Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?. Heinz Siebenbrock
unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.
Die Studie ist vor fast 50 Jahren erschienen. Ihre zentrale Schlussfolgerung ist bis heute weitgehend unumstritten. Das Buch der Meadows ist in über 30 Millionen Exemplaren in 30 Sprachen erschienen. 1973 wurde der Club of Rome für seine Studie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Da verwundert es schon, dass Wirtschaft und auch Politik heute immer noch auf grenzenloses, sogar auf exponentielles Wachstum setzen. Die Wachstumsambitionen sind so selbstverständlich, dass man oftmals vergeblich nach Gründen fürs Wachstum sucht. Ein Grund für die ,Sucht nach Wachstum‘ könnte wiederum in der inhaltlichen Ausgestaltung der Betriebswirtschaftslehre verborgen sein. Die Betriebswirtschaftslehre stellt eine Reihe ,strategischer Instrumente‘ zur Verfügung, mit der die Richtung des Unternehmens bestimmt und kontrolliert werden kann. Kaum eines dieser Instrumente verzichtet auf den Aspekt Wachstum. Ob SWOT-Analyse oder Portfolio-Matrix, Balanced Scorecard oder Lebenszyklusanalyse, der künftige Erfolg eines Unternehmens wird recht einseitig anhand von quantitativen Wachstumspotenzialen abgelesen. Im Ergebnis wird das Unternehmen zusammen mit den vermeintlichen Experten, die die ,strategischen Instrumente‘ mit bunten Schaubildern gekonnt visualisieren, auf Mengenwachstum getrimmt.
Alternativen zum Wachstum
Hingegen erhalten die Alternativen, zu konsolidieren oder sogar bewusst zu schrumpfen, in der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur allenfalls eine Randnotiz; in der Beratungspraxis kommen die Alternativen oft gar nicht erst vor. Diese Themen sind offensichtlich nicht ,sexy‘ genug, um aufgegriffen zu werden. Dabei sind es gerade diese Themen, mit denen sich künftige Manager zunehmend auseinandersetzen müssen. Grenzen des Wachstums zu erkennen bedeutet insbesondere, Unternehmen steuerbar zu machen und wendig zu halten. Dabei kommt es besonders darauf an, die eigenen Möglichkeiten zusammen mit den Mitarbeitern selbst zu erkennen, statt den immer gleichlautenden, angeblichen Expertenmeinungen zu folgen.
Und noch ein Gedanke zum Wachstum: Nicht jeder Absolvent der Betriebswirtschaftslehre wird in wachsenden Unternehmen arbeiten können. Selbst wenn die Volkswirtschaft wächst bzw. wachsen muss, wie uns viele Politiker glauben machen, wird es überdurchschnittlich wachsende, unterdurchschnittlich wachsende und auch schrumpfende Unternehmen geben, die gleichwohl durchaus gute Leistungen für ihre Kunden zu erbringen wünschen. Wenn die Betriebswirtschaftslehre mit ihren Inhalten und Fallbeispielen einseitig auf wachsende Unternehmen setzt, bildet sie allenfalls Schönwetterkapitäne aus. Angesichts der immer wieder zu beobachtenden schwierigen Phasen, die die Unternehmen durchlaufen und bisweilen die gesamte Volkswirtschaft erfassen, erscheint die Ausbildung von Managern zur Krisenbewältigung geradezu unabdingbar. Es ist kein Zufall, dass dieses Feld in der Praxis eher den Juristen als den Betriebswirten überlassen wird. Zum Beispiel sind die meisten Insolvenzverwalter von Haus aus Juristen.
Sich Wachstum zu wünschen, ist durchaus verständlich, wenn dadurch ein höherer Gewinn erzielt wird, vielleicht sogar ein höheres Einkommen für die Mitarbeiter entsteht. Nicht zuletzt profitiert auch der Staat von zusätzlichen Steuereinnahmen, mit denen er die ständig wachsenden Ausgaben begleichen kann.
Unbegrenztes Wachstum ist meistens tödlich
Entsprechend wird die Forderung nach Wachstum von Politikern, Ökonomen, Managern und Unternehmern unreflektiert und grundsätzlich mit einer positiven Entwicklung gleichgesetzt. Grenzen des Wachstums werden bewusst ausgeblendet, Gefahren des Wachstums werden nicht einmal wahrgenommen. Dabei ist aus der Medizin durchaus bekannt, dass ein beschleunigtes Wachstum meistens tödlich endet: Diagnose Krebs.
