Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann. Alex Baur
mit einer Geschichte aus dem Alltag. Ein eleganter Sportwagen steht mit einer Reifenpanne am Straßenrand. Doch die Besitzerin des Autos denkt nicht daran, Ersatzreifen und Wagenheber in die Hand zu nehmen, um das Malheur zu beheben. Sie setzt den dümmsten Blick auf, den sie für solche Fälle intus hat, und stellt sich neben ihr Auto. Sie muss nicht lange auf einen netten Unbekannten warten, der die missliche Lage erkannt hat und ihr zu Hilfe eilt. Sie muss ihn nicht einmal bitten. Von sich aus wirft sich der Gentleman in den Schmutz, um das Rad zu wechseln, selbstverständlich gratis. Dankbar dafür, dass er einer Dame in Not dienen durfte, öffnet ihr der Herr nach getaner Arbeit noch die Autotür und rät, den havarierten Reifen möglichst bald reparieren zu lassen. Während sie davonrauscht, reinigt er behelfsmäßig seine verschmutzten Schuhe und klopft seinen Anzug aus, schaut auf die Uhr, er ist im Verzug. Gegen seine Gewohnheit fährt er unvorsichtig schnell weiter, um die versäumte Zeit aufzuholen. Den geplanten Termin hat er gleichwohl verpasst. Doch er nimmt es mit fröhlicher Gelassenheit hin: »Nach einer Weile fängt er an, leise vor sich hinzusummen. Auf eine gewisse Art ist er glücklich.«
Eine nette Alltagszene in der Art, wie sie wohl jeder schon einmal erlebt hat oder zumindest locker nachvollziehen kann. Was Vilar mit der Anekdote illustrieren will, ist weniger nett.
»Die meisten Männer hätten sich in der gleichen Situation gleich verhalten, die meisten Frauen ebenso: Die Frau lässt den Mann – nur aufgrund der Tatsache, dass er ein Mann ist und sie etwas ganz anderes, nämlich eine Frau – bedenkenlos für sich arbeiten, wann immer es eine Gelegenheit gibt. (…) Die Frauen lassen die Männer für sich arbeiten, für sich denken, für sich Verantwortung tragen. Die Frauen beuten die Männer aus. (…) Warum werden die Frauen nicht entlarvt? (…) Alle Eigenschaften eines Mannes, die der Frau nützen, nennt sie männlich, und alle, die ihr nicht nützen und auch sonst niemandem, nennt sie weibisch. (…) Was ist der Mann? Der Mann ist ein Mensch, der arbeitet. Mit dieser Arbeit ernährt er sich selbst, seine Frau und die Kinder seiner Frau. Eine Frau dagegen ist ein Mensch, der nicht (oder nur vorübergehend) arbeitet. Die meiste Zeit ihres Lebens ernährt sie weder sich selbst noch ihre Kinder, geschweige denn ihren Mann. (…) Was immer der Mann tut, wenn er arbeitet – ob er Zahlen tabelliert, Kranke heilt, einen Bus lenkt oder eine Firma leitet –, in jedem Augenblick ist er Teil eines gigantischen, unbarmherzigen Systems, das einzig und allein auf seine maximale Ausbeutung angelegt ist, und er bleibt diesem System bis an sein Lebensende ausgeliefert. (…) [Die Männer] tun es, weil sie dafür dressiert werden: Ihr ganzes Leben ist nichts als eine trostlose Folge von Dressurkunststückchen. Ein Mann, der diese Kunststückchen nicht mehr beherrscht, der weniger Geld verdient, hat ›versagt‹ und verliert alles: seine Frau, seine Familie, sein Heim, den Sinn seines Lebens – jedwede Geborgenheit. (…) Der Mann sucht immer jemand oder etwas, dem er sich versklaven kann, denn nur als Sklave fühlt er sich geborgen – und seine Wahl fällt dabei meist auf die Frau.«
In diesem Tonfall geht es weiter, über 200 Seiten. Vilar formuliert rasiermesserscharf und in einem halsbrecherischen Tempo, kein Wort ist zu viel. Grautöne, ein Einerseits-Andererseits, Relativierung und Vorbehalte gibt es nicht. Alles ist auf den maximalen Kontrast in Schwarz und Weiß getrimmt. Widerspruch erscheint zwecklos. Denn während der Leser in seinem Kopf noch den Haken an der Sache sucht, ist ihm die Autorin schon zuvorgekommen und widerlegt seinen Einspruch, bevor er ihn zu Ende gedacht hat.
»Es gilt als erwiesen, dass Männer und Frauen mit den gleichen geistigen Anlagen geboren werden, dass es also keinen primären Intelligenzunterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Ebenso erwiesen ist aber, dass Anlagen, die nicht entwickelt werden, verkümmern: Die Frauen benützen ihre geistigen Anlagen nicht, sie ruinieren mutwillig ihren Denkapparat und gelangen nach einigen Jahren sporadischen Gehirntrainings in ein Stadium sekundärer, irreversibler Dummheit. (…) Warum benützen die Frauen ihr Gehirn nicht? Sie benützen es nicht, weil sie, um am Leben zu bleiben, keine geistigen Fähigkeiten brauchen. Theoretisch wäre es möglich, dass eine schöne Frau weniger Intelligenz besitzt als beispielsweise ein Schimpanse und dass sie sich dennoch im menschlichen Milieu behauptet.«
Starker Tobak? Das war bloß der Anfang, es kommt noch heftiger. Zarte Gemüter schnallen sich nun besser an.
