Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann. Alex Baur
Women’s Lib Movement, weltweit einem ersten Höhepunkt zusteuert. Der dressierte Mann kann auch als Kampfansage an die Gender-Aktivistinnen gelesen und verstanden werden. Und auch in diesem Punkt greift Vilar bar jeder Rücksichtnahme die Befindlichkeit des zarten Geschlechts frontal an.
»Women’s Liberation ist gescheitert. Die Geschichte von der unterprivilegierten Frau war eine Fiktion, und mit einer Fiktion lässt sich kein Aufstand inszenieren. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Männer. In einem Land, in dem der Mann von der Frau so skrupellos ausgebeutet wird wie in den USA, ist eine Bewegung, die für noch mehr Frauenrechte kämpft, eine reaktionäre Bewegung. Solange das Geschrei nach weiblicher Gleichberechtigung nicht aufhört, kann der Mann niemals auf den Gedanken kommen, dass eigentlich er das Opfer ist. (…) Die Amerikanerin ist die höchstbezahlte Ehefrau der Welt. Von allen Frauen der Welt führt sie das komfortabelste Leben. (…) Die Frau fühlt sich durch den Mann alles andere als bevormundet. (…) Der Mann ist der Frau nicht wichtig genug, dass sie sich gegen ihn auflehnt. (…) In der Welt der Frauen zählen nur die anderen Frauen. (…) Dermaßen von ihrem eigenen Geschlecht im Stich gelassen, begannen die Theoretikerinnen von Women’s Lib sich immer weiter in Details zu verstricken: ob jeder Geschlechtsverkehr mit einem Mann eine Vergewaltigung der Frau sei, ob man den vaginalen Orgasmus überhaupt akzeptieren dürfe, ob nur die Lesbierin wirklich emanzipiert sei, ob die Frauenfrage akuter sei als das Rassenproblem, usw. Angelockt von der großen Publizität, die sie dort erwartet – denn wo fällt eine hübsche Frau mehr auf als unter hässlichen? –, war mittlerweile eine ganze Reihe attraktiver ›emanzipierter‹ Frauen zur Organisation gestoßen. Und obwohl diese Frauen keine Ahnung von den Problemen haben konnten, von denen sie redeten – eine attraktive Frau wird weder im Beruf noch im Privatleben diskriminiert –, übernahmen sie doch bald die Starrollen in der Organisation. (…) Auch die Hässliche verzichtet trotz ihres Erfolges nie auf ihren Sonderstatus und erwartet mit größter Selbstverständlichkeit, dass ihre Umwelt sie – als Frau, die erfolgreich war – wie eine Art Weltwunder betrachtet. Es ist geradezu obszön, wie sehr gerade diese Frau immer ihre Weiblichkeit herausstreicht. Sie produziert sich vor Presse und Fernsehen, wo immer es geht, lässt ihren schwabbeligen Busen über ihre große Schreibtischplatte hängen und klagt, wie schwer gerade sie, als Frau, es in ihrer hohen Position habe. (…) Die emanzipierte Frau ist genauso dumm wie die anderen, aber sie möchte nicht für dumm gehalten werden: Von Hausfrauen spricht sie nur auf die abfälligste Art. Sie glaubt, allein die Tatsache, dass sie eine Arbeit ausführt, die auch eines Mannes nicht unwürdig wäre, mache sie intelligent. Sie verwechselt dabei Ursache mit Wirkung: Die Männer arbeiten ja nicht, weil sie so intelligent sind, sondern weil sie müssen. (…) Simone de Beauvoir, die mit ihrem 1949 erschienenen Werk ›Das andere Geschlecht‹ Gelegenheit hatte, das erste Buch über die Frau überhaupt zu schreiben, ließ diese Gelegenheit vorübergehen und erstellte statt dessen mit viel Fleiß ein Kompendium der Ideen Freuds, Marx’, Kants usw. über die Frau. Anstatt sich die Frauen einmal anzusehen, durchforstete sie die Bücher der Männer und fand natürlich überall Zeichen für weibliche Benachteiligung. Die Neuigkeit ihres Elaborats bestand lediglich darin, dass diesmal die männliche Meinung über die Frau die Unterschrift einer Frau trug. (…) Doch die Weichen für die anderen Schriftstellerinnen waren damit gestellt: Betty Friedan, Kate Millett, Germaine Greer, eine kopierte die andere, sie überschlugen sich in ihrem Eifer, Beweise für männliche Infamie zu erbringen – doch über ihr wirkliches Sujet, die Frau, schrieben sie nichts, was der Rede wert gewesen wäre. (…) Die Mündigkeit der Frau wurde wieder einmal nicht erreicht. Denn die Befreiung der Frau wäre die Befreiung der Frau von ihren Privilegien – doch dafür, dass das nicht passieren konnte, sorgte ausgerechnet Women’s Lib.«
Den Stoff zum dressierten Mann trug Esther Vilar schon seit vielen Jahren mit sich herum. Seit ihrer Heirat, seit der Geburt ihres Sohnes? Eine Außenseiterin war sie schon immer gewesen, auch an der Facultad de Medicina in Buenos Aires, wo damals noch wenige Frauen studierten (und noch weniger unterrichteten). Sie hatte in Argentinien harte Zeiten erlebt, doch das hatte nichts mit ihrem Geschlecht zu tun, im Gegenteil, sie fühlte sich als Frau eher privilegiert. Die Klagen über Diskriminierung, mit denen sie erst später in Deutschland konfrontiert wurde, konnte sie vor diesem Hintergrund nie wirklich ernst nehmen. Und mit der Zeit erschienen sie ihr nachgerade lächerlich, ja obszön.
