Neros Mütter. Birgit Schönau

Neros Mütter - Birgit Schönau


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      ROM DER MÄNNER,

      ROM DER FRAUEN

      Eine Einführung

      Das Rom der frühen Kaiserzeit war die größte Stadt der Welt. Eine brodelnde Metropole mit einer Million Einwohnern, fast das Zehnfache Athens und zweieinhalbmal so viel wie die alte chinesische Hauptstadt Luoyang. Keine andere Stadt reichte an Rom auch nur annähernd heran, nicht in Asien, nicht in der blühenden Kronprovinz Ägypten und schon gar nicht im bäuerlich geprägten Mittel- und Nordeuropa. Um das Jahr 50, also zur Regierungszeit von Claudius, hatten Köln und Trier, die größten Siedlungen Germaniens, jeweils 30.000 Einwohner. Für die damalige Zeit ansehnliche Städte, verglichen mit dem Zentrum des Weltreichs aber nicht mehr als bessere Marktflecken.

      Römer nannten ihre Metropole einfach nur urbs: die Stadt. Sie bildete das Herz einer Militärmacht, die schier unaufhaltsam ihre Eroberungen auf drei Kontinenten fortsetzte. Aber die urbs war auch ein Zentrum der Zivilisation, des ungeheuren Reichtums und der phantastischen Prachtentfaltung mit prunkvollen Palästen, Tempeln, Flaniermeilen, Gärten, Bibliotheken und Theatern. Waren aus dem ganzen Reich wurden in den Tiberhäfen gelöscht und in riesigen Lagerhallen gehortet: Getreide und Ziegelsteine, Marmor und Wein, Stoffe und Gewürze, Metalle und Edelsteine, Papyrus und Wolle. Auf dem Fluss und an seinen Ufern arbeiteten Tausende als Flößer, Kahnschiffer, Lagerarbeiter, Wachmänner und Sackträger, schließlich als Müller, die das Korn aus Ägypten und Sizilien zu feinem Mehl verarbeiteten. Auf den Straßen wimmelte es von Lastenträgern und Maultiertreibern, Maurern und Zimmerleuten, von Menschen, die zur Arbeit gingen, Einkäufe tätigten, Werkstätten aufsuchten, vor dem Friseur warteten, einen Happen in den Garküchen aßen oder ein Glas Wein in einer taberna tranken. Andere waren unterwegs in die öffentliche Latrine oder in die Thermen, in die Gerichte oder zur Aufwartung bei ihren »Schutzherren«.

      In Bretterbuden oder auch unter freiem Himmel lernten Kinder Schreiben und Rechnen, priesen Händler ihre Waren an, wurden Sklaven verkauft. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang spielte sich das Leben auf der Straße ab, in einem nie abnehmenden Gedränge und Gewühle, das alle mitriss. Nachts blieben die meisten in der von keiner Laterne erleuchteten Finsternis zu Hause. Nur die Reichen konnten sich Fackelträger leisten, die sie nach einem ausgedehnten Gastmahl nach Hause begleiteten. Still wurde die Stadt auch im Dunkeln nicht, denn nach Sonnenuntergang durften Transportfahrzeuge verkehren. Tagsüber galt ein von Gaius Julius Cäsar erlassenes Fahrverbot, das Rom über Jahrhunderte zu einer riesigen Fußgängerzone machte. Wenn die Sonne unterging, fuhren die Wagen und erfüllten die Hauptverkehrsstraßen mit einem Höllenlärm, der den des Tages womöglich noch übertraf.

      Nie schlief diese Stadt, immer war sie in Bewegung. Sueton berichtet, dass es zu den liebsten Vergnügungen des Augustus gehörte, durch die Stadt zu streifen und sich Boxkämpfe des niederen Volks anzuschauen, das »sich in den engen Gassen aufs Geratewohl und ohne technische Fertigkeit gruppenweise prügelte«. Wenn der Herrscher auch inkognito die Amateure bevorzugte, so tat er sich offiziell als spendabler Veranstalter von Theatervorstellungen, Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen hervor. Manchmal überraschte Augustus die Menschen damit, dass er mitten in der Stadt ein Rhinozeros zeigen ließ, eine Schlange oder einen Tiger. Die Teilnahme an allen möglichen Spektakeln waren ein beliebtes Freizeitvergnügen für Römer aller Schichten – und der Eintritt dazu war immer frei. In den Arenen und vor allem im Circus Maximus mit seinen fast 200.000 Plätzen konnten die Zuschauer ganze Tage verbringen.

      Festtage gehörten zum römischen Leben und sie wurden überbordend gefeiert. Allen voran die Saturnalien, die sich über sechs Tage im Dezember zogen, mit Massengelagen auf dem Forum und überall in der Stadt. Der Wein floss in Strömen, die Zecher spielten Würfelspiele oder zogen Lose, und im allgemeinen Ausnahmezustand durften Sklaven sich von ihren Herren bedienen lassen. Der Kaiser persönlich verteilte Geschenke – Gold, Silber, Münzen, aber auch Kleidung und Haushaltsgegenstände wie Decken, Feuerhaken und Schwämme.

