Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann. Alex Baur
Den Anlass gibt die TV-Show Wünsch dir was, eine Koproduktion der öffentlich-rechtlichen Sender ZDF, ORF und SRF, die jeweils am Samstagabend zur besten Sendezeit simultan in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz ausgestrahlt wird. Die Unterhaltungssendung unter der Leitung des skandalumwitterten Glamourpaares Dietmar Schönherr und Vivi Bach ist heiß umstritten. In der Presse wird der adlige Schönherr wahlweise als »Lümmel« (Wiener Kronenzeitung), »Schaumann und Buhmann« (Spiegel) oder »Wahlhelfer der Roten« (Stuttgarter Zeitung) tituliert. Seine auf bezaubernde Art lispelnde Ehefrau Vivi Bach, eine dänische Bäckerstochter und Schlagersängerin, sorgt mit gewagten Ausschnitten und knappen Röcken für spitze Kommentare. Es laufen Wetten zur Frage, wann die Sendung, die den TV-Intendanten stapelweise Beschwerden und sehr viel Kopfzerbrechen beschert (»am Rande des Erträglichen« gemäß ORF-Direktor Helmut Zilk), abgesetzt wird. Aber mit Einschaltquoten von zeitweise über 50 Prozent aller Haushaltungen im deutschsprachigen Raum – ein heutzutage fast unvorstellbarer Wert – ist Wünsch dir was ein Blockbuster.
Diese gewaltige Beachtung ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass es im deutschen Sprachraum damals schlicht keine Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Zum andern surft die Schönherr & Bach-Show, bei der jeweils drei klassische Kleinfamilien – Vater, Mutter, zwei Kinder – aus Österreich, aus der Schweiz und aus Deutschland in einem spielerischen Wettbewerb gegeneinander antreten, stets hart am Zeitgeist. Der Siegerfamilie wird ein Wunsch erfüllt – daher der Titel der Show –, den sie am Anfang der Sendung anbringen darf, in einem bestimmten finanziellen Rahmen (5000 D-Mark) natürlich – etwa ein neuer Familienwagen, Familienurlaub auf den Kanaren, eine Familienreise zu den olympischen Spielen und dergleichen. Mit gewagten Arrangements, provokativen Einlagen, kontroversen Gästen und kalkulierten Randalen sorgen Schönherr und Bach stets dafür, dass die Presse nach der Sendung etwas darüber zu berichten hat. Wer am Montag bei der Arbeit, in der Schule ober beim Kaffeekränzchen mitdiskutieren will, muss am Samstagabend Wünsch dir was gesehen haben. Und ganz wichtig: Es wird in Farbe gesendet, was noch nicht so selbstverständlich ist.
In der Sendung vom 30. Oktober 1971 treten die Familien Ley (Österreich), Rieckhoff (Deutschland) und Elsener (Schweiz) gegeneinander an. Die Show beginnt auf einem Autobahnrastplatz, die drei Familien sitzen artig an drei Campingtischen, die Damen mit hoch toupiertem Haar, die Herren mit Nylonhemden und knalligen Krawatten, die Jungmannschaft in Jeans, daneben je ein poppiger VW-Käfer (blau, orange und gelb), im Hintergrund eine Alpenidylle. Die Aufgabe besteht nun darin, den ganzen Picknick-Kram inklusive Familie innerhalb von 90 Sekunden im Käfer zu verstauen. Elseners schlagen als Letzte die Tür des Käfers zu, doch, Überraschung, sie gehen als Sieger aus der ersten Runde hervor. Denn bewertet wird, wie wir erst jetzt erfahren, nicht die Schnelligkeit, sondern die Reinlichkeit. Und da sieht es, sorry, schlecht aus für die Leys: Sie haben eine leere Cola-Flasche liegen lassen. Das gibt Minuspunkte.
In diesem Stil geht es weiter über die nächsten 45 Minuten mit spielerisch inszenierten Wettbewerben und musikalischen Einlagen. Das Publikum im Saal darf ausnahmsweise auch mal auf die Bühne, um in die Kamera zu winken. Dabei kommt es zu einer Rangelei, die in eine kleine Saalschlacht vor laufenden Kameras mündet. Doch die vermeintlich spontane Schlägerei ist inszeniert, wie wir bald erfahren, ein Teil des Wettbewerbs: Die Kandidaten müssen nun unter acht Personen die vier Angreifer bestimmen, welche mit dem Gerangel angefangen haben, beziehungsweise die vier Opfer. Das Replay der Inszenierung bringt die Auflösung. Nicht ganz überraschend entpuppen sich die hippiehaft gekleideten Paradiesvögel als die Guten und die unauffälligen Normalos als die Bösen. Die Rieckhoffs haben falsch getippt und fliegen raus, die anderen liegen richtig. Die letzte Runde wird nun zwischen den Leys und den Elseners ausgetragen.