«Spätestens mit zwölf Jahren – einem Alter, in dem die meisten Frauen beschlossen haben, die Laufbahn von Prostituierten einzuschlagen, das heißt, später einen Mann für sich arbeiten zu lassen und ihm als Gegenleistung ihre Vagina in bestimmten Intervallen zur Verfügung zu stellen – hört die Frau auf, ihren Geist zu entwickeln. Sie lässt sich zwar weiterhin ausbilden und erwirbt dabei allerlei Diplome – denn der Mann glaubt, dass eine Frau, die etwas auswendig gelernt hat, auch etwas weiß (ein Diplom erhöht also den Marktwert der Frau) –, doch in Wirklichkeit trennen sich hier die Wege der Geschlechter ein für alle mal. Jede Verständigungsmöglichkeit zwischen Mann und Frau wird an diesem Punkt abgeschnitten, und zwar für immer. (…) Grundlage der Ökonomie ist noch immer der Tausch. Wer eine Dienstleistung verlangt, muss etwas entsprechend Wertvolles dagegen bieten. Nun verhält es sich so, dass die Männer die exklusive Nutzung der weiblichen Vagina zu Wahnsinnspreisen hochgesteigert haben (…) Die Frauen können wählen, und das ist es, was sie den Männern so unendlich überlegen macht: Jede von ihnen hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes – und so gut wie jede wählt für sich die zweite Möglichkeit. Der Mann hat diese Wahl nicht. (…) Außerhalb seiner Funktion als Ernährer misst die Frau dem Mann keinen Wert zu. (…) Die Frau kann ruhig lügen. Da sie nicht in den Arbeitsprozess eingegliedert ist, schadet die Lüge immer nur einem einzelnen Menschen – meist ihrem Mann –, und sie nennt sie, wenn sie zuweilen doch ertappt wird, auch nicht ›Lüge‹ oder ›Betrug‹, sondern ›weibliche List‹. (…) Die Gefühlsarmut der Frau zeigt sich auch darin, dass sie die Emotionen des Mannes unterdrückt, wo sie nur kann, und sich dabei noch in den Ruf bringt, gefühlvoll und sensibel zu sein. Die Tränendrüsen sind winzige Flüssigkeitsbehälter, die, ähnlich wie die Harnblase, durch Training dazu gebracht werden können, dem Willen zu gehorchen. (…) Die einzig wichtige Tat im Leben einer Frau ist die Wahl des richtigen Mannes (sie darf sich sonst überall irren, hier nicht), und deshalb trifft sie diese Wahl meist dort, wo sie die männlichen Qualitäten, auf die es ihr ankommt, am besten beurteilen kann: beim Studium und bei der Arbeit. Büros, Fabriken, Colleges und Universitäten sind für sie nichts weiter als riesige Heiratsmärkte. (…) Welches Milieu sie zum Ködern ihres künftigen Arbeitssklaven tatsächlich wählt, hängt weitgehend vom Einkommen des Mannes ab, der sich vorher für sie versklavt hatte – ihres Vaters. Die Töchter gutverdienender Männer suchen sich den Mann zum Heiraten vorzugsweise auf Hochschulen und Universitäten, denn dort bestehen die größten Chancen, einen mindestens ebensogut verdienenden Mann zu finden (außerdem ist ein Pro-Forma-Studium bequemer als eine – wenn auch vorläufige – Berufstätigkeit.). Mädchen aus weniger gutem Hause müssen sich zum gleichen Zweck vorübergehend in einer Fabrik, einem Laden, Büro oder Krankenhaus verdingen. Beide Formen des Engagements sind provisorisch – sie dauern bis zur Hochzeit, in Härtefällen bis zur Schwangerschaft. (…) Die Frau kennt keinen Kampf. Wenn sie ihr Studium abbricht und einen Universitätsdozenten heiratet, hat sie ohne Anstrengung das gleiche erreicht wie er. Als Ehefrau eines Fabrikanten wird man sie mit noch größerer Ehrerbietung behandeln als diesen. Als Frau hat sie immer den Lebensstandard und das Sozialprestige ihres Mannes und muss nichts tun, um diesen Standard und dieses Prestige zu erhalten – das tut er. Der kürzeste Weg zum Erfolg ist deshalb für sie immer noch die Heirat mit einem erfolgreichen Mann. (…) Die hässliche Frau arbeitet aus dem gleichen Grund wie der Mann: weil es sonst niemand für sie tut. Doch während der Mann mit seinem Gehalt Frau und Kind ernährt, arbeitet sie immer nur für sich selbst und nie, um mit dem verdienten Geld das Leben eines schönen jungen Mannes zu finanzieren. (…) Für die Frau muss Arbeit immer Vergnügen bleiben, und damit es so ist, braucht eine berufstätige Frau einen berufstätigen Mann. Wenn sie schon etwas tut, dann stellt sie auch Bedingungen, und eine davon ist, dass sie sich die Arbeit aussuchen kann und dass sie sie jederzeit wieder aufgeben darf. Deshalb steckt sie lieber ihr Neugeborenes in eine Kinderkrippe, als dass sie auf den berufstätigen Partner verzichtet; deshalb bleibt sie lieber selbst zu Hause, bevor sie ihren Mann zu Hause lässt und ihre Berufstätigkeit zu Zwang und Verantwortung werden könnte. (…) Für die Frau bedeutet Liebe Macht, für