Atlan-Paket 16: Im Auftrag der Kosmokraten (Teil 2). Hans Kneifel
Der Zuruf riss mich aus dem Strudel des fast Vergessenen, das an die Oberfläche drängte.
Beinahe hätte ich den Fehler begangen, zur Waffe zu greifen, denn aus pulsierenden Schlitzen, die sich am Fuß der Gebäude gebildet hatten, drängten Hunderte fremder Lebewesen auf den Platz.
Ursinen!
Die Abstammung von bärenartigen tierischen Vorfahren war unübersehbar. Im ersten Augenblick dachte ich sogar, es wären Tiere. Doch dann erkannte ich die selbstsichere aufrechte Haltung, mit der sich diese Wesen bewegten und sah die Riemen, Gürtel und Ziergegenstände an ihnen.
Kein Zweifel, es handelte sich um intelligente Lebewesen!
Ob sie auch vernünftig waren, das allerdings würde sich noch zeigen müssen.
*
»Es sind Krelquotten«, stellte Anima fest.
Ich hob beide Arme, ausgestreckt und mit den leeren Handflächen nach oben.
»Wir kommen in Frieden!«, rief ich auf Krelquanisch.
Sehr schnell wurden wir von den Krelquotten umringt. Bernsteinfarbene Augen musterten uns prüfend – und teilweise unsicher oder auch feindselig.
»Sie sind froh, dass wir da sind, aber sie fürchten sich gleichzeitig vor uns«, flüsterte Neithadl-Off mir zu.
»Kein Wunder!«, stichelte ich. »Bei deinem Anblick!«
Nussel wieherte warnend und senkte den Kopf mit dem langen und spitzen Horn, als mehrere Krelquotten sich dicht um Anima drängten. Die Ursinen blieben stehen.
»Seid willkommen!«, brummte einer von ihnen, ein anscheinend älteres Exemplar von beeindruckender Körpergröße und mit schneeweißem Pelz. »Wenn wir euch irgendwie helfen können, braucht ihr es uns nur zu sagen.«
Ich spürte Animas fieberhafte Ungeduld, aber ich hielt es für ratsam, diplomatisch vorzugehen und nicht direkt auf den Grund unserer Landung zuzusteuern.
»Wir danken euch«, erwiderte ich deshalb. »Wenn ihr erlaubt, sehen wir uns ein wenig in dieser Stadt um. Die Architektur ist hochinteressant. Hilfe benötigen wir zur Zeit nicht.«
»Pass auf die Saltics auf, Partner!«, pfiff Neithadl-Off mir leise und warnend zu.
Ich wandte den Kopf – und da sah ich Sutok und Navak!
Sie kamen direkt aus der Menge. Doch das schien den Krelquotten überhaupt nicht aufzufallen. Es war, als wären sie nur halbstofflich vorhanden. Auch ich, der ich um die Fähigkeiten der Saltics, sich quasi-unsichtbar zu machen, wusste, musste mit äußerster Konzentration hinschauen, um sie wenigstens schattenhaft zu sehen.
Sie und das Diebesgut, das sie mit sich schleppten: Riemen, Gürtel, Sandalen, Nasenringe, Armreifen, Halsketten und andere Habseligkeiten und Schmuckstücke!
»Bei der Großen Zeitquelle!«, entfuhr es mir erschrocken. »Dieses Diebesgesindel bringt uns noch in die größte Verlegenheit!«
Ich wagte jedoch nicht, Sutok und Navak anzurufen, denn dann wären die Krelquotten überhaupt erst auf die beiden diebischen Gesellen aufmerksam geworden.
Sekunden später war es zu spät dazu.
Unauffällig tauchten die beiden Meisterdiebe in der Bodenschleuse unseres Schiffes unter.
Anima hatte davon wahrscheinlich überhaupt nichts bemerkt. Sie diskutierte eifrig mit dem älteren Krelquotten, der uns begrüßt hatte. Ich brauchte eine Weile, bevor ich mich geistig daran beteiligen konnte, da der Zwischenfall mit den Saltics mich doch einiges hatte verpassen lassen.
»Ich will gar nicht wissen, was für Feste heute und in den nächsten Tagen gefeiert werden, Nachdär!«, sagte sie unwirsch. (Also Nachdär hieß der Weißpelz!) »Ich will mit Atlan sprechen!«
»Ihr seid unsere Gäste«, erwiderte Nachdär, ohne auf ihre Forderung einzugehen.
