Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?. Heinz Siebenbrock

Führen Sie schon oder herrschen Sie noch? - Heinz Siebenbrock


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      Abb. 1: Die impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre

      Auch diese Konstrukte erscheinen auf den ersten Blick durchaus vernünftig. Unternehmen müssen Gewinne machen, um zu überleben. Die Beachtung dieses Ziels ist notwendig, um Produkte und/oder Dienstleistungen anzubieten. Dabei den realen und sogar den potenziellen Wettbewerber im Auge zu behalten, fordert dazu auf, sich nicht zu überschätzen, innovativ zu bleiben und sich ständig weiterzuentwickeln. Wachstum kann vor diesem Hintergrund schon fast als eine Folge von Gewinn und Wettbewerbsorientierung interpretiert werden.

      Und dennoch steckt in diesen drei Konstrukten eine erhebliche Gefahr! Sie werden, von vielen Menschen unbemerkt – zum Beispiel durch Erziehung und Ausbildung – Teil der eigenen Identität. Bereits bei Kleinkindern werden diese Werte in Form von Spardosen und Weltspartagen unterschwellig verankert; die Schule erscheint zunehmend als ein Ort, an dem im Wettbewerb mit den Mitschülern Gewinne in Form guter Zensuren einzufahren sind, während das Ziel ,Lerne fürs Leben!‘ nur noch müde belächelt wird; und spätestens nach der Einführungswoche ist dem Studierenden der Betriebswirtschaftslehre klar: Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden.

      Auswirkungen dieser Konstrukte

      Die Konstrukte Gewinnmaximierung, Wettbewerbsorientierung und Wachstum haben eben auch erhebliche Schattenseiten, indem sie ein Miteinander behindern und gleichzeitig ein Gegeneinander fördern. Gerade weil diese Werte unreflektiert übernommen werden, tragen sie subtil zu einem inhumanen Umgang bei. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass diese Konstrukte insofern sogar eine Rechtfertigungsgrundlage für unanständiges Managerverhalten bilden.

      „Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen.

      Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären,

      um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre,

      würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne

      zu machen.“20

      Hermann Josef Abs (1901–1994),

      Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank

      Bereits in den 1970er Jahren haben Hochschullehrer in St. Gallen darauf aufmerksam gemacht, dass die Forderung nach Gewinnmaximierung zu konkretisieren ist. Man hatte beobachtet, dass einige Manager zu Lasten der Zukunft kurzfristig hohe Gewinne einfuhren. Wer nämlich kurzfristig und zu Lasten der Zukunft Gewinne maximiert, riskiert die Existenz des Unternehmens. Typische Maßnahmen sind: Verlängerung der Instandhaltungszyklen, Reduktion des Budgets für Forschung und Entwicklung, Aussetzen von Weiterbildungsmaßnahmen. Um diesem Treiben entgegenzuwirken, empfahlen die Hochschullehrer, das Gewinnziel mit einer langfristigen und damit nachhaltigen Perspektive auszustatten. Auch wenn dieser Sichtweise sicher zuzustimmen ist, bedarf es einer grundsätzlicheren Betrachtung.

      Was Studenten beigebracht wird

      Auf die Frage, welches Hauptziel Unternehmen verfolgen, gibt es für Studierende der Betriebswirtschaftslehre (BWL) nur eine Antwort: Gewinnmaximierung. Vom Studienanfänger bis zum Examenskandidaten, von der wissenschaftlichen Hilfskraft bis zum Doktoranden, die angehenden Manager und Wirtschaftswissenschaftler kennen frühmorgens, nachmittags und auch nachts, selbst wenn sie angetrunken aus dem tiefsten Schlaf gerissen werden, nur diese eine Antwort: Gewinnmaximierung. Das Ziel bzw. die Aufgabe ‚Gewinnmaximierung‘ brennt sich von Anfang an derart ins Hirn eines BWL-Studenten ein, dass es Teil seines Selbst wird und nicht hinterfragt wird. So wird Gewinnmaximierung zu einer impliziten Leitlinie, die beinahe die gesamte Managerwelt prägt.

      Dieses Hauptziel Gewinnmaximierung, das für immer im Kopf bleibt und die Psyche nachhaltig formt, wird bereits im ersten Semester anschaulich an einem Modell erläutert: Gewinn ist die Differenz zwischen Umsatz und Kosten und es gilt, den Punkt zu finden, an dem Umsatz und Kosten möglichst weit auseinander liegen. Dieser gewinnmaximale Punkt lässt sich als Mengenangabe in einem Koordinatensystem ausmachen.

