solchen Unkenrufen zum Trotz scharten sich die Nationalparkbefürworter um Hubert Weinzierl und gewannen – über Parteigrenzen hinweg – die Unterstützung der kommunalen und regionalen Politiker aus dem Bayerischen Wald. Schon im August 1966 stimmten die Bezirksregierung von Niederbayern und die betroffenen Landkreise Wolfstein und Grafenau (heute Landkreis Freyung-Grafenau) geschlossen für die Nationalparkidee. Einer der engagiertesten Mitstreiter war der damalige Grafenauer Landrat Karl Bayer (Sohn eines Waldarbeiters aus dem Steigerwald), der in Spiegelau als Forstmeister das Sägewerk der Bayerischen Staatsforstverwaltung leitete. Bayer ging es nicht nur um die wirtschaftliche Entwicklung im Bayerischen Wald, er war auch ein überzeugter Naturschützer.
Karl Bayer war unter den Kommunalpolitikern vor Ort der wichtigste Unterstützer des Nationalparks Bayerischer Wald.
„Und so sage ich abschließend noch einmal, die Natur kann gar nicht streng genug geschützt werden. Der Mensch wird nur leben und überleben, wenn er Natur und Umwelt gesund erhält. Mit jedem Stück Natur, das wir zerstören oder zerstören lassen, zerstören wir einen Teil der Zukunft unseres Volkes, unserer Gemeinden, unserer Bürger. Wer es wirklich ernst meint mit der Forderung „der Mensch geht vor“, dem kann es mit dem Naturschutz gar nicht ernst genug sein, der wird in Zukunft mit uns, den Naturschützern, sein müssen.“
(Karl Bayer 1976)
In der wirtschaftlich kaum entwickelten und benachteiligten Grenzregion gewann die Nationalparkidee immer mehr Freunde. Lediglich die Bayerische Staatsforstverwaltung lehnte den Nationalpark von Anfang an entschieden ab. Um besser zu verstehen, weshalb Jäger und Forstverwaltung dieser Entwicklung und Waldnationalparken bis heute so starken Widerstand entgegensetzen, muss man einen kurzen Blick in die Geschichte der deutschen Wälder werfen.
Die Jäger und der König des Waldes
Seit jeher galt der Rothirsch als König der deutschen Wälder. Kaum ein anderes Tier ist hierzulande in Märchen und Legenden derart präsent. Hirsche zählen zum Hochwild. Sie zu jagen, die sogenannte „hohe Jagd“ auszuüben, war im Mittelalter das Vorrecht der Landesherren. In Bannforsten und bewaldeten königlichen Jagdreservaten frönten sie dieser Leidenschaft. Der von Adligen und Landesherren erhobene Anspruch auf den Wald als ein aristokratisches Revier endete zunächst mit der Revolution von 1848. Im Dritten Reich aber erlebte diese Geisteshaltung unter dem Reichsjägermeister Hermann Göring eine erstaunliche Renaissance. Die Vorstellung einer Jagd nach Gutsherrenart wurde von Göring sogar in das Reichsjagdgesetz übernommen. Wesentliche Inhalte aus jener Zeit haben unverändert in das heute gültige Bundesjagdgesetz Eingang gefunden.
Manche Tierarten sind, weil der Adel sie bevorzugte, in den vergangenen 200 Jahren gewissermaßen zu jagdlichen Lustobjekten avanciert. Das heißt: Sie wurden einseitig gehegt, damit eine möglichst große Zahl der Trophäen wegen „waidgerecht“ erlegt werden konnte. Die Unterscheidung zwischen Nutzwild wie Hirsch, Reh oder Gams und den sogenannten Schädlingen wie Bär, Wolf, Luchs, großen Greifvögeln oder Kolkraben führte zur Ausrottung letzterer, während sich erstere so stark vermehrten, dass sie zu einem Problem für die deutschen Wälder wurden.
Die jagdlichen Interessen hatten in der Auseinandersetzung um den Nationalpark große Bedeutung. Zumal die Anliegen von Jagd und Naturschutz im Wald extrem unterschiedlich sind. Die Staatsforstverwaltung war einerseits nicht Willens, auch nur ein Prozent der Fläche des Bayerischen Staatswaldes für den ersten deutschen Nationalpark freizugeben. Andererseits wurden bis in die 80er Jahre ein bis zwei Prozent eben dieser wertvollen Wälder für die Umwandlung in Wildäsungsflächen reserviert.
Das Rotwildvorkommen im Bayerischen Wald war bis Ende des Zweiten Weltkrieges unbedeutend geblieben. Weshalb, darüber wird in Kapitel 3 ausführlich berichtet. Das änderte sich, als Anfang der 50er Jahre Oberforstmeister Dr. Götz von Bülow die Leitung des Staatsforstamtes St. Oswald übernahm – Herzstück des späteren Nationalparks. Für von Bülow war der Verlust der Rotwildvorkommen in Ostpreußen durch den verloren gegangenen Krieg ein nationales Unglück. Er wob eine mystische Aura um die Bayerwald-Hirsche und stilisierte das Grenzgebirge zu einem bedeutenden Rotwild-Lebensraum hoch. Entsprechend hochtrabend beschreibt er seine Arbeit als Forstamtsleiter: „Die Betreuung unseres Edelwildes erfordert Mühe, Arbeit und Opferbereitschaft. Sie erscheint aber als verpflichtende kulturelle Aufgabe! Lohn ist oft allein der so seltene Anblick des Königs dieser Wälder, der jedem Besucher zum unvergesslichen Erlebnis wird. (…) Lohn ist aber auch nicht zuletzt die Genugtuung, den Wald gesund und die Biozönose im Gleichgewicht erhalten zu haben. (…) Wem ist mehr Leben in solcher Vielfalt in die Hand gegeben als dem Forstmann und wem ist hier mehr Sorge und Verantwortung aufgebürdet als ihm? Wer ist aber auch – um mit Adalbert Stifter zu sprechen – in der weiten Stille dieser Wälder der göttlichen Offenbarung teilhaftiger als er?“
Diese neue Heilslehre wurde von der örtlichen Jägerschaft unterschiedlich aufgenommen. Die bäuerlichen Jäger lehnten die Verherrlichung des Rotwildes ab. Die Freibauern im Lamer Winkel lebten von den Einnahmen aus ihren tannenreichen Plenterwäldern und hielten das Gebiet nordwestlich des Arbermassivs frei von Rotwild. Im Winter 1952, als die hohe Schneelage im Staatswald dem Wild entlang des Grenzkammes schwer zu schaffen machte, wurden etliche Hirsche, die in tiefer gelegene Gebiete abwanderten, erlegt. Für Götz von Bülow war das „wahllose Zusammenschießen im Flachland“ eine Katastrophe. Er sah sich und seine mitjagenden Herrenjäger als „Besitzer und Beschützer“ der Hirsche. Um sie während des Winters von den Flinten der Bauern fern zu halten, ließ er mit einem enormen Aufwand an Steuergeldern