Neros Mütter. Birgit Schönau
hingab, war nach herrschender Moral zu allem fähig. Mächtige Männer wie der Republikaner Cato und Neros Hof-Philosoph Seneca stellten Ehebrecherinnen sogar unter den Generalverdacht der Giftmischerei.
Die unkontrollierte, entfesselte Sexualität der Frau galt als zerstörerisch, ja staatszersetzend. Die Römer glaubten, dass unmoralisches Verhalten die Götter reize, so wie umgekehrt die mos maiorum, die strenge Sitte und moralische Disziplin der Vorväter, den Aufstieg Roms zur Weltmacht erst ermöglicht habe. Um die Götter gnädig zu stimmen, galt es also, die tierhaften Triebe der Frau gewissenhaft zu kontrollieren. »Die Frau an sich ist unvernünftig und, falls man ihr keine Kenntnisse vermittelt und nicht viel Bildung zukommen lässt, ein wildes Tier, maßlos in seinen Begierden«, warnte Seneca.
Für die römische Oberschicht und insbesondere die Kaiserdynastie ergab sich daraus eine Doppelmoral: Während Männer ihre Männlichkeit durch eine aggressive Sexualität auch und vor allem außerhalb der Ehe unter Beweis stellen durften, unterlag die Keuschheit ihrer Frauen harten gesetzlichen Auflagen und strengster Sozialkontrolle, wobei Letztere durch die enklavenhafte, räumliche Abkapselung der Aristokratie erleichtert wurde. Denn Roms bedeutendste Familien waren nicht nur über eine ausgeklügelte Heiratspolitik miteinander verschwägert, sie wohnten auch Tür an Tür. Insbesondere der Palatin-Hügel über dem Forum Romanum entwickelte sich seit der Regierungszeit von Augustus zum Luxusviertel derjenigen, die im Dunstkreis der Macht leben wollten, möglichst nah am Prinzeps und dessen Familie.
Trotz des Reichtums der Großgrundbesitzer galt Protzerei als dekadent und »unrömisch«. Als die schöne Lollia Paolina einmal als Gast bei einem Verlobungsbankett kostbaren Schmuck trug, mokierte sich halb Rom darüber – dabei handelte es sich nicht etwa um ein Geschenk von Paolinas zeitweiligem kaiserlichen Gatten Caligula, sondern um das Erbe ihres Großvaters, der »durch Plünderung der Provinzen« einen Schatz aufgehäuft hatte, wie der ältere Plinius berichtet: »Da war sie mit Smaragden und Perlen bedeckt, die immer abwechselnd aneinander gereiht überall glänzten: am ganzen Kopf, im Haar, an den Ohren, am Hals und an den Fingern. Sie hatten einen Gesamtwert von vierzig Millionen Sesterzen, und Lollia war sogleich bereit, den Preis durch Kaufurkunden zu belegen!«
Das war nun wirklich nicht die feine römische Art, aber wenn Lollia Paolina es auch mit ihrer Prahlerei übertrieb, so war sie durchaus nicht die Einzige, die sich über die strengen Moralvorstellungen der Altvorderen hinwegsetzte. Schließlich waren die filigranen Kunstwerke kreativer Juweliere der Kaiserzeit nicht nur für den Hausgebrauch edler Damen bestimmt, und so glitzerten und glänzten die Römerinnen öffentlich um die Wette. Plinius berichtet von länglichen Perlen, »dem ganzen Stolz der Frauen, wenn sie solche am Finger und je zwei oder drei an den Ohren hängen haben«. Und damit nicht genug, trugen die Verwegensten Schmuck auch an ganz anderen Körperteilen: »Man befestigt (Perlen) sogar an den Füßen, und zwar nicht nur an den Schuhriemen, sondern überall an den Schuhen. Es ist nicht mehr genug, Perlen zu tragen, wenn man sie nicht auch unter den Füßen hat und auf den ›Einmaligen‹ sogar einhergeht.«
Dabei konnte man die Sandalen der vornehmen Römerin unter ihrem bodenlangen Kleid kaum sehen. Die Tunika, ein schlichtes Woll- oder Leinenhemd mit kurzen oder langen Ärmeln, fiel ihr nämlich bis auf die Füße. Prostituierte mussten zur Unterscheidung von »anständigen« Frauen kurze, schwarze Tuniken tragen, wohlhabende Kurtisanen entschieden sich für feinste, durchsichtige Seide. Die Bessergestellten hingegen drapierten über dem langen Kleid eine Stola mit Purpurband. Das war aber auch die einzige Abweichung von der Einheitskleidung für die ehrbare Matrone, über die Horaz spottete: »Bei Ehefrauen siehst du nichts als das Gesicht, das übrige verdeckt das Kleid, das tief herabwallt.«
Doch auch hier hatten die Gesetzgeber die Rechnung ohne jene Frauen gemacht, die sich etwa unter Tiberius ohne Ganzkörperverhüllung auf die Straße trauten. Prompt wurde von einem besonders sittenstrengen Senator vorgeschlagen, den Verstoß gegen die Kleiderordnung für Ehefrauen ebenso streng zu ahnden wie einen Ehebruch, nämlich mit Verbannung. Der Eiferer wurde jedoch ausgebremst und die Matronen trugen selbstbewusst ihre aus Griechenland importierte »Palla«, einen Mantel aus leichten, farbigen Stoffen. Die jüngere Agrippina etwa präsentierte bei besonderen Gelegenheiten eine auffällige »Palla« aus edlem, golddurchwirktem Stoff.