      Beim Umsatz unterstellt man, dass er mit Steigerung der Ausbringungsmenge zunächst steil ansteigt, sich dann abschwächt, um ein sogenanntes Umsatzmaximum zu erreichen. Von da aus fällt der Umsatz mit steigender Ausbringungsmenge. Die Kurve ähnelt einer Glocke, wenn man auf der y-Achse den Umsatz und auf der x-Achse die Menge abträgt. Eigentlicher Hintergrund dieser Glocke ist die fallende Preis-Absatz-Funktion, mit der unterstellt wird, dass mehr Produkte abgesetzt werden, wenn der Preis gesenkt wird. Die Multiplikation der dort ausgewiesenen Preise mit den zugehörigen Mengenangaben führt unausweichlich zur angesprochen Umsatzglocke.

      Bei den Kosten unterstellt man einen Kostenblock, der auch dann anfällt, wenn überhaupt nicht produziert wird. Diese sogenannten Fixkosten beginnen also auf der y-Achse und steigen dann mit der Ausbringungsmenge, in manchen Modellen linear, in komplizierteren Modellen in aller Regel degressiv, um sogenannte Skalen- oder Lerneffekte darstellen zu können.

      Nun sucht man eben jene Ausbringungsmenge, bei der die beiden Kurven weitestmöglich auseinanderliegen; oder man zeichnet eine neue Kurve, die die Differenz der beiden Kurven darstellt, und sucht dort das Maximum. Das lässt sich geometrisch bewerkstelligen, oder mit Hilfe von Rechenalgorithmen aus der Kurvendiskussion.

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      Abb. 2: Grafische Ermittlung des Gewinnmaximums

      Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang der absolut fehlende Praxisbezug: Es gibt keinen Manager, der sich am Schreitisch diese beiden Kurven zurechtlegt, um daraus Handlungen abzuleiten. Es kommt noch erstaunlicher: Gewinnmaximierung ist nicht einmal messbar, obwohl Messbarkeit eine Hauptanforderung an operationale Ziele darstellt! Denn im Nachhinein lässt sich keineswegs sagen, ob die ergriffenen Handlungen tatsächlich zu einem maximalen Gewinn geführt haben, vielleicht hätte es doch noch ein bisschen mehr sein können.

      Die mathematische Untermauerung der Grundthese, Gewinnmaximierung sei das Hauptziel eines Unternehmens, trägt in entscheidendem Maße dazu bei, dass sie sich praktisch unauslöschbar im Kopf festsetzt und zum Teil der eigenen Identität wird. Was in mathematischen Modellen ausgedrückt werden kann und sich (angeblich!) berechnen lässt, wird wohl auch richtig sein! Das wäre nicht weiter schlimm, wenn Gewinnmaximierung auch aus ethischer Sicht ein erstrebenswertes Ziel wäre.

      Um die Gefährlichkeit der Gewinnmaximierung zu verdeutlichen, ist dieses Prinzip zunächst einmal analytisch aufzuspalten: Gewinnmaximierung ist nichts anderes als Umsatzmaximierung bei gleichzeitiger Kostenminimierung.

      Umsatzmaximierung ist Abzocke

      Umsatzmaximierung fordert dazu auf, so viel Umsatz wie eben möglich zu machen. Dahinter steckt die folgende Aufforderung: ,Nimm so viel Geld von deinen Kunden wie du eben bekommen kannst!‘ ,Setze den Preis so hoch wie es eben geht!‘ Um es ganz klar und deutlich zu sagen: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine mehr als deutliche Aufforderung zur Abzocke, einem ethisch unzweifelhaft fragwürdigen Verhalten.

      Abzocke ist es, einen ungerechtfertigt hohen Preis zu verlangen. Auch wenn im strafrechtlichen Sinne nicht immer ein Vermögensdelikt in Form einer rechtswidrigen Bereicherungsabsicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder sogar Wucher vorliegt, erscheinen die Angebote vieler Unternehmen vor diesem Hintergrund zweifelhaft. Geplanter Verschleiß21 – also die gezielte Herabsetzung der Lebensdauer von Produkten – und Abo-Fallen sind nur die Spitze der hässlichen Seite der wirtschaftlichen Realität. Und selbst seriöse Anbieter scheuen sich nicht, ihre Kunden mit überteuren Service-Hotlines oder kaum bezahlbaren Serviceangeboten (z.B. Gepäckaufschlag bei Überschreitung der Freigrenze im Flugverkehr) abzuzocken.

      Kostenminimierung ist häufig Ausbeutung

      Und auch die Aufforderung zur Kostenminimierung hat es in sich: Kostenminimierung fordert dazu auf, möglichst wenig eigene Ressourcen abzugeben, den denkbar niedrigsten Preis zu zahlen, Lieferanten (zumindest für einige Zeit) unter die eigenen Kosten zu drücken, ökonomische über soziale Standards zu setzen. Auch hier ein deutliches Wort: Im Prinzip Gewinnmaximierung steckt eine unmissverständliche Aufforderung zur Ausbeutung, nicht minder ethisch fragwürdig.


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