      Im Alltag mussten die öffentlichen Prozesse in den riesigen Gerichtsbasiliken zur Volksbelustigung herhalten. Jeder durfte teilnehmen, Männer wie Frauen. An den eingeritzten Spuren antiker Brettspiele auf den Stufen der Basilica Iulia kann man heute noch ablesen, wie populär das »Spektakel« der Verhandlungen war – und wie lange es dauerte. Rechtsanwälte wie Seneca waren stadtbekannt wie Schauspieler, wie im Theater gab es bei manchen Szenen Applaus, allerdings kam der nicht spontan, sondern von bezahlten Claqueuren, den laudaceni. Nicht selten führte der Kaiser selbst den Vorsitz. Augustus soll bis in die Nächte hinein Recht gesprochen haben – wenn er buchstäblich nicht mehr im Richterstuhl sitzen konnte, arbeitete er in einer Sänfte weiter. In seinen Verhandlungen ging es mal um Vatermord, mal um Testamentsfälschung. Auch Claudius war ein sehr aktiver Richter, der in einem Strafprozess auch mal Prostituierte als Zeuginnen vernahm. Die Parteien, aber auch das Publikum gerieten bei manchen Verhandlungen derart in Erregung, dass sie auch den Kaiser beschimpften oder sogar gegen ihn handgreiflich wurden.

      Auf das Drama vor Gericht folgte als letzter Akt nicht selten die Hinrichtung. Auch Exekutionen waren öffentlich. Elternmörder wurden im Tiber versenkt, andere Delinquenten den Kapitolshügel heruntergestürzt, gekreuzigt oder wilden Tieren vorgeworfen. Letzteres drohte als Todesstrafe den Niedriggeborenen, die beim kleinsten Vergehen verurteilt wurden. Sich der Strafe durch Selbstmord zu entziehen, war hingegen Senatoren vorbehalten, die dadurch ihr Vermögen vor der Beschlagnahmung retten und sich selbst eine angemessene Trauerfeier sichern konnten. Die Trauerzüge der tonangebenden Familien folgten einer ausgeklügelten Choreographie und zogen sich mit Herolden, Musikanten und dem Defilee von Ahnenmasken aus Wachs oder purem Gold über Stunden. Auch hier waren bezahlte »Stimmungsmacher« am Werk, allerdings handelte es sich nicht um Beifallsspender, sondern um professionelle Klageweiber.

      Eine Minderheit in Rom konnte sich diesen und allen anderen erdenklichen Luxus leisten. Die Oberschicht der Millionenstadt, etwa drei- oder viertausend Menschen, residierte geschützt von Staub, Hitze und Krach, verwöhnt von einem Heer von Sklaven in weitläufigen Villenanlagen, umgeben von Parks mit Schatten spendenden Bäumen, duftenden Blüten und erfrischenden Schwimmbecken. Die Reichen wohnten auf den Hügeln oder am Flussufer des Tibers, verbrachten die heißen Sommer außerhalb der stickigen Stadt auf ihren Landgütern oder in einer standesgemäßen Residenz am Meer. Familien aus Roms Senatsund Geldadel besaßen neben dem Stadthaus oft gleich mehrere »Ferienvillen« an beliebten Orten der Sommerfrische in den Albaner oder Sabiner Bergen oder am Golf von Neapel. Die Masse der Bevölkerung hingegen drängte sich sommers wie winters in den Vierteln der urbs mit engen, dunklen und vermutlich auch stinkenden Straßen, von denen viele nicht gepflastert waren.

      Die meisten Römer lebten in den winzigen Wohnungen großer mehrstöckiger Mietshäuser. Der Wohnraum war knapp und teuer, deshalb wuchsen die Häuser in den Himmel. Fünf, sechs oder gar sieben Stockwerke waren keine Ausnahme. Von einer Heizung oder auch nur einer Küche konnten die Bewohner dieser insulae nur träumen. Ihre Apartments wurden im Sommer drückend heiß und im Winter schneidend kalt. Brände waren in den Armenvierteln an der Tagesordnung.

      Mindestens ein Drittel der Bevölkerung war auf die Wohlfahrt angewiesen. Der Kaiser versorgte diese Bedürftigen monatlich mit Getreide und regelmäßig mit Geldspenden – eine gute Gelegenheit, um neben dem Sponsoring von Circus-Wettkämpfen und Festgelagen die eigene Großzügigkeit zu beweisen. Die Armen auf der kaiserlichen Versorgungsliste waren wohlgemerkt freigeborene Bürger, denn Sklaven mussten von ihrem eigenen Herrn versorgt werden, der als pater familias vollumfänglich für sie zuständig war und sie als sein lebendes Kapital gut ernährte. Das führte dazu, dass die Leibeigenen meistens deutlich besser versorgt waren als die freien, aber besitzlosen humiliores der einheimischen Unterschicht und die honestiores – Soldaten, Arbeiter und Handwerker mit einem Jahreslohn um tausend Sesterzen, der im teuren Rom nicht mehr garantierte als ein Existenzminimum.

      Sklaven und Sklavinnen bildeten schätzungsweise ein weiteres Drittel der Bevölkerung. Es handelte sich zumeist um verschleppte Kriegsgefangene und deren Nachkommen, die rechtlos als Besitzgut ihrer Herren aufwuchsen. Viele mussten schwere Arbeit verrichten oder als Gladiatoren und Wagenlenker für das Vergnügen der Römer ihr Leben riskieren. Mit Glück konnte man aber auch in einer jener reichen Familien landen,


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