Die Stimmung in der Wiener Stadthalle ist bereits angeheizt, als eine unscheinbare Frau die Bühne betritt. In ihrem braven Outfit – Mittelscheitel, halblanges Haar, ungeschminkt, graues Deuxpièces mit schwarzem Lackgurt, weiße Strümpfe, grobe Absätze – hat sie etwas Schulmädchenhaftes an sich. Auf jeden Fall wirkt sie nicht wie eine 35-jährige Mutter. Die Unbekannte wird als Esther Vilar vorgestellt, ursprünglich Argentinierin, Ärztin, Feministin und Buchautorin. Ohne jede erklärende Einführung setzt Vilar zu einem Monolog an. Ihre mit starrer Mine und hoher Stimme in einem perfekten Bühnendeutsch, das sich keinem Dialekt zuordnen lässt, vorgetragenen Sätze wirken auf eine seltsam berührende Weise mechanisch, ja fast autistisch; die Gelassenheit, mit der sie diese formuliert, stehen in einem eigentümlich Kontrast zum ungeheuerlichen Inhalt:
»Es sind nicht die Frauen, die sich befreien müssen, sondern vor allem die Männer. Aufrufe zur Befreiung der Frau, wie sie zurzeit in Mode sind, sind nichts anderes als Erbauungsliteratur. Erbauungsliteratur, weil sie den Männern und den Frauen genau das sagt, was sie am liebsten hören. Den Frauen sagen sie, dass sie ja so arm sind und so unterdrückt, und das gibt den Frauen eine fantastische Ausrede, um aus dem System Ehe noch mehr rauszuholen, als sie es sowieso schon tun. Den Männern sagt man, dass sie Tyrannen seien, und die Männer hören das gern, sie halten das für ein Kompliment, sie finden das besonders männlich. Nach meiner Meinung verhält es sich im Großen und Ganzen doch ganz, ganz anders. Nach meiner Meinung werden die Männer von den Frauen hemmungslos ausgebeutet, sie werden zum Geldverdienen dressiert (zögernder Szenenapplaus, ein leises Lächeln huscht über ihr maskenhaftes Gesicht). Es ist so, dass die Frau die Macht hat, und nicht der Mann, (Geraune im Saal, jetzt redet sie bestimmter) die Frau hat die absolute Macht, sie hat sie aus verschiedenen Gründen, aber vielleicht vor allen Dingen, weil der Mann die Frau auf sexuellem Gebiet sehr viel mehr begehrt, als es umgekehrt der Fall ist. Die Frau hat sozusagen das sexuelle Monopol. Die Frau kann ihn manipulieren. Eine emanzipierte Frau wäre nach meiner Definition eine Frau, welche diese Macht, die sie über die Männer hat, in keiner Weise missbraucht. Aber solche Frauen gibt es fast nicht.«
Freundlicher Applaus.
Mutter und Tochter Elsener haben nun vier Minuten Zeit, mit Vilar die These vom dressierten Mann kontrovers zu diskutieren. Danach sind Mutter und Tochter Ley an der Reihe. Das Publikum bestimmt die Sieger – die Sieger der Samstagabendshow.
Insgesamt dauert Vilars Auftritt nicht mehr als fünfzehn Minuten, und doch wird daraus eine Sternstunde der deutschen TV-Debatte. Mutter Elsener, eine klassische Hausfrau, kann nicht mit Esther Vilar mithalten, das wird schnell klar. Doch ihre Tochter übernimmt bald das Szepter, sie kommt in Fahrt, fordert Vilar zu einer engagierten, aber gesitteten Kontroverse über die Rolle der Mutter und Hausfrau heraus (während ihre Mutter stumm und mit leicht säuerlicher Miene zuhört). Bei den Leys ist es umgekehrt, hier ist es die Mutter, die Vilar Paroli bietet. Ein Ausschnitt:
Ley: Sie finden, dass eine emanzipierte Frau den Mann nicht missbraucht?
Vilar: Das würde ich darunter verstehen. Aber es gibt fast keine.
Ley: Ich habe in meinem Leben nie den Eindruck gehabt, dass ich meinen Mann missbraucht hätte. Sondern eher (lacht verschmitzt), dass ich ihn sehr glücklich gemacht habe.
Vilar: Es ist sicher so, dass sich die Männer sehr wohl fühlen in dieser Rolle. Die Männer sind gerne Sklaven, das ist eben der springende Punkt. Die Männer versklaven sich den Frauen viel zu gerne. Sie sind auf die Frauen vollkommen angewiesen. Und sie fühlen sich am glücklichsten, wenn sie eine Frau haben, die sie beherrscht, die ihnen sagt, wann sie gut waren und wann sie böse waren, ob sie viel Geld verdient haben oder nicht, ob sie ein guter Angestellter sind oder nicht.
Ley (fröhlich): Das ist sehr allgemein. Ich habe mich mit meinen Freunden in der Studienzeit wunderbar verstanden. Ich liebe meinen Mann, ich mag seine Freunde. (Applaus)
Die unverkrampfte Gegenüberstellung von abstrakter Theorie und konkretem Erleben verleiht der Debatte Spannung, jeder kann sich etwas darunter vorstellen. Jeder kann mitreden. Vivi Bach erkennt die Brisanz und lässt der Diskussion ihren freien Lauf. Das Schlusswort überlässt sie Esther Vilar, die nun merklich entspannter redet:
»Es gäbe noch unendlich viel zu sagen. Ich habe mein Buch ›Der dressierte Mann‹ vor allem deshalb geschrieben, weil ich hoffen würde, dass die Frauen ein bisschen, ein ganz kleines bisschen menschlicher werden