Bereits nach Ende des Zweiten Punischen Krieges 200 v. Chr. hatten Roms Oberschichtsfrauen die Abschaffung eines Gesetzes durchgefochten, das ihnen verbot, mehrfarbige Kleidung zu tragen, sich mit mehr als einer halben Unze Gold (dreizehn Gramm) zu schmücken oder mit einem Pferdegespann näher als eine Meile an die Stadt heran zu fahren. »Die Männer jener Epoche durchschauten nicht, zu welchem Luxus es das hartnäckige Drängen des ungewöhnlichen Bündnisses bringen wollte und bis wohin sich der Wagemut, der die Gesetze besiegt hatte, erstrecken würde«, klagte Valerius Maximus, der gut hundert Jahre später die weibliche Aufsässigkeit für den Niedergang der Republik mitverantwortlich machte. Immer wieder wird die angebliche »Unbezähmbarkeit« der Frauen von den antiken Chronisten thematisiert. Trotz aller Anstrengungen der jeweils regierenden Männer ließen sich die Römerinnen offenbar einfach nicht unterkriegen.
Der tiefe Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit entsprang womöglich der Unerreichbarkeit jener Vorzeigefrauen, die seit den Zeiten der Republik als Ideal propagiert wurden. Namentlich die Frauen der Herrscherfamilie mussten diesen Vorbildern nacheifern – ohne nennenswerten Erfolg, wie wir noch sehen werden. Und doch sollten die Ikonen der römischen Vorzeit das Frauenbild weit über den Untergang des Römischen Reiches prägen. Sie blieben in der christlichen Lehre lebendig, überlebten Kirchenspaltungen und die Französische Revolution. Besonders zwei legendäre Frauengestalten prägten das Rollenbild der Römerin als keusche Gattin und als stolze Mutter: Lucrezia und Cornelia, die Mutter der Gracchen.
Als Tochter des Hannibal-Besiegers Scipio gehörte Cornelia im 2. Jahrhundert v. Chr. zu den vornehmsten Frauen Roms. Früh verwitwet, konzentrierte sie sich ganz auf die Erziehung ihrer Söhne Tiberius und Gaius Gracchus, widmete sich ihren Studien und schlug unter anderen einen Heiratsantrag des ägyptischen Königs aus. Als sie einmal gefragt wurde, warum sie (anders als später Lollia Paolina) niemals Schmuck trage, wies sie auf ihre Kinder: »Das sind meine Juwelen!« Die Gracchen wurden Volkstribune, scheiterten aber mit ihren von der Mutter kritisierten, kühnen Reformen und kamen bei den Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern ums Leben. Cornelia ließ sich ihre Trauer nicht anmerken. Denjenigen, die sie trösten wollten, soll sie entgegnet haben, als Mutter der Gracchen sei sie per se vom Schicksal begünstigt.
Bis heute ist Cornelia als Ikone soldatisch-disziplinierter Mütterlichkeit nicht nur in Italien ein Begriff. Als erster nichtgöttlichen Frau wurde ihr in Rom eine Statue gewidmet, deren Sockel sich heute in den Kapitolinischen Museen befindet. Dante platzierte sie neben Virgil und Homer in den Limbus seiner Göttlichen Komödie. Spätestens dadurch wurde die Gracchen-Mutter unsterblich.
Lucrezia hingegen ist in Vergessenheit geraten. Ob sie wirklich existiert hat, ist unsicher. Der Sage nach lebte dieses Muster der Tugendhaftigkeit in der mythenumwobenen Frühzeit. Der Königssohn Sextus Tarquinius, ein Freund ihres Ehemannes, lernte Lucrezia in ihrem Haus kennen. In Abwesenheit ihres Mannes drang er nachts in ihr Schlafzimmer. Als Lucrezia ihn abwehrte, drohte der Prinz, sie zu töten und anschließend einem Sklaven die Kehle durchzuschneiden, um seine Leiche nackt zur ihrer zu legen. So wollte er den Anschein erwecken, sie sei beim Ehebruch entdeckt und bestraft worden. Angesichts dieser Drohung war Lucrezia Sextus zu Willen. Später informierte sie Vater und Ehemann über die erlittene Vergewaltigung und stach sich vor ihnen einen Dolch in die Brust. Lucrezias letzte Worte überliefert Titus Livius: »Auch wenn ich mich von der Schuld losspreche, so befreie ich mich nicht von der Strafe; von nun an wird keine unsittliche Frau unter Berufung auf das Beispiel der Lucrezia mehr leben können!«
Die Selbsttötung der von dem skrupellosen Sextus Tarquinius missbrauchten Lucrezia soll einen Volksaufstand und das anschließende Ende der Monarchie ausgelöst haben. Vor allem aber avancierte Lucrezia bei Generationen von Römern zum leuchtenden Vorbild unerschütterlicher Tugendhaftigkeit. Die eigene Ehre zu bewahren, also jeden sexuellen Akt außerhalb der Ehe zu verhindern, wurde zur wichtigsten Pflicht der Frauen. Nicht von ungefähr bedeutete der Begriff stuprum gleichermaßen Vergewaltigung, Ehebruch und Hurerei: Stuprum war schlicht jede Form von außerehelichem Sex, den eine Frau nicht