Das Seerosen-Prinzip
Auch die Natur eignet sich nicht, grenzenloses Wachstum zu begründen. Pflanzen und Lebewesen wachsen, bis sie er-wachsen sind. Übermäßiges Wachstum Einzelner oder einzelner Populationen führt letzten Endes ins Chaos, weil es das ökologische Gleichgewicht zerstört. Daniel Goeudevert liefert mit seiner Beschreibung der Seerose ein wunderbares Beispiel: „Von der Antike bis zur Neuzeit galt die Seerose als Symbol für Unschuld, Reinheit und Keuschheit. (…) Ihre wohlriechenden Blüten mit den spiralförmig angeordneten Kronblättern decken zwar einen wunderschönen Mantel über alles Darunterliegende (…); Botaniker weisen aber zu Recht darauf hin, dass die Seerose ein Starkzehrer ist und ihrem Untergrund so viel Nährstoffe entzieht, dass sie ihren eigenen Lebensraum zu zerstören droht.“30
Die allzu weit verbreitete Wachstumsgläubigkeit ist also keine Lösung für anstehende Probleme, sondern sie verdrängt sie in der naiven Hoffnung, ein ,Weiter so‘ sei der richtige Weg.
Die Forderung nach Wachstum verstellt den Blick für notwendige gravierende Veränderungen.
2.5 Auswirkung fragwürdiger Werte auf die Einstellung von Führungskräften
Die fragwürdigen Werte der Betriebswirtschaft bleiben nicht ohne Auswirkung auf Führungskräfte sämtlicher Branchen. Es ist sogar davon auszugehen, dass sie die persönliche Einstellung vieler Manager und Unternehmer dauerhaft prägen.
,Dunkles Management‘
Insofern produzieren die fragwürdigen impliziten Werte der Betriebswirtschaftslehre einen bedenklichen Orientierungsrahmen für Manager, der von einem äußerst negativen Menschenbild geprägt ist.
Die Ergebnisse dieses dunklen Managements sind weithin sichtbar. So meldet die Zeitschrift Focus: „Die Zahlen sind erschreckend. Fast 87 Prozent der Deutschen sind unzufrieden mit ihrem Job. Hassfigur Nummer eins: der eigene Chef.“31 Auch die Zeitschrift Der Spiegel gibt insbesondere den Folgen dieser Ergebnisse mit den Themen Mobbing und Burnout viel Raum und widmet ihnen Titelseiten und -stories.32
Nieten und Despoten als Manager
Mit seinem Titel „Nieten in Nadelstreifen“ machte Günter Ogger bereits vor fast 30 Jahren als einer der Ersten darauf aufmerksam, wie weit dunkles Management in Deutschland verbreitet ist und welche negativen Auswirkungen damit verbunden sind.33 Mit dem ehemaligen Automobil-Manager Daniel Goeudevert und dem Fernsehjournalisten Ulrich Wickert folgten bekannte Autoren, die Oggers Befund bestätigen.34 Dass dieses Phänomen nicht nur auf Deutschland beschränkt ist, zeigen Paul Babiak und Robert D. Hare in ihrem Buch „Snakes in Suits, When Psychopaths go to Work“ für den amerikanischen Markt.35 Da verwundert es nicht, dass mittlerweile literarische Ratgeber mit heftig klingenden Titeln erschienen sind, die den „geschickten Umgang mit Aufschneidern, Intriganten und Despoten im Unternehmen“36 thematisieren.
Obwohl auch ich im Verlaufe meines Berufslebens37 zahlreiche ähnliche Erfahrungen wie die vorstehenden Autoren gemacht habe und bestätigen kann, dass es deutlich mehr schlechte als gute Manager gibt, soll nachfolgend weder eine ,Abrechnung‘ erfolgen noch sollen weitere Ratschläge für Mitarbeiter, die sich miesen Führungskräften ausgesetzt sehen, entwickelt werden.
Bewusstsein schärfen
Der Überzeugung folgend, dass vielen Managern überhaupt nicht bewusst ist, wie schlecht sie mit ihren Mitarbeitern umgehen, wurde mit der Diskussion der fragwürdigen Werte der Betriebswirtschaft und den darauf basierenden negativen Einstellungen der Hintergrund eines dunklen Managements beleuchtet. Nachdem auf diese Weise die Augen geöffnet wurden, bleibt es selbstverständlich dem Leser überlassen, ob er daraus Konsequenzen ableiten möchte. Wer nun nicht unbewusst, sondern bewusst den Weg des dunklen Managements mit all den negativen Einstellungen und Konsequenzen weitergehen möchte, bitte sehr! Ihnen kann dieses Buch nicht weiterhelfen.
Allen anderen Lesern möchte ich den Vorschlag unterbreiten, die beschriebenen negativen Einstellungen über Bord zu werfen und durch positive Einstellungen zu ersetzen.
Der auch bei vielen Managern für seinen Rat geschätzte Benediktinermönch Anselm Grün unterstreicht: „Nicht Unruhe und Hektik soll die Führung verbreiten, sondern Frieden, Klarheit, Ruhe und Lust am Arbeiten.“38 Wenn Sie jetzt sagen: ,Klar, ich bin überzeugt. Genau das mache ich!‘ haben Sie die Botschaft dieses Buches verstanden und bräuchten eigentlich auch nicht weiterzulesen.
Eine große und ständige Herausforderung
Doch es ist keine leichte Aufgabe, die Sie sich da vornehmen! Das Streben nach