Ein bestimmtes Schlüsselereignis gab es nicht. Was als Ahnung begonnen hatte, verfestigte sich über die Jahre zur Gewissheit. Und wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, auch das lag in ihrem Naturell, dann wollte sie es genau wissen, dann brachte sie die Sache zu Ende. Sie begann Zeitungsartikel zu sammeln, kaufte sich feministische Bücher (von denen sie die meisten, seien wir ehrlich, lediglich überflog). Später wurde kolportiert, sie habe ihre Thesen durch Feldforschungen in den USA vertieft. Die Wahrheit ist: Vilar kannte die Vereinigten Staaten zu jenem Zeitpunkt bloß aus dem Kino (wo sie auch ihre Kenntnisse der englischen Sprache erwarb). Entscheidend für den dressierten Mann waren am Ende die kleinen Beobachtungen und Erlebnisse des Alltags – all die unscheinbaren Begebenheiten, wie sie jeder Mensch aus eigener Erfahrung kennt –, die sie zusammenfügte und die dem Büchlein eine ungeheure Kraft verliehen, weil sie eben jeder nachvollziehen konnte.
Die Zeit war reif für Neues. Die industrialisierte Welt befand sich in einem Umbruch, wie ihn die Menschheit in so kurzer Zeit noch nie erlebt hatte. Die Wirtschaft boomte seit über einem Jahrzehnt. Der Volkswagen wurde zum Symbol einer Epoche, in der sich der einfache Arbeiter plötzlich Annehmlichkeiten leisten konnte, die vorher einer kleinen privilegierten Schicht vorbehalten waren. Das Fernsehen eröffnete eine neue Dimension der Massenkommunikation, brachte die große weite Welt in die traute Stube. Düsenflugzeuge rückten ferne Länder und Kontinente zusammen. Die Antibabypille wirkte sich nicht nur befreiend auf das Sexualleben der Menschen aus, sie machte auch die Familienplanung viel einfacher. Und es herrschte Vollbeschäftigung, Arbeitskräfte waren gesucht.
Die technologische Revolution vereinfachte auch die Arbeit im Haushalt enorm. Die Supermärkte, die allenthalben wie Pilze aus dem Boden schossen, führten nun Fertiggerichte in ihrem Sortiment, die das Kochen zum Kinderspiel machten. Die Betreuung von ein, zwei, allenfalls drei Kindern, welche dank der Pille schnell zur Regel wurden, konnte bestenfalls noch als Vollbeschäftigung eingestuft werden, bis diese zur Schule gingen. Dass die Frauen die Arbeit in den Fabriken, Büros und Chefetagen ebenso gut wie die Männer erledigen konnten, hatten sie bereits im Krieg bewiesen. Dass sie, die in ihren vollautomatisierten Haushaltungen nicht mehr viel zu tun hatten, zumindest in den Industrieländern vermehrt in die Arbeitswelt einbezogen werden mussten, stand außer Frage. Die Frage war nur, wie und in welchem Ausmaß dies geschehen sollte.
Und genau in diesem Punkt postulierte Vilar einen radikalemanzipatorischen Ansatz, wie ihn bislang noch niemand zu formulieren gewagt hatte: Männer und Frauen sollten sich alles teilen, von der Arbeit bis zur Kinderbetreuung. Und: Das Problem lag nicht primär bei den Männern, sondern bei den Frauen, die ihre Privilegien nicht hergeben wollten; als nutzlose Luxusgeschöpfe, die das von ihren Männern sauer verdiente Geld verwalteten und ausgaben, hatten sie sich bequem in ihrer Opferrolle eingerichtet; die feministischen Klagen über die Ausbeutung der Frau waren nichts anderes als ein dreistes Ablenkungsmanöver, das die herrschenden Machtverhältnisse zementieren und jede grundlegende Veränderung verhindern sollten!
Esther Vilar war 35 Jahre alt, als sie den dressierten Mann in lediglich zwei Monaten niederschrieb, in einem Zug. Oder war es eher ein Rausch? Der Stoff war da, das Schreiben ging ihr leicht von der Hand. Auch der Titel – bisweilen der anspruchsvollste Teil eines Buches – stand von Anfang an fest. Schwieriger, ungleich viel schwieriger war es, einen Verlag zu finden, der ein derartiges Pamphlet abdrucken mochte. Klaus, ihrem Ehemann, hatte sie das Manuskript erstmals vorgelegt, als es zur Hälfte geschrieben war. Er begriff sofort, dass sie einen Scoop gelandet hatte. Deutschland, meinte er, sei viel zu klein für ein derartiges Werk. Als der Text fertig war, reiste er damit nach Amerika. Nach einer Woche kam er zurück, mit leeren Händen. Vilar verschickte den dressierten Mann an zwei Dutzend deutsche Verlage. Wochen, Monate gingen ins Land, keine Zusage, keine Absage, einfach nichts. Die beiden beschlossen, das Büchlein im Eigenverlag zu drucken, im Caann-Verlag, den sie eigens zu diesem Zweck gründeten. Das war im Herbst 1970.
Es ist eine Frau, die den Bann bricht, unerwartet