Das wunderte mich nicht. Man konfrontierte Intelligenzen der anderen Art nicht sofort mit Forderungen. Hätten die beiden Meisterdiebe mich nicht für eine Weile abgelenkt gehabt, wäre das auch nicht passiert.
»Cirgro ist eine schöne Welt«, sagte ich, um die Konfrontation abzubiegen. »Wie heißt diese Stadt?«
»Daimarat«, antwortete ein kleinerer Krelquotte mit schwarzlockigem Pelz und blickte mich unverwandt an. »Ich heiße Sufrya.«
Das machte mir unser Versäumnis bewusst.
Rasch stellte ich uns vor – mit Ausnahme der Saltics, die anscheinend noch im Schiff waren, wie ich hoffte, dann wandte ich mich an Sufrya.
»Stört euch bitte nicht daran, dass wir eine ziemlich zusammengewürfelte Gesellschaft sind«, erklärte ich. »Wahrscheinlich habt ihr kein Hotel, das auf alle unsere verschiedenen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Aber das macht nichts. Wir können auf unserem Schiff schlafen. Darf ich dich zur Besichtigung einladen, Sufrya?«
Zorniges Gebrumm aus zahlreichen Mündern ertönte. Die Menge der Krelquotten wogte plötzlich drohend auf uns zu.
»Oh, Modulmann!«, pfiff Neithadl-Off. »Wie konntest du Sufrya einen unmoralischen Antrag machen! Jetzt werden die Krelquotten dich in der Luft zerreißen, bevor ich es tun kann.«
»Aber, wieso?«, fragte ich verunsichert. »Ich verstehe gar nicht, was die Kerle so aufregt.«
»Es würde sie weniger aufregen, wenn es ausnahmslos Kerle wären, du Unhold!«, kreischte die Vigpanderin und zwickte einen riesigen Krelquotten, der nach mir schlug, in die Wade, dass er mit tränenden Augen zurückwich. »Aber es sind leider auch Frauen dabei – und eine von ihnen hast du eingeladen, mit dir auf unserem Schiff zu schlafen.«
»Sufrya ...?«, echote ich und schluckte trocken.
»Ja, Sufrya!«, pfiff Neithadl-Off zurück. »Sie ist eine Frau, eine Dame wahrscheinlich sogar. Hast du nicht ihr onduliertes Haar, ihren erlesenen Schmuck und ihre gepflegten Krallen gesehen? Riechst du nicht den durchdringenden Moschusduft ihres Parfüms?«
»Ich rieche nur Schweißfüße«, entgegnete ich – natürlich nur in dem Versuch, meine Verfehlung ins Lächerliche zu ziehen. »Aber es stimmt gar nicht, dass ich Sufrya eingeladen hätte, mit mir zu ...!«
»Pfui!«, rief Anima.
»Schluss jetzt«, begehrte ich auf. »Alles, was ich getan habe, war, Sufrya zu einer Besichtigung des Schiffes einzuladen. Davon, dass sie dort übernachten soll, war keine Rede. Ich sprach nur davon, dass wir an Bord schlafen können.«
»Wir ...?«, dehnte Anima.
Ich war nahe daran, einen Weinkrampf zu bekommen.
Diese verrückten Weiber!
Und erst diese verrückten Krelquotten, die offenkundig alles falsch aufgefasst hatten und sich gebärdeten, als hätten wir sie darum gebeten, uns ihre Kinder zu verkaufen!
»POSIMOL, hilf uns!«, rief ich, als die Woge krelquottischer Leiber über uns zusammenzuschlagen drohte.
Aber die Bordpositronik rührte sich nicht.
Die Hilfe kam von gänzlich unerwarteter Seite.
»Schluss jetzt!«, schrie Anima. »Was soll dieses Theater! Ich will, dass ihr mich zu Atlan führt. Und versucht nicht, euch herauszureden! Ich weiß, dass mein Ritter sich auf Cirgro befindet. Wenn ihr euch weigert, mich zu ihm zu führen, werde ich euch bis in die übernächste Generation bestrafen!«
Die Hominidin musste den Verstand verloren haben!
Inzwischen befanden sich mindestens 2000 Krelquotten auf dem Platz. Wenn sie wollten, überrannten sie uns in Sekundenschnelle – und sie würden kaum länger brauchen, uns zu zerreißen.
Aber das Wunder geschah.
Das drohende Gebrumm der Krelquotten hörte auf; sie wichen zurück. Ihre Augen flackerten unstet und furchtsam.